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60. Aahrgang
Amts- unlt Intekkigenzbkatt Dr äen Aezirö.
Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.
Die Einrücknngsgebühr beträgt 9 H p. Spalte, und ini Bezirk, sonst 12 H.
Doanergtag, äen 22. Januar 1885.
Abonnementspreis halbjährlich 1 -tL 80 H, durch die Post bezogen im Bezirk 2 ^ 30 H, sonst in ganz Württemberg 2 70
politische Wcrchvichterr.
Deutsches Reich.
— Im Reichstage ist der Antrag Hertling und Gen. zur Verbesserung der Lage des arbeitenden Klassen einem Ausschuß von 28 Mitgliedern überwiesen worden. Dieser Ausschuß ist deshalb in verstärkter Zahl gewählt worden, weil die sozialdemokratische Partei ein vollständiges Arbeitergesetz einbringen will und auch der konservative Gesetzentwurf zur Abänderung der Gewerbeordnung noch der Erledigung harrt.
— Eine neue Sammlung von Aktenstücken, welche auf die deutsche Kolonialpolitik Bezug haben, ist erschienen. Eine größere Anzahl von Deutschen hatte kleineren oder größeren Landbesitz auf Fidji erworben und bedeutende deutsche Kapitalien auf dieser Insel angelegt, als am 10. Oktober 1874 die englische Regierung diese Inseln der englischen Krone einverleibte. Die deutsche Regierung begrüßte diese Annexion mit Freuden, indem sie hoffte, daß die Deutschen ausreichenden Schutz unter der englischen Herrschaft finden würden. Diese Hoffnung erfüllte sich indes nicht. Zunächst wurden von englischen Bevollmächtigten die Landerwerbungen angefochten und der Gerichtshof, welcher eingesetzt wurde, die Landerwerbungen zu untersuchen, verfuhr in nicht gerade unparteiischer Weise. Er war aus englischen Verwaltungsbeamten zusammengesetzt, welche den Deutschen ganz klares Eigentum absprachen und das betreffende Land ohne Weiteres der englischen Krone zuerkannten. Außerdem wurde die Sache in ganz außerordentlicher Weise verschleppt. Die deutsche Regierung intervenierte anfangs ganz generell und in entgegenkommender Weste. Als jedoch von Seiten des englischen Kolonialamts unerfüllbare Forderungen gestellt wurden und die Verschleppungstheorie in unerträgliche Praxis umgesetzt wurde, nahmen die Noten einen energischen Ton an. Die Verhandlungen wurden nun direkt mit der englischen Regierung geführt, dis anfangs zögernd, doch später vollständig nachgab, bis schließlich beide Mächte übereinkamen, durch eine gemischte Kommission die Fidji- Reklamationen untersuchen und das Resultat dieser Prüfung der deutschen und großbritanischen Regierung vorlegen zu lassen.
— Aus einer Tabak bauenden Gegend Süddeutschlands schreibt man der „Nordd. Allg. Ztg." in Bezug auf die Behauptung Richters, daß in den letzten Jahren große Scharen von Tabaksarbeitern ausgewandert seien:
In unserer Gegend, in welcher die Tabaksindustrie einen Haupterwerb bildet, besteht ein Verein, der im letzten Jahre an ca. 11,000 Bedürftige Unterstützungen verteilt hat. Von den Unterstützten waren über 1000 Schuhmacher, ca. 700 Schreiner, ca. 600 Schneider, über 500 Schlosser, gegen
500 Taglöhner, über 200 Bierbrauer u. s. w. — dagegen nur 40 Zigarrenarbeiter. Wir erachten dies für ein Zeichen, daß es der Tabaksindustrie nicht schlecht geht, und werden daran festhalten, bis Herr Richter uns den Gegenbeweis erbringt.
Frankreich.
— In Frankreich und Belgien wird die Einführung zum Theil sehr hoher Einfuhrzölle auf Getreide und Fleisch geplant. In Frankreich sind beantragt: für Weizen europäischen Ursprungs für 100 Kilo 3, für Mehl, Roggen und Gerste 2, für Hafer I Vs Francs. Für außereuropäische Erzeugnisse, für 100 Kilo Weizen 6 Fr. 50 Cent., für Mehl 10 Fr. 60 C., für Roggen und Gerste 5,60 Fr. und für Hafer 5,20 Fr.
Hcrges-Weuigkeiten.
Calw. Kaufmännische Abend-Unterrichtskurse. Herr Handelsschuldirektor Spöhrer hat an der von ihm geleiteten Handelsschule eine neue Einrichtung getroffen, die von den hiesigen jungen Leuten freudig begrüßt werden dürfte. Es sind dies spezielle Abendkurse in Buchführung, Rechnen, Correspondenz, Wechselrecht, Schönschreiben, Französisch u. Englisch und ist somit jedem hiesigen jungen Kaufmann eine sehr günstige Gelegenheit geboten, seine Kenntnisse in jeder Hinsicht zu erweitern und sich namentlich in denjenigen Fächern Fertigkeit anzueignen, die ihm in der Lehre weniger oder gar nicht Vorkommen. Da die Teilnehmer nicht gezwungen sind an allen Fächern sich zu beteiligen, so können diese Abendkurse auch Nichtkaufleuten zur Benützung empfohlen werden, namentlich zum Studium der Sprachen oder zur Erlernung des Knen oder andcrr kaufmännischen Faches. Es ist zu hoffen, daß sich die Bemühungen des Hrn. Spöhrer durch eine lebhafte Frequenz dieser Abendkurse lohnen und ihr Fortbestehen damit gesichert uzird.
1>V. 6. Stuttgart, 19. Januar. Die, wie bereits erwähnt, gestern Nachmittag erfolgte Beisetzung der sterblichen Hülle S. K. H. des Prinzen August von Württemberg vom Ludwigsburger Bahnhof aus in die Königliche Gruft der Schloßkirche zu Ludwigsburg war eine jener großartigen mit allem Königlichen Prunk ins Werk gesetzten Trauerfeierlichkeiten, wie man sie seit dem Tode des Königs Friedrich 1816 nicht mehr bei uns gesehen, denn die Beisetzung des Königs Wilhelm geschah nach der ausdrücklichen letztwilligen Verordnung des hohen Entschlafenen ohne Prunk und in aller Stille bei später Nacht und nur von Wenigen genauer wahrgenommen durch die Königlichen Anlagen über Cannstatt und Untertürkheim auf den Rothenberg, nur von Wenigen des Hofstaats und der Leibgarde zu
JeiriLtetorr.
Der Hol-erhof.
Eine Geschichte aus dem Volksleben von August Butscher.
(Unbefugter Nachdruck wird gerichtlich verfolgt.)
(Fortsetzung.)
Und nicht nur der Andres „machte Äugen" , der übrigens bei allen Angelegenheiten nur das fünfte Rad am Wagen war. Der Holderjörg hatte seine Schielaugen in allen Ecken und stopfte in seiner Verwirrung fein Sacktuch in die Pfeife. Die alte Jul hatte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und schrie: „Was doch Alles passieren kann auf der Welt! Ich glaub', der Lehrer springt in's Wasser, wo es am tiefsten ist, wenn er das Mirakel hört!"
Die kleine Pauline hatte die blauen Augen weit geöffnet und starrte die Schwester zuerst wortlos an, dann tanzte sie mit ihrem Rosensträuße in der Stube herum und rief: „Baronin, Baronin, die Bertha vom Holderhof wird Baronin!"
Dabei stieß sie die Harfe um, daß die Saiten stöhnend zerbarsten, und stand dann erschrocken still.
Es fühlten wohl Alle, daß Etwas nicht war, wie es sein sollte, aber in der allgemeinen Erregung ging es unter.
Bertha's Lippen zitterten, aber sie konnten kein Wort gestalten. Schwankend erhob sie sich und ging wie totmüde aus der Stube hinaus in den Garten, in dem sie schon einmal mit einem unsagbaren Schmerze gerungen.
„Die Sache greift sie an," meinte etwas nachdenklich die Holderhoferin. „Over sollte ihr wirklich noch der Lehrer im Kopfe spuken? Pah, ich kann's nicht glauben, die Geschichte ist aus. Er hat selbst den Gescheidten gemacht und ist nicht mehr gekommen. Sie soll das neue Glück in sich selber aus
kochen, man hebt am Ende doch einen Baron auf, wenn er einem vor die Füße fällt. Aber es ist Zeit zum Kochen. Jul! Schnell in's Geschirr, und Du, Pauline, hebst inir gleich das Klimperding da auf und thust nicht mehr wie eine närrische Wachtel!"
Damit rollte der Alltagswagen, freilich erheblich schwankend, in sein gewohntes Geleise. —
Draußen im Wurzgärtlein aber stand wieder der Holderhofer bei seinem Herzblatt. Er hatte Bertha mit gerungenen Händen auf und ab gehen sehen und erfuhr nun von ihren zuckenden Lippen langsam die große Neuigkeit, die ihn freilich sonderbare Augen machen ließ, wie seine Annemarie behauptet hatte.
„Das ist ja eine neue, heillose Geschichte!" meinte er ratlos. „Und Dir steckt offenbar der Lehrer noch im Kopfe — und im Herzen. Aber wie soll der auskommen gegen den Baron und besonders gegen meine Annemarie! Und er selbst läßt sich ja gar nicht mehr sehen! Du mußt nicht so weinen, Herzblatt. Von mir wirst Du nicht gezwungen, ich Hab' Dir's ja versprochen. Wenn Du willst, red' ich selbst mit Born von der Leber weg."
„Nie, nie!" rief Bertha schwer athmend. „Er soll — o ich weiß nicht, was ich sagen soll! Geht hinein, Vater, ich muß allein sein; es stoßt mir sonst das Herz ab, wenn ich reden soll."
Und kopfschüttelnd ging der Holderhofer seiner Wege, noch tiefsinniger als vor einer Stunde. Wieder besah er das rote Kreuz auf seinem Dache und grübelte darüber nach, ob es denn Gottes Wille sei, daß ein fressender Wurm in seinem blühenden Daheim nach allen Seiten nage.
Ein wonniger Abend — der Abend des gleichen Tages — neigte sich langsam nieder über die üppige Flur und den dämmerigen Wald, der den Holderhof umrundete, wie ein bergender Mantel. Die Saaten standen saftig grün und hochaufgeschossen, und wenn man durch sie hindurchwanderte, streiften sie Gesicht und Hände, und ihr süßlicher Duft betäubte fast die Sinne, besonders der Geruch des Hanfes, der reichlich angepflanzt war und