86
Bietigheim, 15. Febr. Ein reizender, sehr belebter Maskenball, der von der hiesigen Schützengesellschaft veranstaltet war, fand gestern Abend im Postgasthof statt und ergötzte eine zahlreiche heitere Gesellschaft. Kundige Hände hatten den Saal des Gasthofs hübsch verziert; die Ausrüstung der Schützen glänzte im Tannengrün, Karaktermasken schmückten die Wände. Paare mit originellen Kostümen und Toiletten bewegten sich im Saal und unter den Gästen, Lust und Freude äußernd, Scherz und Neckereien treibend. Ernst und schweigend schritt der Eremit durch den Saal. Eine stattliche Schützenliesel mit Zimmerbüchse bewehrt und während der Pause mit einer Zimmerstutzengesellschaft am Schießstand sich übend zog die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Mit Extrazug kamen Gäste aus Angra Pequenna und Kamerun; Unterthanen des Königs Bell führten einen höchst komischen Negertanz auf, der durch Hagenbeck geleitet wurde. Ein berühmter Professor der Magie zeigte seine Zauberkünste, doch war sein Medium etwas halsstarrig. Eine Wiener Damenkapelle produzierte sich mit außerordentlichen Leistungen auf ganz neu erfundenen Instrumenten. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit arbeitete der Schnellmaler und Konzertbildhauer Rafaelo aus Italien nach dem Takte der Musik, eine prächtige Landschaft entstand durch seine Kunst, aber das Terracottabild verlor schließlich den Kopf. Ein hochgelehrter Professor hielt einen interessanten und wissenschaftlichen Vortrag über die Tierwelt unter Vorzeigung ganz eigenartiger Exemplare. Diese Aufführungen boten farbenprächtige lebhaft bewegte Bilder, welche das Publikum gar sehr erfreuten und belustigten. Zum Tanzen war hinreichend Gelegenheit gegeben, und unter großer Befriedigung endete der fein geordnete, gut gelungene Ball.
Gotha, 13. Febr. Es gereicht unserer Wurstfabrikation zur Ehre, daß der Obermeister der Fleischergilde nach Frankfurt a. M. berufen worden ist, um in einer gegen 18 dortige Fleischer anhängigen Anklagesache wegen Nahrungsmittelverfälschung ein sachverständiges „Gutachten" darüber abzugeben, ob bei der Herstellung von Leberwurst die Beimengung von Stärkmehl als sog. „Bindemittel" unbedingt erforderlich sei oder nicht. Die betr. Frankfurter Metzger hatten zur Beschönigung ihrer Handlungsweise die Verwendung von Stärkmehl bei Bereitung von Leberwurst als unentbehrliches Erfordernis hingestellt. Herr Obermeister Geyer hier gab jedoch sein Urteil dahin ab, daß die Beimengung bei Herstellung von Leberwurst durchaus keine Notwendigkeit und daß ein solches Verfahren hier in Gotha, wo täglich viele Zentner Wurst für den Export bis in die fernsten Weltteile fabriziert werden, bei keinem Metzger üblich sei. Auf Grund dieses Gutachtens, welches die Beklagten mit dem seltsamen Einwand zu entkräften suchten, daß das Fleisch in Frankfurt „wässeriger" sei, als in Gotha, wurden die Angeklagten in empfindliche Geldstrafen und in die hohen Kosten verurteilt.
Wevrnischtes.
— Die Entstehungsursache des Bandwurms ist: wenn die Finnen im Schweinefleisch im lebenden Zustand in den menschlichen Körper gelangen, z. B. beim Genuß von rohem Schweinefleisch.
— Es wird immer bunter in dieser Welt und in der Herrenwelt ist eine große Revolution ausgebrochen, zunächst in London und Paris. An der Spitze dieser Revolution steht der Prinz von Wales. Die Modeherren tragen farbige (rote) Fräcke mit silbernen Knöpfen, dazu weiße Weste und Kniehosen, weiße Seidenstrümpfe und schwarze Atlasschuhe mit silbernen Schnallen. Der ernstere Mann trägt einen blauen Frack mit goldenen Knöpfen und weiße lange Cachemirbeinkleider. Aeltere Herren erschienen in braunen Beinkleidern, braunem Frack und weißer Weste. Die Beinkleider sind großgemustert wie in Urgroßväter - Zeiten und in den lebhaftesten Farben. Ganze Anzüge von demselben Stoff, wie noch vor wenigen Jahren, sind ganz außer Mode; Rock, Hose und Wests müssen verschiedene Farben haben. Umlegekragen dürfen nur Männer über 50 Jahre tragen. Die Cravatten müssen rot und breit sein mit Blumen und Arabesken, das saubere weiße Hemd darf man nicht mehr sehen. Unbedingt notwendig für moderne Herren sind breite Armbänder, handbreite goldene Ührketten, Ringe an jedem Finger und mächtige Siegelringe am Daumen, kurz alles, was bei Leuten von Geschmack vor Kurzem noch streng verpönt war.
„Mein Herr!" erwiderte Alma, indem sie sich würdevoll aufrichtete, „wenn Sie ein braver und edeldenkender Offizier sind, so werden Sie Ihrem Kaiser die Sache nicht um ein Haar anders vortragen, als sie sich in der That verhalten hat."
„Ich werde gerecht sein, allein ich erwarte, daß Sie die Wahrheit sagen, mein Fräulein!"
„So wahr ich selig zu werden gedenke", versicherte Alma, „und nun hören Sie, mein Herr. Dieser Offizier hier mag ein ausgezeichneter Soldat gewesen sein, allein ein ehrenwerter Mensch war er nicht. Er bedrohte die Ehre eines wehrlosen Mädchens, er stand im Begriff, den guten Ruf einer bis jetzt unbescholtenen Jungfrau in den Schmutz zu treten. Diese Jungfrau bin ich, Alma Reimer, und als deutsches Mädchen fluche ich ihm deshalb, obwohl die Strafe ihn ereilt hat."
Der Auditeur runzelte die Stirn, allein die Züge des Mädchens verloren ihren zornsprühenden Ausdruck nicht.
Sie wollte fortfahren, als die Thür hastig aufgeriflen wurde und das boshafte Antlitz Kreuzer's zum Zimmer herein sah.
„Glauben Sie der verlogenen Kreatur nicht. Herr Auditeur!" schrie er mit heiserem Lachen, „sie ist im Stande, die Maske eines Seraphs anzunehmen, während sie doch ein Herz besitzt, so schwarz wie die Nacht. Ich kenne sie, Herr Auditeur, und mir macht sie wahrhaftig nichts weiß. Sie hat den Offizier hierher gelockt und durch ihren Liebhaber ermorden lassen. Ich habe das gesehen. Ich kann das beschwören, ich, der ehrsame und achtbare Kaufmann und Bürger Johann Matthias Kreuzer!"
Das junge Mädchen stand eine Sekunde lang wie vom Donner gerührt. Dann machte sie eine Bewegung, um sich auf den Verläumder zu stürzen,
Erklärung.
Calw, 17. Febr. In der vorigen Nummer dieses Blattes wird mein in der Generalversammlung des landw. Bezirksvereins am 2. Februar erstatteter Rechenschaftsbericht, soweit er die Erhöhung der Getreidezölle be- trifft. von einem Anonymus zum Gegenstand eines Angriffs gemacht. Es ist nicht meine Absicht, über diese Frage, die im Reichstage zur Stunde wohl schon so entschieden ist, wie es vorauszusehen war, mich mit einem Gegner der nicht einmal sein Visier öffnet, in einen höchst unfruchtbaren Streit einzulassen und habe ich ja auch bei meinem Referate sofort erklärt, daß mir die Absicht, eine (voraussichtlich end- und resultatlose) Debatte herbsizuführen, ferne liege, daß ich mich vielmehr nur für verpflichtet halte, meinen im Ge- sammtcollegium der Centralstelle in dieser aucb im Bezirks-, wie im Gauausschuß resultatlos besprochenen Frage eingenommenen Standpunkt dem Vereine gegenüber zu rechtfertigen, den ich in jenem Collegium zu vertreten die Ehre habe. Wenn aber der Anonymus gleich von vornherein behauptet, ich habe mir „aus bekannten Gründen" die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollen, mich über die Frage zu äußern, so ist dies eine Unterstellung, für die mir ein sehr scharfes Wort auf der Zunge liegt, so scharf als es kürzlich dem Reichskanzler in der allgemeinen Debatte entschlüpfte. Ich hatte absolut keinen andern Grund, mich über die Frage zu äußern, als den eben angegebenen, und wenn der Einsender.mit seiner Behauptung etwa sagen will, ich habe politische Agitation damit machen wollen, so schlägt er damit nur der Wahrheit ins Gesicht, da ihm nicht unbekannt sein kann, daß ich mich seit Jahren von aller politischen Agitation zurückgezogen und seit ich dem Vereine diene, selbst in jener Zeit, als ich mich noch lebhaft am Parteiwesen beteiligte, mit größter Sorgfalt jedes Hereinziehen von irgendwie politischen Fragen in den Verein zu verhindern bestrebt war. Uebrigens ist die Frage von den Getreidezöllen für mich, wie für viele Andere, durchaus nicht eine Parteisrage und es sind Gegner der Zölle in allen politischen Lagern zu finden. Ich stehe vielmehr, wenn ich in erster Linie Zölle auf Lebensmittel für falsch halte, auf einem rein Humanitären Standpunkte. Zum Verständniß meiner weitern Argumentation muß ich dem Anonymus, wie es scheint, ein wenig nachhelfen. Mein zweiter Satz kann verständigerweise doch nur so aufgefaßt werden: Selbst wenn diese Zölle (wie ja vorauszusehen) angenommen werden, so werden sie nicht die beabsichtigte Wirkung (Erhöhung der Kornpreise) haben, und ich sehe im Geiste die große Enttäuschung aller derjenigen voraus, die von der in der letzten Zeit an allen Enden und Ecken des Reiches ertönenden Lärmtrompete aufgeregt sich goldene Berge von diesen Zöllen versprechen. Die Phrase von der Vertheuerung des Brodes des armen Mannes steht nur in dem Angriff des Anonymus; aus meinem Referate ist sie auch nicht mit einer Sylbe herauszuhören gewesen und scheint mir hienach, daß der Einsender der Versammlung gar nicht angewohnt hat, sonst hätte er wohl auch gehört, daß im deutschen Reiche V? zu wenig Brodfrüchte, ungefähr 40 Millionen Ctr. zu wenig erzeugt werden und daß es darum wohl angezeigt ist, eine höhere Produktion anzustreben; denn was man selbst erzeugt, braucht man nicht zu kaufen. Die finanzielle Seite der Frage, der Zufluß von Millionen in die Reichskasse, ist für mich in keiner Weise entscheidend. Das Reichsdeficit von 40 oder gar 60 Millionen muß selbstverständlich gedeckt werden. Aber das Wie? gehört nicht in die Aufgabe eines landwirthschaftlichen Vereins oder Collegiums.
Mit diesen wenigen Sätzen bin ich eigentlich schon weiter gegangen, als ich wollte; eine erschöpfende Darstellung meines Standpunktes kann ich weder hier, noch konnte ich sie in der Generalversammlung geben. An Proselytenmacherei konnte ich in dieser um so weniger denken, als mir ja die fast allgemeine schutzzöllnerische Gesinnung wohl bekannt war. Auch wird sich der Anonymus kaum schmeicheln wollen, mich von der Verkehrtheit meiner Ansicht überzeugen zu können, so wenig ich bei ihm einen derartigen Versuch machen möchte. Wenn es ihm übrigens Vergnügen macht, sich mit mir privatim weiter über den Fall zu besprechen, so stehe ich mit Vergnügen zu Diensten; zu einem Zeitungsstreit mit einem verkappten Gegner aber fehlt mir ein für allemal die Lust und ich stehe ihm in diesem Blatte kein Wort weiter Rede.
E. Horlacher.
allein dieser deckte seine kleine Gestalt rasch hinter den Soldaten, welche die Thür besetzt hielten. Alma schwankte. Sie vermochte die entsetzliche Gemeinheit dieses Schurken nicht zu fassen. Ein Schwindel befiel sie und mit dem schneidenden Ausruf „Ungeheuer!" brach sie bewußtlos zusammen.
Mit einem Jammerschrei warf die Mutter sich über ihr unglückliches Kind.
Der Offizier sandte dem Kaufmann einen unwilligen Blick zu und wandte sich dann in befehlendem Tone an die Soldaten:
„Niemand verläßt das Haus. Auch der verwachsene Kerl dort bleibt vorläufig in Haft. Er ist für das, was er gesagt, verantwortlich."
„Ich bin ein achtbarer Kaufmann und Bürger von Tilsit", antwortete Kreuzer trotzig, „und jedes Kind weiß, wo ich zu finden bin. Ich stehe unter preußischem Schutz, und kein Franzose hat das Recht, mich zu verhaften!"
„Wo es die Ermittelung eines Mörders handelt, der einen der besten Soldaten des Kaiserreiches getötet hat, kann keine Maßnahme zu streng erscheinen" , erwiderte der Auditeur trocken. „Es kommt Keiner aus diesem Hause hinaus, bevor der Mörder ergriffen und Seine Majestät über diesen Fall Beschluß gefaßt haben!"
Der Bucklige ballte wütend die Faust und schnitt eine so wütende Grimasse, daß die gesamte Begleitmannschaft in ein dröhnendes Gelächter ausbrach.
Der Auditeur wollte soeben das Haus verlassen, als lebhafter Trommelwirbel auf der Straße erschallte. Hornmusik schmetterte dazwischen. Die Schläge von Rosseshufen dröhnten die Straße herauf. Waffengeklirr und lärmende Stimmen erhoben sich, und deutlich drangen die Rufe: „Der Kaiser, der Kaiser! vive l'emporour!" durch das Getümmel.
(Fortsetzung folgt.)