Cme Nacht auf einer algerischen Niederlassung.

(Fortsetzung.)

Im Innern dieser Wirthsschaftshöfe, und das galt auch von dem Hause des Herrn Morales im höheren Grade, gab sich häufig ein mehr als bäuerlicher Wohlstand kund, eine Mischung ! von orientalischer Verschwendung und europäischem Comfort, welche eine Art Verwilderung nicht ausschlosscn. Neben prächti­gen Tigerfellen, mit denen Tische und Betten belegt waren, stan­den mit Sammt überspannte Fauteuils; unmittelbar daneben lehnten Ackerwerkzeuge neben kostbaren, mit Silber ausgelegten Jagdflinten. Der Dame des Hauses fehlte es nie an einer Guitarre, dem Herrn nie an einem türkischen Tischbnk. Breite Strohhüte und Pantoffeln ans Mckroquinleder, Burnusse, Man- tilleu und Pariser Schuhwerk hatten einen brüderliche» Bund ge­schlossen.

Dem Hause des Herrn Morales verlieh Rita's Anwesenheit ein allenthalben fühlbares Gepräge von Verfeinerung; in tausend Kleinigkeiten gab sich das Eingreifen einer zarten Fraucnhand kund.

Als Casse-Tete den Wirthschaftshof erreicht hatte, hielt er einen Augenblick an und schien mit sich zu Rathe zu gehen; dann erst trat er ein. »

Morales trat ihm lächelnd bis an die Lhüre entgegen und führte ihn in den Saal, wo er sich mit ihm cinschloß.

Ihre geheime Unterredung dauerte wenigstens zwei Stunden.

Als Morales den düster blickenden Sohn der Wildniß zu- rückbegleitete, lächelte er nicht mehr.

Trachten Sie, Scnnor, sagte dieser, Rita's Entschluß zu leiten; denn, kehre ich wieder, so werden Sie zwischen den beiden Anträgen, die ich gestellt habe, zu wählen haben. Nimmt sie an, so werde ich mit den Papieren, von denen ich gesprochen, meine Pfeife anzündcn; im entgegengesetzten Fall würde ich sie gewissen Leuten behändigen, welche einen ganz andern Gebrauch davon machen würden. Uebrigens vergessen Sie auch nicht, Sen- nor, daß ich zu allem Ueberfluße ein Jagdmesser führe und dieses zu handhaben verstehe, während für einen Jäger die Wildniß nicht allzuferne liegt.

Morales erwiderte:

Ich werde die Sache überlegen.

In dieser Antwort lag eine Entschiedenheit, die Casse-Tete selber zn überraschen schien.

Der Spanier grüßte und zog sich in seine Zimmer zurück.

Als Paul und die übrigen Diener des Don Morales singend nach .Hause kehrten, sahen sie Jean Casse-Tete des Weges kommen.

O, o, rief der Pariser, betrachtet euch doch den Mann, der da von unserem Wirthschaslshofc znrückkommi! Sagte ich euch nicht, daß auch er seine Schliche hat, wenn er den Frauen den Hof macht.

Mag er sie haben, entgegnete Robert. Die Sennora liebt Herrn Obigny und wird von ihm wieder geliebt. Wir kommen gewiß bald auf die Hochzeit, ungeachtet aller Schliche dieses Samicl.

Sie ließen sich durch diese Erscheinung nicht beirren und setzten singend ihren Weg fort. Die beiden Neger hielten jeden Augenblick an und tanzten; Abdallah spielte seine kleine Flöte. Sie unterhielten sich auf der Straße, die rechts und links mit Aloe und Cactusbüfchen besetzt war, so lange, daß sie erst mit Einbruch der Nacht den Wirthschaftshof erreichten.

Morales schalt, grollte und fluchte; aber sie waren in zu guter Laune, um sich sein Toben zu Herzen zu nehmen. Erst als das Abendessen aufgctragen war, wurde er ruhiger und be­gab sich zu Rita aus ihr Zimmer.

Die Sennorita erwartete den Spahi um acht Nhr und er­klärte ungemein müde zu sein. Sic ließ sich ihr Essen hinauf­bringen und schloß sich ein. Morales saß daher allein und fand darum Muße genug, über die letzten Worte Jean Casse-Tete's nachzudcnken. Ohne Zweifel machten sie ihm Kopfweh, denn er schien auch nach dem Essen nichts weniger als anfgehcitcrt.

III.

Rita und Obigny liebten sich und der Pariser hatte in dieser Beziehung keine Unwahrheit gesagt. Die Umstände, unter denen sie sich das Erstemal im Leben gesehen, hatten nicht wenig dazu beigetragen, die Phantasie der jungen Spanierin anzurcgcn.

Ungefähr sechs Monate vor den Ereignissen, welche so eben hier geschildert worden, saßen Morales und seine Dienstleute in dem großen Saale des Wirthschaftshofes am Feuer beisammen.

Es war zur Regenzeit und die 'Nacht kalt. Heulend brach der Wind vom Meere her in die Thäler. Die Bäume seufzten und stöhnten unter seinen gewaltigen Flügelschlägen, und ein feiner Regen schlug an die Fenster.

Das Gesinde des Wirthsschaftshofes bestand großentheils aus Eingeborenen oder doch wenigstens aus Leuten, die sich in Algier eingelebt, war daher für die Kälte außerordentlich empfäng­lich und drückte sich am Kamin zusammen, in welchem das Reisig des wilden Oelbaumes lustig emporprasseltc.

Rita saß in einer Ecke und las in einem jener Ritterromane, in denen die spanische Literatur so Großes geleistet. Trotz aller

Ucbcrraschung und Wunder, mit denen das kühne Dichterwerk auf ihre Phantasie eindrang, blieb aber die junge Dame zerstreut und ihre Aufmerksamkeit theilte sich zwischen ihrem Buche jund dem Gespräche der Arbeiter.

Sie hatte unheimliche Worte vernommen und wiederholt voll Beängstigung emporgeblickt.

Was sagtet Ihr, Herr Paul? fragte sie endlich den jungen Pariser, der zuletzt gesprochen.

Fräulein, entgegnete Paul, ich erzählte das unglückliche Ende des armen Juden, den etwa eine halbe Stunde von hier gestern Abends ein Löwe erwürgt hat.

Ein Löwe? rief Rita. Und der kam so nahe an uns heran?

Allerdings; aber beruhigen Sie sich nur, das Unthier lebt gewiß nur noch wenige Tage. Ich machte mich sogleich auf und suchte den Marquis Obigny, Spahi im dritten Regiment. An ihn wendete ich mich mit der Bitte, Sennor Morales, Ihren Oheim, den in diesem Augenblicke bereits ein glücklicher Schlum­mer überkommen» hat, von diesem beängstigenden Nachbar zu be­freien. Vielleicht schon heute Nacht wird der Jude seinen Rächer- gesunden haben, denn der Spahi erlegt einen Löwen, wie ich ein Kaninchen.

Das ist wohl Scherz?

O, keineswegs, meine Kameraden werden es mir bestä­tigen.

Bei dem Propheten, rief der Kabyle Abdallah, der Löwen- tödter ist ein mächtiger Zauberer und seine Kugel gefeit, weß- wegen sie auch immer trifft. Hat Sidi Obigny einmal geschworen, daß ein solcher Dickkops sterben müsse, so ist sein Verderben un­vermeidlich.

Ach Gott, wer auf ein so furchtbares Raubthier schießen will, der muß ein sehr muthiger Manu sein! bemerkte Rita.

Der Spahi, warf Robert hin, ist der tapferste Soldat der Armee.

Und dabei einer der schönsten Männer, die ich im Leben gesehen, setzte Paul hinzu. Sein Blick ist der eines Königs, sein Kopf ein Ideal männlicher Vollkommenheit!

So? sagte Rita, wie im Nachdenken verloren.

Morales schlummerte und hatte von diesem Gespräche nichts gehört, aber seine schweren Alhemzüge wurden plötzlich von einem furchtbaren Gebrüllc unterbrochen, dessen tausendstimmiges Echo aus der Felsenschlucht von Djenouns herüberdrang.

Der Spanier erwachte und sprang empor. Rita war erblaßt. Auch der Pariser war emporgesprungen; er zitterte. Die An­wesenden alle horchten vor banger Erwartung.

Da drang das Gebrülle noch einmal herüber; allein beinahe in dem nämlichen Augenblicke krachte ein Schuß, dessen Widerhall die Felsenwände donnernd Zurückgaben.

Der Löwe ist getödtet! ries der Kabyle.

Der Marquis von Obigny hat sein Wort gehalten! sagte Morales. Schnell, zündet Fackeln an und eilt ihm entge­gen. Ich glaubte nicht, daß ich ihn so bald empfangen würde.

Dann wendete er sich an Rita.

Sei so gut, sagte er, und lasse schleunigst Erfrischungen auftragcn! Ihr Üebrigen, auf zum Empfange des Löwentödters l

Rita erhob sich, um dem Wunsche des Oheims nachzukommen, aber ihre Knie bebten; die Aufregung erschütterte sie mächtig und sie bedurfte einiger Augenblicke, um sich zu fassen.

Morales eilte mit einem Thcile seines Gesindes hinaus.

Nach Verlaus von kaum zehn Minuten wurden rasche Huf­schläge vernommen; ein Reiter pochte am Thore des Wirthschafts- hoses und ein Neger ließ ihn ein.

Der Reiter warf den Zaum seines Pferdes von sich, sprang ab und trat in den großen Saal. Ein leiser Angstschrei drängte sich aus Rita's Brust bei dem Anblicke des Fremden.

Es war Obigny.

In seinen Burnus gehüllt, trat er vor; sein ganzes Wesen verrieth männlich stolzes Selbstbewuhtscin. In seiner Rechten hielt er den Carabiner und an seinen Fingern flössen einige Tropfen Blutes nieder.

Bleich, verwirrt, überrascht/»bebenden Herzens, als ob ein großes Ercigniß über ihr Schicksal entscheiden sollte, stand ihm Rita gegenüber.

Obigny grüßte mit der gefälligen Leichtigkeit eines an feine Gesellschaft gewohnten Mannes, lehnte seine Waffe in eine Ecke und näherte sich Rita mit den Worten:

Ich trat zu stürmisch ein, Sennorita, ja ich besorge, Sie erschreckt zu haben. Wußte ich doch nicht, daß Sennor Morales eine so reizende Nichte besitze! Hätte ich nur ahnen können, daß ich eine Dame beunruhigen könnte, so hätte ich den Wirthschafts­hof gewiß nicht so ungestüm betreten.

Die Stimme des Spahi klang mitunter so weich und sanft, daß sich Rita dem Fremden gegenüber ganz angenehm berührt fühlte.

(Fortsetzung folgt.)

Redaktion, Druck und Verlag der G. W. Zaiser 'schen Buchhandlung.