Yro. 35
60 . Jahrgang
Amts- unä Jatelligenzbkatt De llen Aezirlr.
Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.
Die Eimücknngsgebühr beträgt 9 ^ p. Spalte im Bezirk, sonst 12
8amstag, äen 21. März 1885.
Abonnementsprcis halbjährlich 1 80 H, durch
die Post bezogen im Bezirk 2 30 H, sonst in
ganz Württemberg 2 ./L 70
Amilrcöe Wekctnrrtmcrchurrgerr. Calw.
Bekanntmachung.
Unter den Schafen des Jakob Hauser in Seizenthal, sowie des Jakob Wentsch, Christian Wentsch, Johannes Rentier, Johannes Ohngemach, Jakob Schaub, Jakob Walz und Georg Ohnge - m ach in Kohlersthal ist die Räude ausgebrochen.
Den 19. März 1885. K. Oberamt.
Drück, Am., A.-V.
Calw.
Aushebung einer Meäfperre betr.
Die s. Z. wegen Ausbruchs der Lungenseuche unter dem Rindvieh des Christian Spengler, Wagners in Stammheim, verfügte Sperre wird hiemit aufgehoben.
Den 19. März 1885. K. Oberamt.
Drück, Am., A.-V.
Bekanntmachung der K. Zentralstelle für Gewerbe nnd Kandel, betreffend den Weginn von Anterrichtskurfen in den Weöschnlen zu Htentlingen und Keidenheim.
Nach Ostern d. I. beginnen in den unter Oberaufsicht der K. Centralstelle stehenden Webschulen zu Reutlingen und Heidenheim wieder neue Lehrkurse.
Dieselben haben den Zweck, tüchtige Fabrikanten, Webmeister, Dessinateure re. heranzubilden, sowie jungen Kaufleuten, welche sich mit dem Ein- und Verkauf von Erzeugnissen der Textilindustrie zu befassen haben, Gelegenheit zur Erwerbung der hieiür erforderlichen technischen Kenntnisse zu geben.
Der Unterricht erstreckt sich auf Theorie und Praxis aller Zweige der Schaft- und Jacquard-Weberei niit Hand- und Dampfbetrieb, sowie auf Freihand-, Muster- und Maschinenzeichnen.
An der Webschule in Reutlingen besteht ferner eine eigene Abteilung für den Unterricht in der Wirkerei auf Kettenstühlen, Culirstühlen, Rundstühlen rc.
Aus der Webschulstistung daselbst können unbemittelten, besonders befähigten Zöglingen der Webschule Unterstützungen zu ihrer weiteren Ausbildung verwilligt werden.
Beide Anstalten sind mit Webstühlen und Hilfsmaschinen aller Systeme, sowie mit Zeichenwerken, Fachzeitschriften u. dergl. aufs Beste ausgestattet.
Anmeldungen sind zu richten:
für Reutlingen an Weberei-Inspektor Winkler daselbst, für Heidenheim an den technischen Vorstand der Anstalt: Zeichenlehrer Leopold oder an den Vorsitzenden des Webschulvereins: Hrn. Rich. Ioos in Heidenheim.
Ebendieselben sind zur Erteilung weiterer Auskunft bereit.
Stuttgart, den 12. März 1885.
G a u p p.
politische Wcrchvichten.
Deutsches Reich.
Berlin, 17. März. Reichstag. Die rückständigen Teile des Post- dampsergesetzes wurden ohne große Debatte nach den vom Abg. Hainmacher vertretenen Vorschlägen der Nationalliberalen erledigt, dann wurden einige Wahlprüfungen und kleinere Sachen absolvirt, und schließlich die nicht von der Regierung, aber von der Freien wirtschaftlichen Vereinigung vorgrschlagenen Zollerhöhungen auf Gemüse, Kohl rc.discutiert. Der Gegenstand färbte etwas auf die Art der Behandlung ab. Gründe dafür wurden eigentlich nicht vorgebracht, so daß die Gegner, unter , denen der Abg. Struckmann sehr energisch gegen die Zölle eintrat, ziemlich leichtes Spiel hatten. Der Abgeordnete Meyer-Halle erwarb sich durch seine humoristische Behandlung der Frage den Dank des Hauses, welches denn auch in seinem Sinne entschied und die Gemüsezölle ablehnte. Morgen beginnt die zweite Beratung der Holzzölle, wobei es wieder heiß hergehen, wird.
Berlin, 18. März. Der Reichstag begann heute die Beratung der Holzzölle. Die Zollposition 13a lautet: Holz und andere vegetabilische und animalische Schnitzstoffe, sowie Waren daraus: s) Brennholz, Reisig, auch Besen von Reisig; Holzkohlen; Korkholz, auch in Platten und Scheiben; Lohkuchen (ausgelaugte Lohe als Brennmaterial); vegetabilische und animalische Schnitzstoffe, nicht besonders genannt — frei. Die Kommission beantragt: Brennholz, Holz zur Cellulose-Fabrikation rc. frei. Grillenberger (Soz.) beantragt, einzufügen: Zedernholz 10 H, geschnittenes Zedernholz 25 H. Kr über (VolkSp.) beantragt: Rohholz von Buxbaum, Zedern, Kokos, Ebenholz, Mahagoni 10 H. (Nach dem Entwurf würden diese Hölzer unter Pos. e fallen und einen höhern Zoll entrichten.) Nickert ist gegen die Holzzölle, welche blühende Jndustrieen schädigen und vielleicht unmöglich machen würden. Der Zoll auf Zedernholz sei ein Ruin für die Bleistiftfabrikation, die mit großer Mühe dem Ausland gegenüber den Weltmarkt behaupte. Durch den Zoll auf amerikanisches Edelholz werde die hamburgische, lübeckische und die mecklenburgische Fournierindustrie schwer benachteiligt. Finanziell bringe der Holzzoll nicht solche Vorteile, daß den genannten Schäden gegenüber sich die Einführung desselben rechtfertige. Graf S t o l b e r g - Wernigerode hält die Befürchtungen Rickert's für vollständig unbegründet. Bayrifcher Bundes-
Feuiüeton. Nachdruck vkrbot-n.
Die Königin Louise
und ihre Schützlinge.
Historische Erzählung von Karl Prenzla n.
(Fortsetzung.)
Dem jungen Preußen war es allerdings nach mancherlei Gefahren und Mühseligkeiten gelungen, sich bis nach der russischen Hauptstadt durchzuschlagen. Um einer Entdeckung und Verhaftung zu entgehen, hatte er, so sehr dies seinem offenen, ehrlichen Charakter widerstrebte, zu dem Mittel der Bestechung seine Zuflucht nehmen müssen. Ein alter, in den kümmerlichsten Verhältnissen lebender Stadtoberst hatte sich gegen ein Geschenk von fünf Rubel bereit finden lassen, ihm auf den Namen Kutzellack einen Paß auszustellen. Da unser Held wenigstens der lithauischen Sprache einigermaßen mächtig -war, durfte er hoffen, in der Hauptstadt Arbeit zu finden und sich dort bis zum Eintritt günstigerer Zeitverhältnisse unerkannt aufhalten zu können.
Es hatte in der Thal den Anschein, als solle Alles gut gehen. Humbert nahm in Petersburg Logis in einem deutschen Gasthofe und erfuhr von dem Eigentümer desselben, daß ein in der Nähe wohnender kaiserlicher Beamter Naniens Kuwalosf einen deutschen Sprachlehrer für seine beiden im Alter von 8 und 9 Jahren befindlichen Knaben suche. Der junge Mann betrachtete dies als einen Wink der Vorsehung. Ohne zu zögern, begab er sich in die Wohnung des Ministerial-Beaniten, stellte sich vor und hatte das Glück zu gefallen und sofort angenommen zu werden. >
Mit dem regsten Eifer gab er sich seinen Pflichten hin. Durch sein redliches Bemühen, die ihm anvertrauten jugendlichen Seelen zu bilden, erwarb er sich bald das Vertrauen der Eltern im hohen Grade, aber auch seine Zöglinge hingen an ihm mit der innigsten Zuneigung.
Es gab Stunden, in welcher er seine neue Lage erträglich fand, und wäre nicht die Sehnsucht nach der Heimat und den Seinigen in ihm so mächtig gewesen, hätte nicht das Bild der jungen Tilsiterin sich mit unvergänglicher Frische in seinem Herzen behauptet, er würde sich vollkommen glücklich gefühlt haben. '
Da erfuhr er die Ankunft des preußischen Königspaares, und dies gab seinen Gedanken an das, was er zurückgelassen, neue Nahrung. Von seiner Anhänglichkeit für das hochverehrte Herrscherpaar getrieben, mischte er sich an allen den Orten, wo es erschien, unter die Zuschauermenge. Jede Furcht vor Entdeckung war wie mit einem Zauderschlage aus seiner Seele geschwunden.
Da trat eines Nachmittags, als er mit der Familie des Prinzipals in heiterem Geplauder bei Tisch saß, ein elegant gekleideter Herr in das Zimmer. Seine von einer goldenen Brille verdeckten Augen streiften die Gestalt des jungen Hauslehrers mit einem raschen, prüfenden Blick.
Nach höflicher Begrüßung trat er auf den Hausherrn zu und flüsterte diesem einige Worte in's Ohr.
Herr Kuwalosf richtete seine kleinen scharfen Augen sofort auf den ihm gegenüber sitzenden Preußen.
„Mein junger Freund! was ist das?" rief er in ernstem Tone, „Sie sollen diesem Herrn sofort nach dem Polizeihause des Quartiers folgen.
Humbert erbleichte.
So war denn Alles verraten. Man hatte ihn trotz seiner Maske erkannt.