Gotha, 14. Febr. Folgendes originelle Schreiben ging vor einigen Tagen dem Standesbeamten eines preußischen Kreises zu: »Mein lieber Herr Standesbeamter, Sie werden sich wohl erinnern, daß wir vor einigen Wochen die Ehe mit Ihnen geschlossen, und daß Sie dabei i» Ihrer kurzen Ansprache gesagt j haben, wir sollten immer des Wortes, das wir uns gegeben haben, eingedenk sein und es in trüben wie in guten Stunden halten, wie es echten Deutschen geziemt; das war nun sehr hübsch, aber leider thut mein Mann nicht, als wenn Sie das gesagt hätten, denn in trüben Stunden, die ich allein zu Hause zubringen muß, ist er nicht zu Hause, sondern geht saufen und spielen und das darf ich als Frau nicht leiden, und so bitte ich Sie denn, meinen Mann vorzuladen und ihm nochmals Alles zu sagen, was Sie uns dazumal gesagt haben, und wenn es sein muß, komme ich mit. Ich denke, dann wird er doch zuletzt anders werden. Ich bin der Hoffnung, daß Sie meine Bitte lhun werden und ver­bleibe Ihre Christine 4t. Rixdorf, 19. December."

Berlin, 16. Febr. Die Wahrscheinlichkeit der italienischen Reise des Kaisers tritt immer bestimmter hervor. Wie dieMont.- Ztg." hört, würde die gerade für unser Klima dissicile Ucber- gangszeit von der ersten Hälfte des Frühjahrs zur zweiten als Zeitpunkt gewählt werden, also von Mitte April an, und dann würde der Kaiser bis Mitte Juni in Italien verweilen.

Der Abgeordnete Laster ist seit einigen Tagen in Folge von Ueberarbeitung recht ernstlich erkrankt und bettlägerig.

Die Köln. Z. schreibt: Der hervorragendste Gegenstand der Gespräche in Berlin ist der angeblich bevorstehende Rücktritt des Fürsten Reichskanzlers. Daß in der Familie des Fürsten Bismarck von einem solchen Ausscheiden aus dem Staatsdienst gesprochen wird und er selbst davon redet, ist gewiß. In einem Berliner Brief dcss. Bl. heißt es: Die Aerzte sind, so weit menschliches Wissen reicht, darüber im Reinen und lassen es an Vorstellungen dringender Art nicht fehlen, daß, wenn Fürst Bis- ! marck sich zur Ruhe setzt, ihm noch ein Jahrzent voller Lebens­kraft bcschieden sei, daß dagegen dem wie bisher fortdauernden Treiben ununterbrochener Spannung, Aufregung und Ueberbürdung spätestens nach Verlauf dreier Jahre ein Ziel gesetzt sein werde.

Appenzell a. Rh. Die Heupreise sind auf eine uner­hörte Höhe gestiegen. In Urnäsch galt neulich der Ctr. Franks 10. 20. bis 10. 40

Paris, 13. Febr. Vor dem Pariser Schwurgerichtshof begann gestern der Prozeß, welchen der Divisionsgeneral Wimpffen gegen Hrn. Paul de Cassagnac als Redakteur, gegen Piel als Geranten und gegen Paul de Leoni als Mitarbeiter desPays," wegen Ehrenbeleidigungen und Schmähungen, die ihm in Artikeln dieses Blattes zugefügt worden waren, eingeleitet hat. Die Klage­schrift bezieht sich auf drei verschiedene Artikel, in denen der General als ein gewissenloser Offizier, als ein Verrälher an dem Kaiser und als allein für alles Unglück von Sedan verantwortlich, in den ehrenrührigsten Ausdrücken verfolgt und geradezu gebraut»- markt wird. In der Verhandlung, zu welcher sich ein zahlreiches Publikum eingefunden hatte, erscheinen der Kläger unter Assistenz seines Anwalts Jules Favre und die Beklagten Cassagnac und Piel (der dritte war ausgeblieben). Die Angeklagten wurden, wie schon gemeldet, freigesprochen.

Am 10. ds. ist der Marschall B a z a i n e in Santander augekommen. Einige Franzosen brachten ihm eine Katzenmusik, wurden indessen von der Polizei vertrieben. Die Behörden hatten Erlaubuiß zu einemStändchen" für den Marschall ertheilt; sie hätten indessen wohl ahnen können, welchen Verlauf die Sache nehmen würde. Am 13. reiste Bazaine nach Madrid zurück; diesmal hielt eine Abtheilung Polizei ihm den Weg frei, und der Militär.Gouverneur geleitete ihn selbst zum Bahnhöfe.

Der Stricke im südlichen Wales vermindert die Kohlen­ausfuhr wöchentlich um 800,000 Centner.

In Nim es fand am 2. Februar die Hinrichtung eines Anonymus statt. Derselbe war am 21. November vor. Js. wegen Mordes zum Tod verurtheilt worden; doch hatten die Behörden die Exekution bisher verzögert, da der Verbrecher jede Auskunft über seine Persönlichkeit verweigerte, weil man anstand, einen Menschen ohne Namen zu guillotiniren. Am 2. d. M., des Morgens 5 Uhr, endlich wurde dem Delinquenten verkündet, daß er nur noch wenige Stunden zu leben habe. Er war keineswegs bestürzt, nicht einmal überrascht, und er erklärte, täglich diese Mittheilung erwartet zu haben. Man drang nunmehr in ihn, seinen Namen zu sagen: er erwiderte jedoch, daß er darüber selbst alsdann schweigen würde, wenn man ihm an den Stufen des Schuffots Begnadigung gegen Nennung seines Namens verheißen würde. Er fügte hinzu:Ich sterbe zufrieden, weil ich in dieser Weise die Ehre meiner Frau und meiner Kinder rette. Ich habe alle Vorkehrungen getroffen und Niemand wird je erfahren, wer und woher ich bin." Mit der größten Kaltblütigkeit ertrug er die Vorbereitungen für den letzten Gang. Auch auf dem Wege zum Richtplatze bewahrte er eine vollkommenr Ruhe, und, auf dem Schasfot angelangt, betrachtete er mit einem Lächeln die Guillotine. In dem Augenblicke, als er den Hals unter das Fallbeil legte, bat er, noch einige Worte zur Menge, die sich

auf dem Richtplatz eingefunden hatte, zu sprechen. Er wieder­holte hier, daß er zufrieden sterbe, weil Niemand seinen Namen wisse und er dadurch die Ehre seiner Familie rette. Kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, als das Fallbeil nledersuhr.

Cincinnati, 22. Jan. Der Staat Ohio gilt als einer der wohlgeordnetsten Staaten in der nordamerikanischen Union und dennoch ist in dem Städtchen Urbana dieser Tage ein Mann Namens Ullrich, welcher ein scheußliches Verbrechen an einem jungen Mädchen begangen haben soll, von einer aufgeregten Volks­menge gewaltsam aus dem Gefängniß entfernt und ohne Weiteres aufgeknüpst worden. In Staaten, in denen die Gesetze mehr oder weniger als todte Buchstaben betrachtet werden, mag zuweilen unter Umständen ein solches Verfahren am Platze fein; allein hier, wo derartige Verbrecher selten der verdienten Strafe ent­gehen, kann eine derartige Volksjustiz in keiner Weise entschuldigt werden. Trotzdem ist kaum anzunehmen, daß den Bcthciligtcn etwas geschieht. Vorgestern ist hier ein Schcnkwirth, welcher von einer verheirathcten Frau angeklagt mar, deren Ehemann, einem Gewohnheitstrinker, gegen ihren Willen berauschende Getränke verabreich! zu haben, zu einer Strafe von 1600 Dollars, die der Klägerin alsSchmerzensgeld" zugefallen, verurtheilt worden. Wie viele Schmerzensgelder würden wohl die Schenkwirthe in Deutschland zu bezahlen haben, wenn die Gesetze dort so große Fürsorge für das Recht (?) des zärtlichen Geschlechts wie hier zu Lande trügen? Kein Wunder, daß die deutschen Jungfrauen mit sehnsuchtsvollen Blicken nach Amerika schauen, wo die Frau außer dem Recht, Gardinenpredigten zu halten, schließlich auch noch zu dem Gesetze ihre Zuflucht nehmen kann, wenn der ge­strenge Hausherr einmal eins zu viel hinter die Binde gießt. Rur schade, daß das zu spät Nachhausckommen am Abend nicht auch gesetzwidrig ist. Dann wäre jedenfalls unser glückliches Amerika ein irdisches Paradies für Ehefrauen und solche, die es werden wollen. (Dfz.)

Der Guckkasten. (Fortsetzung.)

Mich dünkt, daß diese Banden nun etwas gelockert waren," bemerkte ich.Denn einen Menschen, den man selbst für einen Brandstifter hält, nimmt man nicht wieder in das Haus. Wie denken Sie darüber, Herr Muth?"

Gedanken sind zollfrei. Was ich hierüber denke, das halte ich zunächst unter siebenfachem Schloß und Riegel," entgegnet« der Schäfer.

Sie werden uns aber wenigstens sagen, ob Sie auch an Sauer, wie an seinen Nachbarn, einen warnenden Brief geschrie­ben haben?"

Der Lchäfer schwieg auf meine Frage eine kurze Weile, dann verneinte er durch ein einfaches Kopfschütteln.

Das genügt mir für jetzt," erklärte ich. Ich weiß wenig­stens, Laß Sauer nach Ihrer Meinung eine Warnung nicht bedurfte."

Was nun, lieber Kollege?" flüsterte mir Lemke zu, nach­dem er mich etwas bei Seite gezogen hatte.Der Alte, wie ich ihn kenne, spricht jetzt nicht weiter. EL ist eine verzweifelte Lage, denn ich werde ihn verhaften müssen, obwohl ich ihn auch jetzt für schuldlos halte, und obwohl ich fürchte, er stirbt uns im Gefängnisse dahin. Sie aber verlieren durch die Verhaftung leicht den einzigen Gehilfen Ihrer gegen Sauer gerichteten Pläne. Haben Sie denn nichts, auch gar nichts entdeckt, was mich der Pflicht überhöbe?"

Nichts, gar nichts," gestand ich seufzend.

Sie vergessen unsere wichtige Entdeckung bezüglich des Guckkastens," warf der Sergeant mit bitterer Selbstironie ein.

Ein Guckkasten? Was ist es mit dem Guckkasten?" rief hier Muth, indem er mit drei mächtigen Sätzen auf ihn los­stürmte.

Jnteressirt Sie auf einmal der Guckkasten so sehr? fragte ich verwundert.Ihr Dienstherr hat ihn vor einigen Tagen bei einem Optiker in der Stadt gekauft."

Gott, Gott, mein Argwohn hatte also Recht, ganz recht," fuhr nun Muth, mehr zu sich selbst redend, fort.Nun steht es unwiderleglich fest. Deßhalb hatte er das große Paket so sorg­lich verschnürt und versiegelt, daß ich nicht etwa den Guckkasten erkennen und mich an jenen früheren erinnern sollte."

Sie sprechen in Ziffern, mein Freund," warf ich ein, als der Alte, von der Aufregung erschöpft, einen Augenblick schwieg. Hat dieser Guckkasten irgend welchen Bezug zu der Angelegen­heit, die uns hiehergeführt hat?

Jawohl, den nächsten, meine Herren. Sie werden mich für ein wenig toll halten, nicht wahr? Aber ich will Ihnen jetzt Alles sagen und dann werden Sie mich begreifen. Entsinnen Sie sich noch, Herr Rath, was an jenem Tage sich ereignete," erklärte Lemke.

Auch ich war an jenem Tage kurz nach den Arbeitern in jenem Raume gewesen," fuhr der Alte fort,denn der Wind, der dem vorherigen Regenwetter folgte und die Wolken verjagte, klapperte auch mit den Ziegeln an jenem Zwischengebäude, und ich glaubte deßhalb das Dach ein wenig untersuchen zu müssen.