,/^F 1^7. Dienstag den 29. Oktober. 1872 .
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Habt ihr versichert ^
Wie viele haben sich während der jüngsten Aeqninoctialstürme mit dem ängstlichen Wunsche zu Bett gelegt: „Wenn nur heute Nacht kein Feuer anZkomint!" und wahrlich, Befürchtung und Wunsch waren beide gleich natürlich, da bei der großen Dürre und dem entsetzlichen Winde die verheerendsten Brände hätten entstehen können. Daß Feuersbrünste wie die, welche das unglückliche Gesrces betroffen, nicht auch von andern Orten zu berichten sind, wüsten wir als ein großes Glück betrachten; denn noch immer gibt es leichtsinnige und unverständige Menschen, die mit Feuer und Licht unvorsichtig umgehen, Schwefelhölzer, Asche rc. an ungeeigneten Orten ausbcwahren n. s, w-, und an feuergefährlichen Schornsteinen ist auch kein Mangel, wie Schreiber dieses bezeugen kann, indem er, während er diese Zeilen schrieb, durch einen ganz artigen Schornstcin- brand in der eigenen Wohnung überrascht wurde. Auch mit den Löschanstalten ist es an vielen Orten noch traurig bestellt. Zwar geht es jetzt wohl nirgends mehr wie einst in N., wo der strenggläubige Gemeinde- rath eine schöne neue Orgel kaufte, den Ankauf einer Spritze aber auf- schvb, da für beide zugleich kein Geld da war, und dafür beim nächsten Brande von den gottlosen Gegnern mit dem höhnischen Rufe: „Jetzt orgelt!" begrüßt wurde; aber vielfach sind l^e Löschgeräthe unzureichend und schlecht, und die nette Sitte, die Spritzen erst nach einem Brande zu Prokuren, ist noch ziemlich allgemein verbreitet.
Bor Feuersgefahr ist also Niemand sicher. Aber wird denn nun auch demgemäß gehandelt und Alles versichert? Die Häuser wohl, weil cs der Staat befiehlt, Mobiliar und Aorräthc dagegen noch lange nicht überall, am wenigsten aus dem Lande! Und doch ist der Inhalt einer Scheune mitunter so viel werth, wie der Hausrat!) eines Städters, und wie viel Arbeit und Mühe hat es gekostet, sie zu füllen! — Warum wird also nicht versichert? Einige Wenige verwerfen die Versicherung als einen Beweis von Mangel an Gottvertraucn oder gar als einen Eingriff in die göttliche Wcltregierung, (als ob wir den Verstand empfangen hätten, um recht unverständig zu handeln!) Einige, besonders wenig Bemittelte, scheuen die geringe Ausgabe (bei der Gothaer Bank circa l Thaler iür das Tausend), meinen auch wohl, ihre geringe Habe sei das Versichern kaum werth, — und doch muß grade sie ein Verlust mehr schmerzen, als einen Wohlhabenden! Die Al l crm e i st en ab er hältLeichtsi n» uu d Tr ä g heit a h. Man scheut die kleine Mühe, die Formulare zu beschaffen und auszufülle» und schiebt es von einem Tag zum andern ans, bis es endlich zu spät ist. .stommt dann ein Brandnnglück, dann wird gejammert und geklagt, daß es einen Stein erbarmen könnte, und man wendet sich mit der Bitte um Unterstützung grade an die, welche in Form der Versicherungsprämie so schon jedes Jahr Brandschaden zahlen, und mnlhet ihnen zu, nun auch noch für die Leichtsinnigen und Trägen mit- znbezahlcn. Könnte man cS ihnen sehr verargen, wenn sie bei solchen Fällen ein für allemal den Knopf ans den Beutel drückten und sagten: „Warum habt Ihr nicht versichert?"
Wenn man aber Jahre lang versichert gewesen ist, ohne von einem Brandnnglück betroffen zu werden, hat man dann sein Geld nicht umsonst bezahlt? Durchausnicht! Dann hat man eben bezahlt, um ruhig schlafen zu können und nicht bei jedem Windstoß oder Feucrlärm erschrecken zu müsse», und das ist doch auch was werth! Das Versichern muß »och so allgemein werden, daß man nicht mehr fragt: „Seid ihr leichtsinnig, trag, faul, beschränkt und dumm?" sondern einfach: „Habt Ihr verficht rt?"
T 6 g e s - N e u i g k e i 1 e n.
Stuttgart. Dem hiesigen Spracharzte Herr R. Sonnentau» (Calwerstraße 40) ist es gelungen, durch ein höchst einfaches Verfahren den Fistelten schmerzlos und dauernd zu beseitigen.
Stuttgart, SI. Olt. Am letzten Sonntag wurde in den katholischen .Kirchen des Landes ein bischöflicher Erlaß verlesen, welcher den' von den deuischen Bischöfen in Fulda gefaßten Beschluß, daß von Allerheiligen bis zum Beginne der Fastenzeit an jedem Freitage oder Sonntage vor ansgesetztem AUerheiligsten in allen Pfarrkirchen ihrer Diözesen eine Andackl „zum göttliche» Herzen Jesu" sür die Anliegen der katholischen Kirche im deutschen Reiche ahgehalten werde» solle, für die Diözese Rottenburg znm Beginn ans 3. Nov. anordnct.
I» Tübingen wurde Oberlribnnalrath v. Stein mit 721 Stimmen zum Abgeordneten gewühlt. Neichmann erhielt 482 Stimmen.
Die Nachricht von einer Gratulation der Bischöfe an den Herrn Bischof v. Hesele erweist sich als grundlos.
Herrenberg, 2l. Ott. Heute Vormittag 11 Uhr fand hier die erste Civiltrauung ans dem Nalhhause durch Herrn Obcramtsrichter Römer statt. (St.-A.)
München, 21. Oct. Wie man hört, bereitet Döllinger eine Petition der A ltka th o li k c u in Bayern an das Enltus- minisicrinm vor, um die Anstellung von allkatholischen Religions- lchrern'an den öffentlichen Unterrichlsanstaltcn für die Kinder der Eltern allkatholische» Bekenntnisses zu erwirken. (Frkf. I.)
Berlin, 21. Oct. Prinz Albrecht, dessen Leichenbegängnis) vorgestern mit allem herkömmlichem Gepränge stattgefunden Hai, war in Berlin nicht mibeliebt. Im Volksmunde wird der Prinz als ein Opfer der Drei-Kaiser-Zusammenkunft bezeichnet, nicht als ein Opfer des Zapfenstreichs, sondern der großen Parade. Thatsächlich ist der Prinz von den Anstrengungen jenes Tages sehr angegriffen worden, unmittelbar darauf schon erkrankt und von dieser Erkrankung nicht wieder genesen. „Die älteren Berliner — bemerkt ein hiesiger Berichterstatter — mochten den Prinzen gern; an seinem Palais wurden die Barrikadenkämpfer in der Nacht vom 19. März 1848 mit Wein traktirt, und das vergessen die Berliner nicht so leicht. (Frks. I.)
Berlin, 22. Oct. Bischof Krementz hat nach der „Vos- sischen Zeitung" nunmehr wegen der Temporaliensperre einen Prozeß gegen die Staatsrcgiernng eingeleitet. (Frkf.J.)
Berlin, 24. Okt. Der Schiedsspruch des Kaisers in der San Juan-Frage erklärt, daß die Ansprüche der Vereinigten Staaten völlig übcreinstimmen mit der wahren Interpretation des Vertrages vom 10. Juni 1846, und daß also die Grenze durch den Haro-Kanal zu laufen habe.
Berlin, 24. Oct. Dem Bnndesrathe ging ein Gesetzentwurf zu betreffs der Veräußerung der Straßburger Tabaksfabrik im Wege des schriftlichen Submissionsverfahrens. Dem Reichskanzler wird der definitive Zuschlag Vorbehalten.
Der im ReichStagsgebände für die Sitzungen des Bundes- ralhes hergerichtete Saal droht einzustürzen; die Reichstagsbeamten halten eine Senkung bemerkt, und wie in Folge einer darauf angestcllten technischen Untersuchung sich herausstellt, hat der Saal in der That und zwar in Folge der mangelhaften Fnnbamentirung sich dermaßen an der einen Seite gesenkt, daß, falls nicht ein Abbruch desselben vorgenommen wird, sein Einsturz bevorsteht.
Zu dem Bismarckstipendium für die Universität Straßburg hat die Aachen-Münchener-Feuerversicherungsanstalt 20,000 Thlr. gegeben.
Die neue Kreis-Ordnung, ein großer Fortschritt gegen bisher, stößt im preußischen Herrenhaus auf großen Widerstand.
Auf der Roi chss chn lk onfe re nz, welche vom 15. bis SO. Okt. in Dresden getagt hal, sind vorzugsweise folgende Gegenstände bera- lhen worden: Die Bedingungen, von welchen eine allgemeine gegenseitige Anerkennung der von den Gymnasien und Realschulen ausgestellten Maturitätszeugnisse abhängig zu machen ist; die Ausdehnung einer entsprechenden Gleichwerthigkeit aus die Prüfungszeugniffe der Schulamtskandi- daten und auf die Zeugnisse über das Probejahr: Abänderungen im bisherigen Verfahren bei Austausch der Schulprogramme; Anbahnung einer größeren stebcreinstimmung in der deutschen Orthographie; Uebectragung öffentlicher Berechtigungen auf Privatlehranstalten: Pflege der deutschen Geschichte im Schulunterricht; endlich die L-orge für die Gesundheit der Schüler, lieber sämmtliche Gegenstände der Berathung wurde in allen wcsenilichen Punkten ein Einverständnis; erzielt und zwar dahin, daß man sich über die Anwendung gleicher Grundsätze verständigte, ohne die in den einzelnen Ländern bewährten Einrichtungen auszugeben. Der König von Sachsen und der Eultusminister v. Gerber haben den Verhandlungen eine ehrende Theilnahme gewidmet. Die gefaßten Beschlüsse werden nun den einzelnen Regierungen zur Genehmigung mitgetbeit werden.
Heinrich Hcine's sterbliche Ueberrestej welche bis jetzt im Kirchhofe Pvre-Lachaise zu Paris geruht haben, werden im November dieses Jahres nach Hamburg gebracht, um dort in der Gruft der Familie Heine beigesetzt zu werden.
Im preußischen Abgeordnetenhaus legt Finanzminister Camphau- sen eine liebersicht über Einnahmen und Ausgaben für 1871 vor, wor- nach sich ein Einnahmeüberschuß von 9,373,000 Thaler ergibt.
Wie der ,,Spen. Ztg." ans Nord sch leswig mitgelheilt wird, werden die dortigen deuischen Einwohner eine Petition an das Abgeordnetenhaus richten, welche die Kalamität darstellt, in die sic durch den Artikel V. des Prager Friedens gerathen, Die Fortdauer dieses Artikels biete der dänischen Agitation in Nordschlesmig außerordentliche Handhabe und lasse es zu einer Beruhigung der Verhältnisse nicht kommen.
Straßbnrg, 16. Okt. In Folge einer persönlichen Einladung des Kaisers vom Sonntag begab sich Bischof Ras letzten Montag nach Baden-Baden, wo er zur kaiserl. Tafel, gezogen wurde und eine längere Unterredung mit dem Kaiser hatte. Nus welche Gegenstände sich dieselbe erstreckte, kann man sich wohl denken. Bestimmtes ist aber darüber noch nicht laut geworden.
Haag, 18. Okt. Verschiedene Gemeinden des Landes beginnen sich bedeutend zu lichten, indem namentlich eine Auswanderung der arbeitenden Klasse nach Elsaß und Lothringen in größerem Maßstabe stattfindet. Nach den Briefen solcher Auswanderer zu schließen, scheinen sich dieselben in ihrer neuen Heimath sehr behaglich zu fühlen, besonders da die Arbeitslöhne daselbst fünfmal so hoch sind, als in Holland.
Wien, 17. Okt. Die Volkszählung am 15. Oktober hat ergeben, daß Wien mit den Vorstädten 901,000 Bewohner hat.