Der GcsclWftll.
Amtsblatt für den Oberamtsbezirr NüWld.
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Rr. 145. balbjährlicd dier 54 !r., im B-zerk StUNStag dkN 12. Dezember, mit Postauffchtap I ft. 8 tr.
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L a g c S - Ht e u i g k o i 1 e n.
* Nagold, 11 Dez Diesen Niorgen machte ei» älterer Mann, der sich mit Maulwurfsangen hier und in der Umgegend beschäftigte, auch teilweiseKncchtsdiensl versah, seinem nicht sehr beneideuswerlhcn Dasein durch Erhängen in seiner Schlaskammer ein Ende. — Der gestrige Jahrmarkt bol ein sehr belebtes Bilv, doch finden sich nur wenige Verkäufer befriedigt. Äus dem stark befahrenen Viehmarkl ging der Handel bei den etwas gestiegenen Preisen sehr lebhaft.
Calw, 8. De;. Vergangenen L-onntag war hirw eine S ch n hm a ch e r ko n f er e n z, wozu sogar Schuhmacher von Earls- ruhe und Psorzheim sich eingestellt Hallen. Was die Herren Gutes ausgemacht haben, davon ist noch 'Nichts in die Oesfent- lichkeit aedrungen, voraussichtlich ist es aber nichts sur das Publikum Erfreuliches. Nun, wenn die Herren die Sailen zu hoch spannen, so gibt cs ja Auswege, und dürste die Fabrikation von Holz schuhen, welche auf dem Welzheimer Walde sehr modern hergestetlt werden, und welche zum Tragen sür den Winter sehr zu empfehlen sind, an Aufschwung gewinnen. (N. Tagbl.)
Böblingen, 7. Dez. Gestern Nachmittag ereignete sich in Schönaich ein entsetzliches Unglück. Sechs Kinder fuhren aus Schlitten einen an einen Weiher stoßenden Abhang hinab, und gcriethen sämmtlich in denselben; vier davon wurden gerettet, die andern zwei, worunter ein 11 Jahre altes Mädchen, das einzige Kind seiner Eltern, ertranken, bei einem Drillen wird an der Erhaltung des Lebens gczweiselt.
Eßlingen, 9. Dez.' Heute früh 4 Uhr ist in der Nu dolf Eisele'schen Dampfsägmühle hier Feuer ausgekommen, welches das dreistöckige, 80' lange, 3o' breite Haus vollständig zerstörte.
In Negensbnrg verletzte sich ein Lehrer mit der Stahlfeder eines Schülers die Hand; zwei Tage darauf starb er an Blutvergiftung.
In Rottthal in Niederbayern überfallen zwei Bauernbursche einen Dritten aus dem Heimwege vom „Kammerfenster" und stechen ihn nieder. Der Eine entspringt, der Andere' kniet vorder in eine Hausflur getragenen Leiche nieder, besprengt sich mit Weihwasser nnd spricht ein Gebet für die so plötzlich abberufene Seele. Er rechnet seitdem mit Sicherheit bei den Geschworuen auf Annahme mildernder Umstände.
Berlin, 7. Dez. Wie wir erfahren, gewinnt die Eventualität eine Wiederaufnahme der Reichstagssession nach Neujahr (vermuthlich am 7. Jan.) an Wahrscheinlichkeit. Außer dem Bankgesetz soll alsdann auch dos Civil ehe gesetz erledigt werden. Dagegen begegnet die Nachricht, daß dem Reichstage in diesem Winter auch noch die K o n k rrr s ord n u n g zugehen werde, starken Zweifeln.
Berlin, 9. Dez. Punkt 10 Uhr erscheint Graf Harry v. Arnim auf der Anklagebank. Während der zunächst folgenden geheimen Sitzung, in welcher die Frage des Ausschlusses der Oeffentlichkeit verhandelt wurde, blieb der Saal für das Publikum geschlossen. Un 10 Uhr 30 Minuten erhielten Zuhörer und Berichterstatter der Presse Zutritt. Graf Arnim ist schwarz ge kleidet. Der Gerichtspräsident verkündet den Gerichts-Befehl, wonach die Verhandlungen öffentlich sein, aber aus Gründen des Staatswohls bei der Verlesung verschiedener Aktenstücke eine thcilweise Ausschließung der Oeffentlichkeit erfolgen wird. Die Anklageschrift konstaiirt n. A, daß Arnim auch die letzten incri- minirten Aktenstücke Anfangs Dezember zurückgeliesert habe.
Die „Nordd. Allg. Ztg." neünt die Cenliums-Partei „Fraktion Kullmann."
Im Reichstage hat cs am 4. Dez. einen Sturm ohne Gleichen gegeben und die Römlinge haben ihn heraufbeschworen. Auf der Tagesordnung stand die Verhandlung über die Ausgaben sür den deutschen Bundesrath. Jörg, der verbissene Führer der bayerischen Römlinge, erösfnete die Debatte. Wo hat, fragte er, in diesem Jahre der diplomatische Ausschuß des Bundesrathcs gesteckt? Er hat die Politik des'Reichskanzlers zu koutroliren und diese Kontrole ist um so nölhiger, damit uns nicht der kolossale Mann, welcher die deutsche Politik leitet, mit seinen kolossalen Fehlern in den Krieg mit aller Welt hineinreitct. Er hat nach
Frankreich einen talieu Srrahl Wassers geschickt und er Hai in Spanien inlcrvenirt unr ans Haß gegen die römische Kirche nnd um die Fernde dieser Kirche zu stärken. Es wäre ein Religions- krieg geworden. Er hat es gelhan zu jener Zeit, da er durch das Kullmann'sche Attentat fürchterlich aufgeregt war, so aufgeregt, daß sich ihm Rußland nicht anschloß, als er in Spanien inleinennte. Er Hai furchtbares Fiasko gemacht bei seinem in- umsten Allirrlen. Solche Fehler und 'Niederlagen zu verhindern, dazu tsl der diplomatische Ausschuß verfassungsmäßig eingesetzt; warum hat ihn der bayerische Bevollmächtigte nicht eindernfen? Bayern hätte seilten Einfluß geltend machen müssen. Bismarck antwortet anfangs ruhig, aber scharf und ironisch Leit 13 Fahren Huven wir kein ruhigeres Jahr gehabt als 1874. Vielleicht ist deshalb der btplom. Ausschuß nicht eindernfen worden, er ist aber immer unierrichiei gewesen über meine Politik durch Abschriften der Depeschen u. s. w. Wir haben reine Wäsche und es i,l nicht viel zu verbergen, cs gab keine großen Geheimnisse, keinen Kriegsptan oder ähnliche Abscheulichkciicn. Die dunkeln Schiloeiniigen Jörgs passen eher in einen Roman als in die Politik, sie sind darauf berechnet, die bayerische Regierung bei dem bayerischen Volke zu veidächtigeu, als habe der bayerische Bevollmächtigte seine Schuldigkeit nicht gethan. In Spanien habe ich nicht inlervenirl. Als ich die Nachricht von der Ermordung des deutschen HauptmaNit Schmid t durch die Carlisten bekam, sagte ich mir: wenn das ein englischer, amerikanischer, russischer, französischer Unlcrthan gewesen wäre, so wäre ihm das nicht passirt, icy erkannte darin eine Erinnerung an die alte deutsche Zerrissenheit und ich sagte mir: es ist Zeit, das Ausland -daran zu gewöhnen, daß auch Deutsche nicht ungestraft ermordet werden dürfen. Hätten wir. aus eine barbarische Weise (in a La Don Cartos) antworten wollen, so wären wir im ersten besten carlistischen Hafen gelandet, hätten einen carlistischen Stabsoffizier ergriffen nnd hätten ihn am Thore aufgehängt. Das habe ich aber nicht gethan, sondern nur (durch Anerkennung Serranos) die glimmenden Reste staatlicher Ordnung gestärkt nnd den Gräueln ein'Ende gemacht. — Rußland hat'sich nicht be- theiligt, weil es weniger Interesse in Spanien hat, und wir haben die Meinung unseres ältesten Verbündeten hoch gehalten. Unsere ungetrübten Beziehungen zu Rußland stehen thurmhoch über den Angriffen Jörgs, seine giftigen Pfeile prallen an Rußland ab. — Nach Frankreich habe ich einige kalte Wasserstrahlen geschickt, als die Bischöfe gegen uns hetzten, sie haben eine Abkühlung bewirkt. Wasser ist ein friedliches Element, dessen recht häufiger Gebrauch Herru Jörg sehr zu empfehlen ist. (Allg. Heiterkeit.) Herr Jörg hat vom Kissinger Attentat gesprochen nnd Kullmann halb verrückt genannt. Ich kann Sie versichern, daß Kullmann, den ich selbst gesprochen, vollständig im Besitz seiner geistigen Fähigkeiten ist. Ich begreife es, daß Heer Jörg nnd feine Genossen die Gemeinschaft mit einem solchen Menschen von sich weifen, daß sie niemals auch nur den leisesten Wunsch g e- hablhaben: „wenndieserReichskanzlerdoch einmal irgendwie verunglücken könnte", —aber, meine Herru, mögen Sic sich von diesem Menschen lossagen, wie sie wollen, er hängt doch an ihren Rockschößen fest. (Brüll. Widcrsp. im Cenlrum). Kullmann hat mir auf die Frage, warum er mich habe nmbriugen wollen, obgleich er mich nicht kenne, geantwortet: wegen oer Kirchengesetze! — Auf die Frage, ob er damjt etwas zu besser» glaube, erwiderte er: Bei uns ist es ja schlimm, daß es gar nicht schlimmer werden kann, und dann setzte er hinzu: „Sie haben meine Fraction beleidigt!" und als ich ihn fragte: welches ist denn Ihre Fraction? antwortete er: „Die Centrums- fraction im Reichstage." Nach diesen Worten erhebt sich ein unbeschreiblicher Tumult im Hause; je größer der Lärm im Cenlrum , desto stürmischer das Bravorufen auf beiden Seiten des Hauses. Im Centrum rnfl's wiederholt: Pfui, pfui! — Präsident Forckeubcck rügt das Pfui als unparlamentarifch. Bismarck: Pfui dient zur Bezeichnung von Eckel und Verachtung. Glauben Sie nicht, daß mir diese Gefühle fremd sind, ich bin aber zu höflich, sie auszusprechen. (Neuer Lärm.) Windthorst: Jörg's Anklage ist gerechtfertigt, der diplomatische Ausschuß war nie beisammen, nach Frankreich und Spanien hat der Reichskanzler