seinen Ueberrock bis oben hinauf zu, nahm Hut und Stock und verließ das Haus. Es war eine bekannte Persönlichkeit, auf der Straße grüßten ihn Viele achtungsvoll und dankbar erwiderte er sonst diese seinem ehrenwertheu Charakter geltenden Aufmerk­samkeiten ; heute aber wandte er den Kopf weg, als sähe er die ihm entgegenkommenden Leute nicht.

Auch der Gang war nun überstanden.

Polterabend und Hochzeit folgten, das junge Paar bestieg vergnügt den Wagen und reiste ab.

Alle Mitglieder der Familie fühlten sich nach den gehabten Anstrengungen so erschöpft, daß sie im ersten Augenblick die Tren­nung nicht empfanden und nur an die Wohlihat geistiger und körperlicher Ruhe dachten. Die Großtante begab sich nach Hause und legte sich nieder, Frau Ahlers fand zu ordnen, zu räumen, Alles stand in Unordnung und ihr Gatte zog sich in sein Zimmer zurück, im Herzen froh, daß diese für ihn so schweren Tage überstanden.

Er hatte sich gewaltsam zusammengenommen, um bei einer Gelegenheit, wo er den glücklichen Hochzeitsvaler spielen sollte, nicht dnrch seine traurige Miene aufzufallen. Allein diese er­zwungene Heiterkeit rächte sich jetzt ; er fühlte sich so abgespannt, wie eine nervenschwache Dame »ach einem Balle. Ihm war zu Muthe, als sei Alles an ihm jetzt nur Lüge und Schein. Wenn er mit dem Kopfe vernünftelte, daß er Niemanden ein Unrecht zusügen wolle, so widersprach seine Empfindung trotzdem allen angeführten Gründen.

In den darauf folgenden Tagen vermehrte sich noch seine Niedergeschlagenheit. Als er beim Mahle kaum die Speisen anrührte, wurde seine Gattin aufmerksam und warf einen forschen­den Blick in sein Gesicht. Mit Erstaunen bemerkte sie darin Furchen des Grames, welche ihr neu und plötzlich entstanden schienen, wohl aber in den vergangenen Wochen und Monaten leise ihre Linien gezogen und dem bis dahin rüstig aussehenden Manne in noch guten Jahren das Gepräge des Alters aufge­drückt hatten.

Ist Dir nicht wohl?" fragte sie, und heftiger Schmerz zog bei den einfach hingcworfenen Worten ihr Herz zusammen, das zum ersten Male eine Ahnung des Jammers beschlich, der in stillen Nächten ihren Gatten heimgesncht.Wir wollen doch gleich zum Arzte senden. Du sitzest zn viel, Du mußt Dir mehr Bewegung machen. Vielleicht hast Dn Dir auch den Magen ver­dorben. Man ißt und trinkt bei solchen Gelegenheiten stets etwas zu viel."

Sie sprach in rascher Weise fort, ohne eine Antwort abzu­warten. Sie wagte ihn dabei nicht anzusehen. Sein gramer­füllter Blick halte ihr so weh gethan, daß sie ihm nicht ein zweites Mal begegnen mochte. Sie eilte an den Schrank, holte einen Rest guten Weines und schenkte ein. Der Gatte trank es in einem Zugr aus.

Ich glaube nicht, daß der Doktor mir wird helfen können," sagte er, schob seinen Stuhl zurück und ging in sein Zimmer.

Sie sah ihm in großer Aufregung nach; dann schellte sie, ließ abdecken und nachher sofort den Hausarzt rufen. Sie seufzte schwer und ihr Kopsfchütteln verrieth, wie unruhig ihr Gemüth sei. Sie kannte ihren Mann zu lange und'zu genau, um nicht zu wissen, wo sein Uebel zu suchen sei. Sie hatte freilich gehofft, daß er die Sache leichter nehmen, daß er sie in dem Licht, worin sie ihm dieselbe gezeigt, sehen würde; er that es aber nicht, das war jetzt klar.

Nachdenklich schlich sie von einem Tisch zum andern, rückte

hier ein Stück Möbel, wischte dort ein Stäubchen hinweg und vermochte in ihrer inneren Unruhe keine Handarbeit vorzunehmen. In dieser Stimmung empfand sie die Leere, welche das Ausscheiden einer Tochter in einem eng gezogenen Familienkreise zurückläßt. Olga's junges Gesicht fehlte ihr plötzlich überall. Vielleicht fehlte es ihr auch darum, weil sic sich jetzt ungern mit ihrem Gatten unter vier Augen befand. Sie wollte von der bewußten Sache nicht reden, während sie ihm gegenüber daran zu denken gezwungen war, und indem sie dann von gleichgültigen Dingen ansing, kam es ihr vor, als müsse er auf ihrem Gesichte lesen, daß sie ihm etwas verheimliche.

Der Arzt kam erst am folgenden Morgen und verordnte Bitterwasser.Sie sehen übrigens auch nicht wohl aus," be­merkte er gegen Frau Ahlers.

Das ist die Sorge um meinen Mann," sagte sie verlegen.

Sie wünschte ihn zu zerstreuen, ihn arf andere Gedanken zu bringen; aber er mochte von keiner Gesellschaft hören und war am liebsten allein. Statt nach Tische sein Schlummerschläf­chen zu halten, wunderte er jetzt auf und ab, und doch floh ihn auch Nachts der Schlaf.

Eines Nachmittags erwartete sie ihn lange vergebens zum Kaffee. Ec pflegte sich stets pünktlich einzufinden und als eine Viertelstunde über die gewöhnliche Zeit verstrichen war, schlich sie leise an die Thür und horchte am Schlüsselloche. Alles war still. Sie zog den Schlüssel ab und blickte hinein. Ahlers saß in der Sophaecke, die Hände gefaltet, und rührte sich nicht. Sie dachte, er schlafe und zog sich zurück. Sie stellte den Kaffee heiß auf und wartete. Wieder verstrich eine Viertelstunde und noch immer stellte er sich nicht ein. Sie schlich also abermals an seine Thür und fand ihn ganz in derselben Stellung.

Leise machte sie auf und ging an ihn heran. Jetzt fiel es ihr auf, daß sein Haupt so gar schlaff auf die Brust hing und diese sich nicht durch tiefe Athemzüge, wie beim Schlafen, hob. Sie legte ihre Hand auf die seinigen; sie waren kalt.

Jetzt faßte sie ihn unter das Kinn, schob den Kopf in die Höhe und blickte ihm in das Gesicht.

Da schauten ein Paar Augen sie stier und leblos an.

Ahlers!" rief sie atheinlos,mein Gott, wie ist Dir? Sprich doch mit mir! Sagst Du kein Wort?"

Hülfe!" rief sie dazwischen und griff nach der Schelle. Den ersten, besten Doktor! Der Herr ist krank! Er regt sich nicht, er stirbt! Um Gotteswillen schnelle Hülfe!" «sie holte Wasser herbei, hielt ihm Kölner-Wasser unter die Nase, wusch seine Schläfe mit Essig, erschöpfte sich in allen erdenklichen Mit­teln und dabei perlte der Angstschweiß ihr auf Stirn.

Endlich kam ein Arzt, schlug eine Ader und somit kehrte das Leben zurück. Man brachte ihn zu Bette, schloß die Fenster und erwartete nun, in welchem Zustande er sich befinden würde, wenn er endlich erwache. (Forts, folgt.)

Allerlei.

(Die Dummen werden nicht alle") sagt ein Sprich­wort, das leider jeden Tag eine neue Bestätigung findet. Hier ein kleiner Beitrag: Dem BernerBund" theilt man aus Straßburg mit:Als Curiosum mag erzählt werden, daß ein hiesiger Spediteur wöchentlich etwa 30 Kisten Lourdcswasser nach Deutschland absetzt". Die armen Menschen!

Richtige Rechnung. Kaufmann: Schämen Sie sich, Sie können nicht einmal richtig addiren! Commis: Aber subtrahiren. Wenn ich Ihr Geld von Ihnen abziehe, bleibt Null.

Die

Berühmt ist längst der Ulmer Spatz,

Hoch auf dem Münster ist sein Platz, Doch auch in Reutlingen, der Stadt,

Es nun berühmte Spatzen hat.

Potz Sappermost, muaß döß a Wei'

Von anno 74 sey',

Wenn d'Spatza gar besofsa wänd Und d' Flügel abe hänge länd.

Gibt's irgendwo a Schmauserei,

Ist ganz gewiß der Spatz dabei;

Der Dickkopf mit dem schmutz'gen Kleid Ist zum Schmarotzen stets bereit.

Ein Gassenbnb und Erzwildfang,

Ein Jodel von dem ersten Rang,

Das ist der Schelm, voll Büberei,

Mit seinem wüsten Buhlgeschrci.

Jüngst wollte so ein frecher Burscht,

Am Neuen löschen seinen Durst;

Zu Reutlingen, der alten Stadt,

Sich's also zugetragen hat:

Da flogen sie bis in die Mitte Der wohlgefüllten Weinmostbütts,

Und thaten dann voll Uebermuth Am Heurigen sich gar zu gut.

Neullinger Spatzen nnd der Ne»

lReutlinger Dialekt.)

Doch weh! sie kannten nicht den Geist, Den man am 74er preist;

Besoffen von der Tröberkost,

Da lagen sie im edlen Most,

Schlaff ließen sie die Flügel hängen Und konnten nimmer auf sich schwingen, Wer weiß, ob sie nicht blau gefärbt,

Am Ende hätten gar gegerbt?

Doch eine mitleidsvolle Hand Sie also in der Bütte fand,

Und half aus diesem Götterduft Den Spatzen wieder in die Luft.

Muß es den Spatzen so ergeh'»

Wie wird's um andere Süffer steh'n? Diesmal tränk Prinz Eugene fein Doch Reutlingen's bekannten Wein,

Und würde es nicht mehr beschämen,

'Daß er wollt' lieber Belgrad nehmen. Hat schon der Reutlinger so Stärk', Was wird erst thun der Rothenberg, Der Schnaither, Markels-, Elp ers- Heime r,

Der Tür kn er, Käsberg, Schalken­ste i n e r ?

Im Neckar-, Rems- und Tauberthal,

Da jubelt d' Mostkapp überall,

Am Wartberg und dem Weibertreu Wie geht's da zu, ei, ei, ei, ei!

Wie Mancher kommt in d' Spatzennoth Und liegt wie dieser in dem Koth,

Und zappelt mit den Füß' und Armen, Bis Jemand thut sich sein erbarmen Und setzt ihm seine Kapp' zurecht,

Daß er sich wieder weiter brächll Letzt' meinte Einer gar o Graus Er sei im Chausseegraben z' Haus!

Ein Andrer legt voll Seligkeit In Hausöhr'n sich ganz krötenbreit,

Und meint dabei 's ist wahrlich nett,

I Er lieg' ganz weich in seinem Bett.

Ja, ja, der 74er ist kein Tropf,

Er steigt gewaltig in den Kopf.

Gar Mancher da wohl meinen kann,

Er sei fürwahr kein Ehrenmann,

Wenn er nicht auch an Zopf sich trinkt, Damit ihm dieser Jahrgang denkt.

Spatzenhausen, im Oktober 1874.