60 . Jahrgang.

Ms. 52.

Amts- unä Jatekkigenzbkatt für äen Rezir^.

Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.

Die Einrückungsgebühr beträgt S H p. Spalte üm Bezirk, sonst 12

§am8tag, öen 2. Mai 1885.

Abonuementspreis halbjährlich 1 80 durch

die Post bezogen im Bezirk 2 30 H, sonst in

ganz Württemberg 2 70 H.

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Deutsches Reich.

Stuttgart, 30. April. Gestern beschäftigte sich die Kammer der Abgeordneten mit dem Ausführungsgesetz zum Reichsgesetz vom Z. Juli 1883 über die Abwehr und Unterdrückung der Reblauskrank­heit. Die Frage, worauf die Entschädigung bei angesteckten Weinbergen ausgedehnt werden soll, rief eine längere Debatte hervor. Während der Entwurf ausspricht, daß die Ersatzleistung des Wertes der auf obrigkeitliche Anordnung vernichteten und des Minderwertes der bei der Untersuchung von Rebpflanzungen beschädigten gesunden Reben durch die Staatskasse zu geschehen hat, treten Stockmayer und v. Weber auch für die Er­satzleistung bei der hängenden Ernte und den Pfählen ein, während Frhr. v. Varnbüler, Probst, Göz und Genoffen noch weiter gingen und außerdem sowohl für die gesunden, wie für die kranken Reben Ersatz geleistet miss«! wollten. Diese beiden Anträge wurden aber abgelehnt und der Ent­wurf, der ganz auf dem Boden des Reichsgesetzes steht, angenommen. So­dann nahm die Kammer noch das Gesetz, betr. die Entschädigung für an Milzbrand gefallene Tiere an, das von unseren landwirtschaftlichen Kreisen mit Freuden begrüßt worden ist. Das Gesetz, welches auf dem Prinzip der Versicherung beruht (10 L Prämie pro Pferd, Rind, Maul­esel rc.), entschädigt die an Milzbrand oder Rauschbrand gefallenen Tiere mit Vs ihres gemeinen Wertes.

Der Reichstag hat gestern (Mittwoch) wegen des preußischen Bußtags keine Sitzung abgehalten. Infolge der fortdauernden Beschluß- Unfähigkeit des Reichstags ist wieder der Gedanke einer Herabsetzung der Beschlußfähigkeitsziffer, der schon früher aufgetaucht ist, angeregt worden. Es heißt, es wäre möglich, daß dieser Vorschlag jetzt greifbare Gestalt an­nähme.

Die Arbeiter-Schutzkommission des Reichstages hat sich über die

Beschränkung der Sonntagsarbeit nunmehr geeinigt. Sie beantragt fol­gendes :

Hinter 8 105 der Gewerbeordnung wird eingeschaltet: § 105 s. Die Gewerbetreibenden können die Arbeiter zum Arbeiten an Sonn- und Festtagen nicht verpflichten in Fabriken, Werkstätten und bei Bauten. Inhaber von Verkaufsstellen aller Art dürfen ihre Gehilfen und Lehrlinge an Sonn« und Festtagen im ganzen höchstens fünf Stunden beschäftigen. Die Beschäftigung muß für alle in demselben Geschäfte beschäftigten Gehilfen und Lehrlinge gleichzeitig stattfinden. Welche Tage als Festtage gelten, bestimmen unter Berücksichtigung der örtlichen und konfessionellen Verhältnisse die Landes­regierungen. An den besonderen Festtagen seiner Konfession kann kein Ar­beiter zum Arbeiten verpflichtet werden. Arbeiten zur Ausführung von Re­paraturen, durch welche der regelmäßige Fortgang des eigenen oder eines fremden Betriebes bedingt ist, sowie Arbeiten, welche nach der Natur des Gewerbebetriebes einen Aufschub oder eine Unterbrechung nicht gestatten, fallen unter die vorstehenden Bestimmungen nicht. In diesen Fällen muß in Fabriken, Werkstätten und Bauten für jeden Arbeiter an jedem zweiten Sonntage mindestens die Zeit von 6 morgens bis 6 Uhr abends frei bleiben. Art, Umfang und Dauer der Arbeiten, welche nach der Natur des Gewerbe­betriebes einen Aufschub oder eine Unterbrechung nicht gestatten, setzt für alle Anlagen jeder bestimmten Gattung der Bundesrat fest. Diese Festsetzung kann bei veränderten Verhältnissen, jedoch immer nur für alle Anlagen der betroffenen Art, abgeändert oder ausgehoben werden. Für bestimmte Gewerbe dürfen weitere Ausnahmen durch Beschluß des Bundesrats zugelaffen werden. Die von dem Bundesrat getroffenen Bestimmungen sind dem Reichstag spä­testens in der nächstfolgenden Session vorzulegen. In dringenden Fällen kann die Ortspolizeibehörde die Beschäftigung an Sonn- und Festtagen ge­statten. Jede Verfügung dieser Art ist schriftlich zu erlassen. Die Erlaubnis darf, falls die Ortspolizei vorgängig nicht erreicht werden kann, auch nach­träglich erfolgen. Die Ortspolizeibehörde hat über die von ihr gestatteten Ausnahmen ein Verzeichnis zu führen und dasselbe vierteljährlich der höhereu Verwaltungsbehörde, für Fabriken auch dem besonderen Aufsichtsbeamten (K 139 b), einzureichen. An Stelle des § 154 Abs. 1 der Gewerbeordnung tritt folgende Bestimmung: Die Bestimmungen der M 105 bis 133 finden auf Gehilfen und Lehrlinge in Apotheken und Handelsgeschäften nur insoweit Anwendung, als sie sich auf solche ausdrücklich beziehen.

Berlin, 28. April. Die Deutschen in Brasilien haben, wie aus den Berichten dort erscheinender deutscher Zeitungen hervorgeht, den Geburtstag des Kaisers Wilhelm ebenfalls äußerst festlich und in gehobenster Stimmung begangen. In Petropolis hatte sich der deutsche Gesandte und bevollmächtigte Minister, R. Le Maistre, durch Veranstal-

Feuilleton.

Im Abgründe.

Roman von Louis Hackenbroich. (Verfasser des Romans:Ein Vampy r.")

Fortsetzung.

Der Blitz hätte, wäre er zu den Füßen des Grafen niedergefahren, keine furchtbarere Wirkung auf ihn zu üben vermocht, als diese Rede voll Hohn und Drohungen; sein Entsetzen war so groß, daß er unter den teuflischen Blicken seines Feindes zitterte, wie ein Lamm vor dem Wolfe. Nur mit äußerster Aufbietung seiner Kräfte gelang es ihm, seiner Stimme einige Sicher­heit zu geben, als er antwortete:

Erklären Sie sich, Herr! Welchen Preis verlangen Sie für die Herausgabe dieses Wechsels?"

Hunderttausend Franken, Herr Graf!" versetzte Jsmael, indem er jede Silbe dieser Antwort möglichst dehnte und betonte.

Dem Grafen flimmerte es vor den Augen; er glaubte die Zahl, die er eben gehört, in flammenden Ziffern vor seinen Blicken tanzen zu sehen; ihm ward, wie es dem letzten Könige von Ninive gewesen sein mochte, als auf den schon schwankenden Mauern seines Palastes das fürchterliche Mene- Tekel erschien, das ihm seinen Untergang zeigte.

Hunderttausend Franken!" rief er voll Schrecken aus; wo wollt Ihr, daß ich eine solche Summe hernehme?"

Was geht das mich an?"

Hunderttausend Franken! Aber Ihr wißt doch besser, als außer mir irgend Jemand, daß ich Nichts mehr besitze, absolut Nichts mehr!"

Das Spiel ist für geschickte Leute eine unerschöpfliche Geldquelle", versetzte kalt und mit lauerndem Blicke Jsmael.

Ich habe mein ganzes Vermögen darin verloren."

Das war Lehrgeld; nachdem wendet sich das Glück. In drei Monaten haben Sie eben so weite Aermel, wie Ihr Gewissen ist."

Genug!" brauste der Graf auf, und seine Stirn färbte sich rot.

Bah!" lachte Jsmael,drei Monate sind nicht dazu erforderlich. Uebrigens können Sie ja auch das Loch ein wenig erweitern, das Sie in das Erbe der Comtesse gerissen haben."

Der Graf zuckte zusammen, als hätte eine Viper ihn gestochen, und blieb eine Antwort schuldig. Aber Jsmael wiederholte den Vorschlag in bündigen Worten, und er murmelte schamvoll, als hätte eine Tortur ihm das beschämende Geständnis entlockt: »

Vom ganzen Erbe der Comtesse ist blos noch" ein halb zerfallenes Schloß unberührt!"

Wären wir schon so weit?" fragte Jsmael, indem er den Grafen mit einer ironischen Bewunderung betrachtete.Wie! Die Wälder, die Wiesen, die weiten Aecker, die Pachthöfe, die Rentendriefe, die Schatzanweisungen, die Aktien dieses ganze herrliche Vermögen, dieser fürstliche Reichtum, Häuser und Gärten und Gold und Silber ist schon verpraßt und verzehrt?" Das war ein königlicher Bissen, Herr Graf! Ha, da wundere sich einer, wenn Sie der erklärte Adonis der neuesten Modeschönheiten waren! Und Sie schämen sich nicht, Ihrer armen Nichte Lucienne einen erbärmlichen Halsschmuck, um zwanzigtausend Franken willen, mißgönnen zu wollen? Wahrhaftig, eine jämmerliche Bagatelle im Vergleich mit der fetten Million, um die Sie sie gebracht haben! Mein Herr Graf, so hartherzig könnte ich nicht sein. Die Comtesse verlangte den Diamantenschmuck, und Sie soll ihn haben; ich machte mir ein Gewissen daraus, dem armen betrogenen Mädchen nicht wenigstens zu diesem armseligen Tröste verholfen zu haben."

Jsmael war bei diesen Worten enstchlossen an den Sekretär getreten, auf dessen Klappe der Graf in seinem Entsetzen den Pack Banknoten hatte niederfallen lassen; er nahm die Papiere zur Hand, zählte zwanzigtausend