Director des Züricher Comptoirs wurde Herr Stadler von Zürich ernannt, ein geachteter Mann, der schon viele Jahre ein eigenes Bankgeschäft in dieser Stadt betrieben hatte. Als Prokurist wurde Herrn Stadler der Junker Heinrich Wyß von Zürich beigestellt, rin schwerfälliger und pedantischer Mann, der sich nur um seinen eigenen beschränkten Geschüftskreis kümmerte. Die übrigen Angestellten des Comptoirs waren junge, unerfahrene Leute von 16 bis 17 Jahren. Etwas älter, nämlich 19^» Lahre, war bei Eröffnung des Comptoirs der Cassirer Emil Schär, ein gewandter Arbeiter,^der schon auf mehreren Banken tüchtige Dienste geleistet hatte. Schär war aber nicht bloS Cassirer, er war zugleich Chef der Comptablität und hatte sonach Casse und Bücher unter sich, wenigstens unter seiner Oberleitung. Er war es, der nach den Bestimmungen der Hauptbauk auf dem Züricher Comptoir die französsische Buchhaltung einführte, deren Kassebuch lediglich in fliegenden Blättern besteht und deren Charakter in der Vereinfachung der Scripturen und der summarischen Buchung, freilich auf Kosten der Anschaulichkeit der einzelnen Conti, liegt. Schär war der Einzige auf dem Bureau, der diese französische Buchhaltung, die niemand liebte, gründlich verstand, und der Director überließ ihm um so lieber das ganze Feld von Buchhaltung und Kasse, als ihm dadurch Muße verschafft wurde, Geschäfte zu mache». Hierin leistete Herr Stadler das Möglichste. Eigentliche Speculationen waren ihm verboten. Sein vorzüglichstes Geschäft war die Escomptirung, der Einkauf und Verkauf von Wechseln, die Eröffnung von Geschäftsverbindungen auf Conticorreuti und Checks, die Commissionen. Das arbeitende Kapital, das ihm von der Hauptbank zur Disposition gestellt wurde, betrug circa 1,200,000 Francs. Mit diesem Kapital verdiente Herr Stadler im Jahre 1868 circa 70,000 Frcs. netto oder 7 Procent, im ersten Halbjahr von 1869 40,000 Frcs. netto oder 8 Procent, und in den Monaten Juli bis September 1869 war der Gewinn annähernd der gleiche. Der Geschäftsumsatz war in dieser Zeit groß, er betrug durchschnittlich per Tag rund 800,000 bis 880,000 Frcs. Die Eidgenössische Bank hat ungeheure Spesen, Präsident und Direktoren beziehen übermäßige Gehalte, in Bern hat sich die Bank einen Palast gebaut, der mehr als 600,000 Frcs. kostete, die Revisionen der Filialen verschlangen große Summen. Die günstigen Resultate des Züricher Comptoirs waren daher sehr willkommen und die Filiale Zürich das Schoßkind unter den Töchteranstalten. Herr Stadler wurde wegen seiner unermüdlichen Thätigkeil in Bern beliebt und belobt; die Art und Weise, wie er den Checksverkchr zu heben, insbesondere den Großhandel an- zuziehcn wußte, auf kurze Zeit brachliegende Gelder gegen niedrige Zinsen dem Comptoir anzuvertrauen und stets disponible Mittel bereit zu haben, wurde den anderen Filialen als Muster vorgestellt, und dergestalt wuchs der Credit des Züricher Comptoirs, daß das Publikum auf Wcchsel-Obligi von verschiedener Zeit ihm Millionen übergab. Bei den Revisionen stimmte die Kasse, die Wechsel-Portefeuilles wurden in bester Ordnung befunden, und die deponirten Werthpapiere waren in den Händen des Vice-Dircctors und Procuristen sicher. Da wurde plötzlich, am 2. Oktober 1869, das Publikum allarmirt durch die Mittheilung in den öffentlichen Blättern, der Cassirer des Comptoirs, Emil Schär, sei mit der Reserve der Bank und anderen Geldern mit Hinterlassung eines Desicits in der Höhe von circa 400,000 Frcs. verschwunden!
Diese Nachricht schien unglaublich, denn Schär hatte stets eingezogen und solid gelebt, keinen Aufwand in Wirthshäusern oder ans Maitresscn gemacht, keine kostspieligen Liebhabereien gehabt. Sollte er die ganze Summe mitgenommen haben? Sofort wurde eine genaue Untersuchung der Bücher und Papiere des Comptoirs angeordnet und eine Durchsuchung der Wohnung des Entwichenen vorgcnommen. Bei der letzteren fand man verschiedene Telegramme aus Genf und Paris, die einen bedeutenden Verkehr Schär's mit den Börsen jener Städte, mit Bankiers, Coulissiers und ähnlichen Personen daselbst verriethen; man requi- rirte nach Genf und Paris, setzte unterdessen die Untersuchung der Scripturen des Comptoirs und seines Statuts überhaupt fort, und diese Untersuchung ergab jeden Tag gräulichere Resultate. Alle Bücher schienen gefälscht, massenhaft waren Eingänge von Hnndcrttansendcn nichr gebucht, falsche, ffngirte Zahlungen von Hunderttausenden verausgabt, Zahlungstermine radirr; Zn zwei seiner Kassenbogen vom Anfang September hatte Schär, um die ungeheuere Differenz von Soll und Haben kleiner zu machen, ffngirte Ueberträge in Haben von einer Million gemacht, ohne daß dies Jemand bemerkte; so groß war das Chaos, daß das Comptoir seine sämmtlichen Kunden aussordern mußte, den ganzen Verkehr mit dem Comptoir auf ein Jahr rückwärts nachzuweisen; endlos erschienen die Unterschlagungen, in die Millionen hinein stieg das Deficit, um endlich Mitte November mit der kolossalen Summe von 3,280,000 Francs abzuschließen. Man hielt es für undenkbar und unmöglich, daß jener Berg von Fälschungen und dieser Abgrund von Deficiten von dem Cassirer allein erzeugt werden konnte, ohne Mithilfe oder wenigstens Mitwissen des unmittelbar Vorgesetzten Directors, ja es schien, daß auch Herr Stadler mit Bankgeldern auf eigene Rechnung in französischer
Rente spcculirt habe; er und sein Procuraführer wurden in Folge dessen zu Anfang October von der Oberbehörde der Bank ab- gcsetzt, Herr Stadler vom Gerichte verhaftet. Freilich dauerte die Haft nur einen Tag. Nach 24 Stunden wurde Herr Stadler gegen Caution wieder auf freien Fuß gesetzt. Aber im Laufe der Untersuchung stellte sich eine so unerhörte Nachlässigkeit des Directors in der Ueberwachung seines Cassirers und ein absoluter Mangel an Uebersicht des Geschäftes und der Gcfchäftsmittel gegen ihn heraus, wie solches bei einem Bankier noch nie der Fall gewesen sein mag. .Herr Stadler war eigentlich blind gewesen, und diese Blindheit verschuldete auch noch das Entweichen des Cassirers. Hier ein Beispiel. Am 27. Sept. 1869 kam im Comptoir in Zürich ein Brief des Bankpräsidenten Stämpfii aus Bern an Herrn Stadler an. Herr Stadler war auf Besuch bei seiner kranken Frau am Vierwaldstädtersee. Der Prokurist v. Wyß sendete ihm uneröffnet den Brief. Herr Stadler erhielt ihn am Vormittag des 28. September in Vitznau. In dem Briefe theilt Herr Stämpfli mit, daß Schär an der Genfe?Börse, wahrscheinlich für ein Syndicat, gespielt und mehr als 300,000 Francs Differenzverlust ausgezahlt habe. Herr Stadler wurde daher beauftragt, sofort den Cassirer zu Rede zu stellen und sich einer offenen und klaren Antwort zu versichern. Herr Stadler sendete ungesäumt den Brief an seinen Stellvertreter nach Zürich mit dem Auftrag, den Cassirer zu überwachen; er selbst blieb noch einen Tag in Vitznau und kam erst am 29. Abends nach Zürich zurück. Nach einer Rücksprache mit Herrn v. Wyß wurde beschlossen, am anderen Morgen, den 30. September, den Cassirer zu Rede zu stellen. Dies geschah. Schär bestritt bestimmt den Vorhalt, sprach von Namensverwechselnng, und Herr Stadler schenkte seiner Versicherung Glauben, um so mehr, als auch Wyß jeden Gedanken an eine Unredlichkeit des Cassirers weit von sich wies.
Das Comptoir besaß eine Reserve im Betrage von 200,000 Francs. Diese Reserve, bestehend in Noten der Eidgenössischen Bank, war in einem doppelten Boden der Kasse, unter besonderem Verschluß aufbewahrt. Der Schlüssel zu diesem besonderen Ge- wahrsum lag in der Kasse. Zu dieser besaßen der Cassirer und der Director je den Schlüssel. Im Laufe des 30. September fragte Herr Stadler den Cassirer, wo die Notenreserve sei? Dieser erwiderte: „In der Kasse." Herr Stadler sah nicht nach, er hätte sonst entdeckt, daß die Reserve verschwunden sei. Am selben Tage Nachmittags ging Herr Stadler zu einer Hebung der Feuerwehr. Als er ins Comptoir zurückkam, berieth er aufs Neue mit Wyß, ob sie heute noch die Kassenrevision vornehmen wollen; wieder wurde diese auf morgen, den 1. October, verschoben. Schär verließ daß Bureau; nach seinem Weggange öffnet Herr Stadler die Casse, er will nach der Notenreserve sehen, findet den Schlüssel zu ihrem Gewahrsam nicht und — verschiebt dennoch die Revision bis morgen! Vor seinem Weggehen vom Comptoir kommt noch von befreundeter Hand ans Genf eine Warnung vor Schär, der an der dortigen Börse viel Geld verloren habe; aber auch diese Warnung ändert nichts mehr an dem Entschlüsse, erst morgen die Kassen-Visttation vorzunehmen. Der Cassirer aber hatte Unrath gewittert und eingesehcn, daß es in Zürich mit ihm zu Ende gehe. Er beseitigte am 30. September noch eine Anzahl Privatbriefe, ging am frühen Morgen des 1. October in das Comptoir, öffnete seine Casse, steckte an Gold und Banknoten zu sich, was er tragen konnte und fuhr mit dem Baseler Sechs- Uhr-Zuge von Zürich ab. Auf dem Zuge traf er einen bekannten Kaufmann aus dieser Stadt — darum stieg er in Waldshnt aus und löste daselbst an der Kasse ein anderes Billet — niemand wußte wohin. So war also der Vogel ausgeflogen.
(Schluß folgt.)
Allerlei.
— Singende Fische. Als ich die Bay von Pailon (Ecuador) untersuchte — schreibt der Reisende Vicomte O. de Thoron —, steuerte ich einst gegen Abend am Strande hin. Da drangen plötzlich befremdliche, andauernde Töne in mein Ohr. Ich glaubte anfangs das Summen einer ungewöhnlich großen Hummel zu vernehmen, bemerkte aber nichts. Ich fragte nun den Ruderer meiner Pirougue, ob er nichts chöre, und erhielt zur Antwort: „Das sind Fische, die singen; man nennt sie Sirenen oder Musikos." Bald nachher hörte ich eine Menge verschiedener Stimmen, die zusammen ein harmonisches Ganze bildeten und vollkommen so klangen, als vernehme man aus einiger Entfernung Orgeltöne.
— Anacharchsis verglich die Gesetze mit den L>pinnegcweben, welche nur Fliegen fangen, starke Wesen aber nicht aufhalten
können. .
— „Levi, sieh doch mal das schone Frauenzimmer!" ,agte auf einem Balle ein junger jüdischer Kaufmann zu einem andern. „Wer is se?" fragte dieser. „Die Tochter von em arme Professor," lautete die Antwort. „Seh' ich sic gar nich an," rief Levi. „Ein Mädchen unter vierzigtausenü Thaler is for mir ene Mannsperschon."
Redaktion, Druck und Verlag der G. W. Zaiser 'scheu Buchhandlung.