Das „Journal de Lyon" erzählt folgenden drastischen Fall: „Ein Arzt wurde unlängst zu einern Bauer in der Umgebung von London gerufen, welcher an einem typhösen Fieber litt. Der Arzt verordnet«: Lern Kranken unter Anderem auch ein kaltes Bad. Am nächsten Tage erschien der Arzt abermals und erkundigte sich nach dem Kranken. Der Bruder desselben sagte traurig zu dem Arzte: „Ich glaube, das kalte Bad ist »reinem Bruder schlecht bekommen, er ist fast lodt," — „Was", erwiderte der Arzt, „vielleicht hat man den Kranken zu lange im Bade gelassen? — „Das kann schon sein, denn der Sirick ist gerissen." — „Der Strick?" rief der Arzt entsetzt. — „Nun ja," sagte der junge Bauer, „wir haben keine BaLwanne, darum ließen wir den Bruder mittels eines Strickes, Len wir rlirrr unter de» Armen befestigten, in den Brunnen hinab. Als er das Wasser spurte, schlug er so um sich, daß der Strick zerriß. Wir mußten nun eine Leiter, einen neue» Strick u s. w. holen; das dauerte wohl drei Viertelstunden " — „Aber Ihr seid ja verrückt. Ze>gt rasch Euren Bruder " Nachdem der Arzt za dem Sterbende», welcher regungslos dalag, geführt wurde, verordnest' er tüchtige Froltirnngen und nach kurzer Zeit konnte sich der Arzt Überzeugen, Laß das Fieber vollständig verschwunden und der Kranke außer aller Gefahr sei. Das angeführte Journal fügte noch hinzu, daß die Geschichte absolut wahr sei.
Mailand, 1ö. Juni. Der orkan-ähnliche Sturm mit außergewöhnlichem Hagelschlag vom 13. d. hatte sein Centrum über unserer Stadt und erstreckte sich beinahe regelmäßig nach allen Seilen eine Stunde über die Mauern hinaus. Zwei Gewitter, das eine von Nord (Varese), das andere von Süd (Piaccnza) kommend, stießen über Mailand zusammen; gegen Süden wurden die Zonen Melegnano bis San Donato und sogar bis Casalpusterlengo, gegen Norden Gallerale und Sarronno verwüstet. Diese Zonen und die Umgebung von Mailand bis zu einer Stunde Entfernung wurden all ihrer Bodenerzeugnisse beinahe vollständig beraubt. Die Rebstöcke haben weder Blätter noch Trauben, die Obstbäume sind kahl und zerschlagen; die Frucht ist in die Erde getrieben, die Maisfelder gleichen Wüsteneien; die Gemüsegärten sind kaum noch erkennbar. Die nächste Folge letzleren Schadens war, daß das Gemüse um 100 pEt. aufschlug. Der schwer betroffene Gutsbesitzer und der Landmann betrachten mit Schauder die schreckliche Verwüstung und mit Grauen blickt der Familienoater in die Zukunft; sein freudiges Hoffen beim Anblicke des üppigen Standes der Feldfrüchte hat ein 10 Minuten andauernder Sturm in Angst und Zagen verwandelt. Es ist noch ein Glück, daß sich allenthalben der Seidenspinner schon cingepuppt hatte, oder doch schon am Einpuppen war; denn sonst hätten bei dem Mangel an Maulbeerbaum- blättern Milliarden von Raupen verhungern müssen und der Schadet! wäre kaum zu ertragen gewesen. Bei der Schwere der Schlossen ('» Pfund) ist es als ein Wunder anzusehen, daß kein Menschenleben verloren ging; jedoch kennt man 30 stark Verwundete, welche theils im Spiral, theils bei Privaten liegen. Ein Fuhrmann erhielt 8 Quetschungen am Kopfe: ei» Buchhalter verlor ein Auge, einem Bauern wurden beide Beine zerschlagen, als eine Halle, unter der er Schutz suchte, zusammeubrach. Einem 12jährigen Mädchen, das mit ihrem Leibe ihr dreijähriges Brüderchen bedeckte und sich selbst aus offener Straße aus Liebe zum Kleinen dem schrecklichsten Schlosseuwurf preisgab, wurde ein Ohr abgeschlagen. Der StaLtschaden ist weit größer als anfangs vermnlhet wurde. Kein Haus blieb verschont und ,zum empfindlichen Schaden gesellt sich noch die Preiserhöhung der Lebensmittel.
Das Zauberbild.
(Fortsetzung.!
Die Spaziergänge der beiden Freundinnen durch die Schottengasjs und die Betrachtung des Bildes wurden von nun an fast Tag für Tag regelmäßig fortgesetzt. Aber sonderbarer Weise gerielhen die Mädchen fast jedes Mal bei der letzleren in mehr oder minder erregst» Zwist. Zuerst über die Augen, denn waren diese Anfangs braun erschienen, so erwies sich allmählich, daß sie grau waren, was Livia zuerst zwar nicht zügelte» tvollle, zuletzt aber gerade als besondere Schönheit pries. Auch die schöne griechische Form der Nase zeigte sich nur als Täuschung der Beleuchtung, denn je mehr sie dieselbe kritisirte, um so störriger behauptete Minni, sie nähere sich nicht nur der echt deutschen, kolbigen Hakengestalt, sondern sei sogar entschieden unschön, worüber sich dann die ästhetische Freundin nicht wenig erboste. Ein besondrns heftiger Zank erhob sich um den Mund des Porträts Endlich konnte sich die spöttische Minni nicht enthalten anszurnfen: Ich sage Dir, er wird bloß durch die Ohren an der Reise um den Kopf gehindert, und, aufrichtig, er gleicht so ganz dem Munde Deines Cousins Schani, daß ich nicht begreife» kann, weßhalb Du diesen so verächtlich behandelst!" Da war aber Livia fast außer sich, sprach von Blasphemie, von Mangel an der Auffassung des Schönen, von verkannter Freundschaft, und wollte wirklich ein Paar Tage lang nichts von der Begleiterin wissen.
Der Weihnachtsabend aber brachte wieder alles in's Ge» leise. Die einzige Tochter des reichen Fabrikanten ward natürlich so beschenkt, wie nur ihre kühnsten Erwartungen wünschen durften: Minni, welche selber keineswegs vergessen werde, war gleichfalls unter den Geberinnen, sie brachte ein kostbar gesticktes Taschentuch, dessen Zipfel einen leeren Gemälderahmen, 'umrankt von 'Vergißmeinnicht und Immergrün in vorzüglichster Arbeit zeigte, Alfvus hatte das Muster entworfen, was ihr den Ver- söhuuugskuß, sowie die lebhafteste Belheuerung unaustilgbarer Freundschaft eintrng. Auch Schani war an diesem Abend im Hanse des Onkels; wider seine sonstige Gewohnheit aber erschien er sehr still, drückte sich in die Ecken, starrte mit sonderbaren Blicken nach der schönen Cousine, und warf nur ein paarmal einige dunkele Phrasen in die Uiilerhaltung, welche sogar auf Livia Eindruck machten. Mit einer ähnlichen Phrase hatte er ihr sein Geschenk überreicht, es war ein einfacher Strauß, allerdings aus Maiblumen und Veilchen, seltenen Blnmenkindern zu dieser Jahreszeit, aber nicht blos er allein bemerkte, daß das Mädchen gerade diese Gabe fast aufmerksamer beschaute und hegte, als alle übrigen ihres reichen Tisches.
Einige Tage darauf standen die Freundinnen abermals vor dem Bilde. „Weißt Du," sagte Livia zögernd, „daß ich Dir doch Recht geben muß? Ich finde selber jetzt manche Aehnlich- keit dieser Züge mit denjenigen meines Cousins, welche ich früher, bei stets nur flüchtiger Betrachtung, nicht heransgefunden halte. Ich danke Dir sogar dafür, daß Du mich darauf hingewiesen hast. Denn, beim Lichte besehen, ist Schani wirklich kein so übler Bursch. Denke nur an sein sinniges Weihnachtsgeschenk! Das Beste aber daran war: es enthielt ein Blatt, und aus diesem Blatt stand ein Gedicht, ich sage Dir, ein allerliebstes, fein gefühlles Sonnet an mich. Ich hätte dem guten Jungen eine solche poetische Aver gar nicht zugetraut. Aber ich darf doch nicht an ihn denken, und wenn ich ihm ja wieder mit einige» Versen antworte, so wird es nur im Scherze sein können."
„Steht es schon so?" dachte Minni und gerieft) in seltsame Ansregung, denn es zeigte sich das ersehnte Ziel jetzt znm ersten Male vollkommen deutlich vor ihren Augen. „Jedenfalls muß Zauberei dabei im Spiele sein, ich begreif' es nicht, aber sie steckt in dem Bilde, und den schlimmen Zauberer, der dabei die Hand im Spiele hat, glaub' ich zu kennen."
Was braucht es noch vieler Erzählung? Es dauerte nicht lange, so kam da oder dort das Gespräch aus ein Porträt, welches, beim Vergolder in der Schottengasse ausgestellt, dem Herrn Schani doch außerordentlich ähnlich sehe, wobei Livia Ansangs bleich, zuletzt roth wurde; vierzehn Tage nach Neujahr tanzte sie zum ersten Male in ihrem Leben den Cotillon mit dem glücklichen Cousin, der in dieser Saison keine andere Dame auch nur eines Blickes würdigte, ganz zu schweigen von den geistreichen Aperyu's, welche er oft mitten in ein Gespräch vom Weiter und der Beleuchtung warf, gleich als schwebe sein Geist in entlegenen Regionen iransscendentaler Weisheit, und von den Madrigalen, Ghaselen, Sonetten, deren Träger die übersandten Ballbouquets waren. Sonst aber war Schani merkwürdig still und in sich gekehrt; wenn seine aufgeweckte Tänzerin ihn zuweilen in eine tiessinnige Unterhaltung über Welt und Literatur zu ziehen trachtete, dann schüttelte er traurig den Kopf, und seine Antwort war gewöhnlich blvS ein tiefer Seufzer. „Der arme Junge!" dachte dann Livia und zu dem Gefühle des Mitleids begann sich ein anderes zu gesellen, welches zuerst nur dem Gefallen an der Macht ihres bedeutenden, die Männer beherrschenden Wesens entsprang, sich allmählich aber um so tiefer haftend in ein ganz anderes nmwandelte, als sie zur Erkenntniß gekommen sein schien, es stecke in ihrem Vetter ein bedeutendes Genie, und er verstehe nur nicht, es zur Geltung zu bringen. Sollte es aber deßhalb untergehen, verloren sein? Nein!
Der große Faschingsball im Hanse Wertheim, zu welchem eine Einladung zu erhalten für eine besondere Gunst des Schicksals galt, sollte diesmal in Kostümen abgehalten werden. Der Herr Stadtrath, welcher keineswegs blind war, und sammt seiner Gattin längst mit innigem Wohlgefallen gemerkt hatte, wie der Hase lief, wollte bei dieser Gelegenheit den ganzen Glanz seiner Urbanität und seines Reichthums entfalten, zumal er fest darauf zählte, hier das Ziel seiner Wünsche zu erreichen, worin ihn die schlaue Minni, wenn auch mit etwas klopfendem Herzen, bestärkte. Sie war durch den überraschenden Fortgang des von ihr ange- zettelten Handels dermaßen in der Gunst des räthlichen Paares gestiegen, daß sie es hatte wagen dürfen, ihren Alfons als Arrangeur der lebenden Bilder vorzuschlagen, welche den Hanpteffect der Soiree bilden sollten. Da gab es denn Proben über Proben mit lustigen Episoden, welche vielleicht besser unterhielten, als später die Aufführung selber, und der launige Maler gewann rasch alle Herzen, selbst das des gestrengen Herrn Wertheim, der einmal Minni auf die Schulter klopfend meinte: „Jetzt begreif' ich's, Dein Geschmack ist nicht übel, seiner aber noch besser." Nur zu dem Hauptbild, welches Livia stellen sollte, wurden alle Proben in Gegenwart der übrigen Mitwirkenden für unzulässig erklärt; selbst Minni erfuhr den gewählten Gegenstand nicht und begann