z Leite

Ragolder LagtlattDer «eseUschafter

Samstag, de« 8. Februar 1941

Kriegsraum Miltelmeer

Der Kampf um die Herrschaft im Mittelmeer

ULK. Der Krieg im Mittelmeer geht um die Herrschaft i« diesem Raum, der, wie Mussolini einmal sagte, für Eng­land nur einenWeg" bedeutet, für Italien jedoch das Leben". Auf der einen Seite steht die imperialistische Seemacht Großbritanniens, die das Mittelmeer lediglich als strategischen Seeweg benutzt und zu diesem Zweck alle An­liegerstaaten unterdrückt und vergewaltigt. Auf der ande­ren Seite steht das faschistische Italien, das nicht nur geo­graphisch den Mittelpunkt des Mittelmeerraumes bildet, sondern das auch geschichtlich, kulturell und politisch den An­spruch erheben darf, die Erbschaft Roms anzutreten. Denn es gibt nur ein Volk in der Geschichte, dem es gelungen ist, den Mittelmeerraum kulturell und politisch zu einer Ein­heit zu formen, das ist das italienische Volk. England hat ähnlich wie einst Karthago nur händlerische und strategische Interessen, ohne jemals ein kulturelles oder politisches Ziel angestrebt zu haben oder dazu fähig zu sein.

Daß der heutige Kampf Italiens gegen England in ge­wissem Sinne eine Wiederholung des Punischen Krieges darstellt, ist zuerst von Mussolini unterstrichen worden, der in seiner letzten Rede erklärte:Geleitet von seinem tau­sendjährigen Instinkt, weiß es (das italienische Volk), daß dieser Krieg ein Entscheidungskampf ist, der, wie der Dritte Puntsche Krieg, mit der Vernichtung des modernen Kartha­gos, mit der Vernichtung Englands enden muß und enden wird."

Der britische Imperialismus hinderte bisher Italien an der vollen Entfaltung seiner Kräfte und seiner politischen Ziele. Er versuchte, die Gründung des faschistischen Impe­riums zu verhindern. Als das nicht gelang, versuchte er planmäßig von der Suezkanalzone aus den italienischen Seeverkehr ins Imperium zu erschweren oder zu unterbin­den. Das britische Ziel ist die Erdrosselung Italiens im Mittelmeer. Auf ewig soll Italien derGefangene des Mittelmeeres" sein. Das faschistische Italien hat die letzten Ziele der britischen Politik klar erkannt und durchschaut. Die Erkenntnis dieser Lage ließ Italien an dis Seite Deutschlands treten, das genau so um sein Lebensrecht kämpfen muß wie der südliche Achsenpariner. Beide Achsen­mächte sind sich einig in dem Ziel der Vernichtung des mo­dernen Karthagos.

Entsprechend der vielfältigen geographischen Gliederung des Mittelmeeres ist der Kampf ein kombinierter Land-, See- und Luftkrieg. Alle drei Kriegsarten greisen ineinander und müssen als Ganzes gesehen werden. Das erfordert in erster Linie eine zentrale Führung, die bet den Achsenmächten durch die politische Organisation und die starken Führerpersönlichkeiten in idealer Weise gegeben ist. Wie stark die Kriegführung auf Land, See und Luft in- einandergrsift, beweisen die letzten Operationen, bei denen italienische Seeftreitkräfte griechische Landstellungen, bri­tische Seestreitkräfte italienische Landstellungen in der Cy- renaika angriffen und Luftstreitkräfte in Erd- und See- Mmpfe eingriffen.

Eine besondere Stellung nimmt trotz allem aber die See­macht im Mittelmeer ein. Der maritime Raum erfordert eine maritime Beherrschung. Die Luftwaffe tritt als Er­gänzung hinzu und erleichtert der eigenen Kriegsflotte die Aufgaben. Der absolute Luftkrieg kann nur in Verbindung mit dem Einsatz der Seemacht und Landmacht zum Erfolg führen. Die auch für 'heutige Verhältnisse noch gewaltige Längenausdehnung des Mittelmeers (von Gibraltar bis Alexandrien 3300 Kilometer) steht einer lückenlosen Ueber- wachung aus der Luft entgegen. Nur an den Meerengen ist eine solche möglich. Daher ist es kein Zufall, daß die schwer­sten Angriffe der vereinigten deutschen und italienischen Lerftwaffen im Kanal von Sizilien (Tunis-Straße) erfolgten. Hier ist der Gegner gezwungen, sich durch enge Passagen zu zwängen und sich dein Angriff von See und aus der Luft auszüsetzen

Klugerweise hat sich die italienische Führung nicht nur auf die Luftwaffe verlassen, sondern sie hat in den letzten Jahren c«ch kräftig die K r i e g s m a r i n s a u s g e b a u t, die als Träger der Seemacht entscheidende Bedeutung besitzt. Neben dem Aufbau einer sehr großen U-Boot-Flotte und einer beachtlichen Kreuzer- und Zerstörerwaffe vergaß man daher nicht den Vau von Eroßkampfschiffen. Man modernisierte di« vier vorhandenen Schlachtschiffe (23 600 Tonnen, zehn 32-Zentimeter-Eeschiitze, 27 Knoten) so erfolgreich, daß sie fast als neuwertig gelten können. Zwei neue Schlachtschiffs derLittorio"-Klasse von je 33 000 Tonnen mit je neun 38,1-Zentimeter-Geschützen und 30 Knoten Geschwindigkeit wurden voriges Jahr in Dienst gestellt. Zwei gleich große Schlachtschiffe befinden sich im Vau. Diese italienische Ma­rinebaupolitik verursachte zuerst Erstaunen, erweist sich aber heute als richtig. Es ist nicht zuletzt der italienischen Kriegs­marine zu danken, daß Italien die Adria und das Thyrre- ntsche Meer freihalten und die Seeverbindungen nach Li­byen aufrechterhalten konnte.

Die britische Flotte zog sich an die Ausgänge des Mittel­meers zurück, um von da aus eine Fernblockade gegen Italien durchzuführen. Sie mußte aber auch wichtige Ge­leitzüge durchs Mittelmeer begleiten und schützen, obwohl «er größte Teil des zivilen Verkehrs auf die Kaproute nm- SÄegt war. Aus dem Bestreben der beiden Gegner, ihren Schiffsverkehr zu schützen, ergaben sich die ersten Zusammen­stöße. Beide Male waren auch Schlachtschiffe auf beiden «eiten daran beteiligt. Die italienischen Kriegsschiffe haben dabei ihre große Schlagkraft bewiesen. Der Gegner zog sich nach dem ersten Salvenwechsel zurück mit der Begründung. Aner italienischen Uebermacht gegenübergestanden zu haben. Abgesehen davon, daß diese Begründung dem Kampfgeist ^ britischen Flotte kein gutes Zeugnis ausstellt, traf sie gar nicht zu. Interessant ist jedenfalls, daß das Schlacht- IchNf in einem Seeraum kämpft und entscheidenden Einfluß gewann, in dem es nach dem Urteil mancher Kriegsrhetori- ^urchts mehr zu suchen hätte. Die Rückkehr Italiens zum «chlachtschiffbau hat sich jedenfalls voll bezahlt gemacht. Aucy die italienischen U-Boote und Zerstörer haben in ihrem Kamps gegen die britische Flotte beachtliche Resultate erzielt.

Die britische Offensive in Griechenland und gegen Libyen Myrte zu einer Verschärfung des Mittelmeerkrieges. Durch

^^sorgungsnotwendigkeit der kämpfenden Truppen ist me britische Flotte gezwungen, stärker in Aktion zu treten M in den letzten Monaten, sei es durch Eingreifen in die Kunenkampfe, sei es durch Sicherung des gesteigerten.Ge-

- ^"A.ehrs. Dadurch ergaben sich heftigere Operationen, k§» öum EinsatzdesdeutschenFlieger-

irrten, das im mittleren Mittelmeer mit seinen !-A^)chen Schlägen den Einfluß der Luftmacht verstärkt.

" Zukunft mit verstärkten Kämpfen im Mittel-

r zu rechnen sein. Ganz gleich, ob diese Operationen zu

einer lokalen Entscheidung führen oder nicht, spielen sie im Gesamtrahmen des Krieges insofern eine bedeutende Rolle, als die britische Kriegführung jetzt gezwungen ist. immer stärkere Kräfte in den Kampf zu werfen, die an an­derer Stelle fehlen werden. Auch führen die Operationen zu einer gesteigerten Inanspruchnahme von Schiffsraum, der sowieso schon knapp ist.

Der englische Ernährungsminister Woolton stellte un­längst seine Hörer vor die Frage, ob sie lieberFleisch oder Bardia" haben möchten, beides könnten sie wegen des großen Schiffsraummangels nicht haben. So gesehen, wird sich wahrscheinlich die englische Mittelmeer-Offensive zu einem schweren Rechenfehler der englischen Kriegführung auswachsen. Die britische Seemacht ist heute nicht mehr stark genug, an allen Fronten gleichzeitig zu kämpfen. Ihr jetziger Aderlaß im Mittelmeer bedeutet eine fühlbare Ent­lastung auf dem nördlichen Kriegsschauplatz. Dort aber wird die endgültige Entscheidung über das moderne Kar­thago -fallen! RDS.

Deutsche Nachrichtenlruppe

zwischen Sumpf und Olivenhainen

(PK.) Der Einsatz der deutschen Luftwaffe in Italien erfor­derte schnelle und zuverlässige Nachrichtenverbindungen. Also mußten, wie schon so oft auf anderen Kriegsschauplätzen und höheren Breitengraden, die Luftnachrichtentruppen heran.Es sind bis zum ... folgende Fernsprech- und Fernschreibleitungen zu legen: 1. von P. nach T., 2. von T. nach P., 3, 4.,, Das Regiment meldet volle Einsatzbereitschaft bis zum ... nn ..." So knapp der Befehl war, so schwierig und verantwor­tungsvoll war die Ausführung der befohlenen Arbeit. Aber es mußte geschafft werden. Wenn es auch nicht galt, wie so oft in Polen oder im Westen, unter feindlichem Feuer die Verbindungen von der kämpfenden Front zu den Dienststellen hinter der Linie herzustellen, so hieß es doch, unter Aufwendung aller Kräfte und unter gänzlich ungewohnten klimatischen und geographischen Be­dingungen zu arbeiten, mit der gleichen Präzision und Pünktlich­keit wie auf dem heimatlichen Uebungsplatz.

Was der deutsche Nachrichtensoldat schon jetzt auf italienischem Boden geleistet hat, ist beispielhaft und verdient festgehalten zu werden. Still und unbeachtet tun die Ofsiziere und Mannschaften ihre Pflicht, ruhig und im Vertrauen auf ihr oft erprobtes Kön­nen sind sie Tag und Nacht an der Arbeit, um ihren Anteil am Gelingen des großen Werkes beizutragen. Wir begleiten den Ab­teilungskommandeur auf einer Fahrt nach T., um die dorthin im Bau befindliche Leitung zu besichtigen. Es sindnur" 3ll Kilo­meter bis T., aber welche Geländeschwierigkeiten sind zu über­winden! Steile, kahle Bergwände, tiefe Schluchten, sumpfige Hochfläche» wechseln ab mit oliven- und Hitronenbestandenem Kulturland, hinter dem sich wieder eine neue Bergkette auftürmt, dazwischen Dickichte dorniaer und stachliger Kakteen, die jeden

Schritt und jeden Griff zur schmerzhaften Erinnerung stempeln, steile Hänge und Abstürze, an denen dieStrippenzieher" Klet- terkunststllckc vollbringen müssen, die jedem Gebirgsjäger Ehre machen würden. Steile Ziegenpfade, auf denen jeder Schritt mit der schweren Drahthaspel trotz der morgendlichen Kühle den Schweiß aus den Poren treibt. Es klingt so einfach:So und so viel Kilometer Tclegraphcnleitungen sind bis dann und dann zu verlegen!" Und es steckt doch so viel Mühe und aufopferungs­voller Einsatz in der Ausführung dieses Befehls.

Früh am Morgen steht die Kolonne abmarschbereit. Noch ist gerade ein blasser Schimmer des Morgens im Osten über der See zu erkennen, wenn die Lastwagen durch die verschlafene Stadt rollen. Der Anmarschweg ist lang, und mit Tagesanbruch muß init der Arbeit begonnen werden. Oben auf den Berge», wo der erste Zug arbeitet, ist nichts von südlicher Wärme zu spüren. Der Wind peitscht eiskalt herunter, und es dauert immerhin noch einige Stunden, bis die Sonne über die grauen Berggipfel schaut und die Arbeit mit dem blanken Kupferdraht leichter macht. Hier gilt es, den Draht eine steile Schlucht hinaufzuverlegen. Gott sei Dank können italienische Masten einer Hochspannungsleitung be­nutzt werden. Sonst müßte man für jeden Telephonmast Löcher in den steinigen Boden sprengen, wie es andere Truppen tun müssen. Dennoch ist es ein schweres Stück Arbeit, mit den schwe­ren Drahtrollen einige hundert Meter Steigung und was für eine Steigung! zu überwinden. Auf jedem Mast klebt ein Mann, der den blanken Draht an den braunglänzenden Jsolier- glocken fachmännisch und sicher befestigt, so daß ihn auch der stärkste Vergwind nicht herunterreißen kann. Oben auf der Verg- kuppe steht das ME. des Zuges. Seine Besatzung hält einsam Wacht gegen einen etwaigen plötzlichen Angriff des Tommys aus der Luft.

Einige Kilometer weiter arbeitet der nächste Zug. Er muß seine Leitung einen steilen Hang hinab, vorbei an einem kleinen, an den Berg geklebten Städtchen, verlegen, über einen tief ein­geschnittenen Bach führen, jenseits weiter hinunter ins Tal lei­ten, quer durch einen Kakteengarten. Ist schon das Arbeiten am ersten Teil dieser Strecke nicht einfach es geht durch einen Garten von Feigen- und Olivenbäumen und die Besitzer sehen ängstlich daraus, daß ja nicht Zweige geknickt und Stämme be­schädigt werden so ist der letzte Teil eine mehr als stachelige Angelegenheit. Für die Männer, die hier mit der Haspel ihren Weg durch die übermannshohen Opuntien suchen müssen, oder sich durch ein dicht verschlungenes Gewirr von Stacheln und ver­schlungenen Unkraut am Telegraphenmast hindurchwinden müs­sen, um den Anstieg zu den Jsolierglockcn zu finden, bedeuten südliche Schönheit und Eigenart zur Zeit wenig. Meist sind sie nur ei» Heinmnis für die befohlene Arbeit, aber auch die Kak­teen werden mit Humor und wahrerDickfelligkeit" überwunden, und alles freut sich, wenn endlich die blanken Drähte über den graugrünen Feigenkaktecn in der Mittagssonne leuchten. Die rissigen und zerkratzten Hände werden nach einem kurzen kriti­schen Blick als unwesentliche Beigabe abgetan.

Weiter geht die Fahrt. Olivenhaine wechseln mit Weingärten ob. Stellenweise sind tief versumpfte Plätze zu über-

Englarids soziale Rückständigkeit

In seiner großen Rede im Sportpalast erklärte der Führer' u. a., England sei im Innern trotz seiner Welteroberung der sozial rückständigste Staat, den es in Europa gebe. Die Inter­essen der großen Masse spielten bei der Ausrichtung dieses Staa­tes überhaupt keine Rolle. Millionen von Menschen lebten in diesem Staat, der über die größten Reichtümer verfüge, arm­seliger als die Menschen in unseren überbevölkerten mitteleuro­päischen Staaten. Das Land, das für einzelne Wenige ein Para­dies sei, sei für die Masse in Wirklichkeit nur ein endloses Elend, ein Elend in der Ernährung, ein Elend in der Kleidung, ein Elend vor allem in der Wohnung, in der Sicherheit des Verdien­stes und der gesamten sozialen Gesetzgebung. Es ist verständlich, daß die verhältnismäßig kleine und dünne Oberschicht, nach deren Interessen dis gesamte Ausrichtung des englischen Staates er­folgt, sich durch diese Worte des Führers besonders schwer getrof­fen fühlt und sich daher in ihrer Presse und in Rundfunksen­dungen bemüht, diesen Vorwurf zurückzuweisen. Man geht dabei bezeichnenderweise aber nicht auf die Tatsachen ein, weil diese den Unterschied zwischen England und Deutschland auf sozialem Gebiet nur zu deutlich vor Augen führen würden. Statt dessen macht man Angriffe ganz allgemeiner Art, die nicht nur unsach­lich sind, sondern auch mit der sozialen Frage an sich nichts zu tun haben.

Wenn englische Blätter der Auffassung sind, auf diese Weise sich an einer sachlichen Behandlung des Themas vorbeidrücken zu können, so ist es wohl angebracht, einige Tatsachen ins Ge­dächtnis zu rufen. Wie steht es zum Beispiel mit der Unter­stützung der Soldatenfa milien in dem reichen England? Gerade die Regelung des Familienunterhalts für Soldatenfamilien stellt ein unrühmliches Kapitel der englischen Sozialpolitik dar. An Familienunterstützung für Einberufene ge­währt der englische Staat (die folgenden Zahlen stammen aus dem Buch von Bruno Rauecker, Die soziale Rückständigkeit Groß­britanniens: 17 Schilling für die Ehefrau, 5 Schilling für das erste, 3 Schilling für das zweite, 2 Schilling für das dritte und 1 Schilling für jedes weitere Kind je Woche. Die Unterstiitzungs- summe sank somit bei zunehmender Kopfzahl relativ immer mehr. Dem Druck des Parlaments und der öffentlichen Meinung weichend, hat die Regierung Chamberlain mit Wirkung vom 13. November eine Neuregelung getroffen. Danach sind zwar die Unterstützungssätze für die Ehefrau und das erste Kind unver- ändert geblieben, die Unterstützungssätze für das zweite Kind wurden dagegen von 3 Schilling auf 4 Schilling und für das dritte und jedes weitere Kind von 2 Schilling oder 1 Schilling auf 3 Schilling erhöht. Außerdem eröffnete die Neuregelung die Möglichkeit zusätzlicher Unterstützungen im Falle berechtigter Ansprüche, eine Möglichkeit, die vorher nicht bestanden hat. Die Unterstützungssätze der Sonderunterstützung dürfen jedoch nicht mehr als 40 Schilling wöchentlich betragen. Zu der Gesamt- unterstützung tritt noch die vorgeschriebene Abzweigung vom Sold des Mannes hinzu, die je nach dem Dienstgrad sich auf 7 Schilling dis 28 Schilling beläuft. Da die Mehrzahl der Sol­daten jedoch keinen gehobenen Dienstgrad bekleidet, sind 7 Schil­ling als Regclsatz anzusehen

Die englische Regierung nimmt somit, außer in den Aus­nahmefällen, in denen Sonderunterstiitzung gewährt wird, auf die tatsächlichen individuellen Unterhaltsbedürfnisse der Familie keinerlei Rücksicht. Ganz anders die deutsche Rege­lung. Die Höhe der Unterstützungssätze wird stets auf der Grund­lage der tatsächlichen Lebenshaltungskosten in den einzelnen Bezirken sowie an Hand eines Tabellensatzes errechnet, der in einem bestimmten Verhältnis zu dem bisherigen Nettoeinkommen des einberufenen Ehegatten steht. Gewährt wird stets der gün­stigere Satz. In Berlin z. B. beträgt der Mindestunterhaltssatz für eine Soldatenfrau 64,50 Mark. Dies entspricht einem Mo­natseinkommen des einberufenen Ehemannes von 160170 Mk, Die sonstigen Haushaltsangehörigen erhalten einen Unterhalts» satz, der für Angehörige über 16 Jahre etwa die Hälfte,,

Angehörige unter 16 Jahren etwa ein Drittel des Unterhalts- satzes für die Ehefrau beträgt. Zu den Unterhaltsbeträgen tritt regelmäßig die volle Miete. Außerdem können einmalige oder auch laufende Sonderbeihilfen gewährt werden. Selbst wenn man die Kaufkraft des englischen Schillings höher als die der Reichsmark annimmt, was in der ersten Zeit des Krieges viel­leicht der Fall war, aber inzwischen längst nicht mehr gültig ist, so fällt der Vergleich zwischen den normalen Unterstützungssätzen in England und in Deutschland eindeutig zugunsten des Reiches aus. England, das reiche England, steht der fortschreitenden Ver­armung seiner Soldatenfamilien ungerührt gegenüber.

Greifen wir ein anderes, besonders düsteres Kapitel der sozia­len Rückständigkeit Englands, nämlich das Wohnungs- elend, heraus. Hier können wir unverdächtige englische Zeugen anführen. So schreibt Lloyd George in seiner im Jahre 1S85 erschienenen Denkschrift Organizing Prosperity:Die Ent­hüllungen der statistischen Aufstellungen aus dem Volkszählungs­jahr 1931 haben naturgemäß das Gewissen des Landes in Schrek- kcn versetzt. Trotz aller Anstrengungen in der Wohnungsfrage nach dem Weltkrieg, trotzdem mit und ohne staatliche Unterstüt­zung nahezu zwei Millionen Häuser gebaut wurden, stellte man damals ungefähr 397 000 Familien fest (das sind 4 v. H. aller Familien im Lande), die in einer Dichte von mehr als zwei Personen in einem Raum lebten. Der Band der Volkszählungs­berichte, der das Wohnungsproblem zum Gegenstand hat, schätzte von der Grundlage einer erschöpfenden kritischen Beurteilung seiner Zahlen, daß 19tl weitere 1700 000 Häuser benötigt wür­den. Sachverständige der Wohnungsfrage sehen diese Zahl als das bloße Minimum an. Viele von ihnen schrauben ihr Schät­zungen weit höher hinauf. Ein großer Teil der Bevölkerung wohnt in Slumverhältnisscn, selbst wenn sie nicht sichtlich zu eng leben im Verhältnis der Psrsonenzahl zu der der Räume."

Und wo sind die Ursachen der Wohnungsnot zu suche«? Darüber gibt der Engländer Allen Hutt in seinem 1933 in Lon­don veröffentlichten Buch The Condition of the Working Clatz in Vritain Auskunft:London ist das typische Beispiel eine- Parasiten, wie es der damals noch liberale Herr Winston Churchill bezeichnet hat, daß das derartige Landmonopol fast geheiligt wurde, durch sein Alter. Herr Winston Churchill nannte es mit seinen eigenen Worten einAusbeutungssyste m". Vornehme Adlige, wie der Herzog von Mestminster mit seinen 600 Acres im inneren London, die Staatskirche, die Krone (die Grundstücke der Krone bedecken einen großen Landstrich um de» Regentpark und den Marylebone-Road. Die Grundstücksbehörden sind verantwortlich für die Einnahmen in diesen Gebieten auf Grund einiger alter, sonderbare^ überlebter Kronrechte) und reiche Gesellschaften, die Körperschaft der Stadt London und di« Universitäten von Oxford und Cambridge, alle diese denken nicht daran, zu arbeiten, und sitzen in ihren Klubsesseln und ziehen ihre Einnahmen aus den Einkünften ihrer Landbesitzungen und der steigenden Mieten."

Schließlich sei noch eine Stimme angeführt, die sich mit einem ' anderen sozialen Elend in England, nämlich mit derArbeit s- losigkeit, beschäftigt. Die heil- und hilflose Lage gegenüber dieser Frage kommt mit aller Kraßheit in einem Brief zum Aus­druck, den die Times am 2. Juli 1938 veröffentlichte. Darin heißt es:Moderne Produktionsmethoden verlangen einen immer ge­ringeren Arbeitsaufwand, und die Industrie kann nicht mehr eine Bevölkerung beschäftigen, die sich im bisherigen Zeitmaß vermehrt. Das zeigt sich in der Tatsache, daß 1937, auf dem Höhe­punkt einer fünfjährigen Aufwärtsbewcgung der Wirtschaft, noch immer 1343 000 ohne Arbeit waren... Die einzige Lösung liegt sicherlich nur in einer weiteren Senkung der Geburtenzahl." Man weiß keinen Ausweg mehr und empfiehlt deshalb den nationalen Selbstmord.

Wenn Disraeli vor hundert Jahren in einem Roman, dem er den UntertitelDie zwei Völker" gab, schilderte, wie zwei Völ­ker in England lebten, die Oberschicht und die Unter­schicht, die voneinander durch eine breite Kluft verschiedener Lebenshaltung und Lebensweise, verschiedener Sprache und Art getrennt seien, so ist diese Scheidung heute noch genau so.