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Nr. 12

Montag, den 17. Januar 1927.

101. Jahrgang

Versuch eines Kabinetts der Mitte.

Reichskanzler Marx beauftragt.

TU. Berlin, 17. Jan. (Amtlich.) Der Reichspräsident empfing am Samstag den geschäftsführenden Reichskanzler Tr. Marx und erteilte ihm den Auftrag, ans Grund des Beschlusses der Reichstagsfraktion des Zentrums durch Verhandlungen mit den in Frage kommenden Fraktionen des Reichstags die parla­mentarische Lage und die Möglichkeiten einer Regierungsbil­dung weiter zn klären. Dr. Marx behielt sich seine Emschei- dnng vor.

Reichskanzler Dr. Marx hat dem Reichspräsidenten am Samstag abend mitgeteilt, daß er den Auftrag auf Grund des Zcntrumsbeschlnsses vom Freitag, durch Verhandlungen mit den in Frage kommenden Fraktionen des Reichstages die poli­tische Lage und die Möglichkeiten der Regierungsbildung weiter zu klären, annimmt. Reichskanzler Dr. Marx wird demgemäß heute mit den Parteiführern wegen der Möglichkeit der Bildung einer Regierung der Mitte verhandeln.

Angesichts der Beauftragung des Zentrumsführers Dr. Marx mit der Wetterführung der Rcgierungsverhandlungen ist nran in parlamentarischen Kreisen der Ansicht, das nunmehr gemäß der von den verschiedenen Seiten gegebenen Anregungen ernst­haft der Verbuch gemacht werden soll, ein Kabinett der Mitte zu bilden unter möglichster Einbeziehung der Wirt­schaftspartei ohne jede Bindung nach links oder rechts. Man glaubt in parlamentarischen Kreisen, daß die Persönlichkeit des bisherigen Reichskanzlers Dr. Marx die Gewähr dafür bieten würde, für das Arbeitsprogramm eines solchen Kaibtnettes die notwendige parlamentarische Unterstützung im Reichstag zu ge­winnen. Man rechnet weiter damit, daß di« Deutschnationale VoUspartei einem Kabinett der reinen Mitte gegenüber kein« Neutralität beachten, sondern das bei der letzten Abstimmung über das Mißtrauen gegen das Kabinett Marx beföhle Ver­fahren einschlagen würde. Würbe eine Abstimmung dem neuen Kabinett die notwendige Mehrheit nicht sichern, glaubt man in parlamentarischen Kreisen nicht an eine Reichstagsauflösung, sondern rechnet damit, daß dem Zentrum erneut die Aufgabe ge­stellt werden würde, auf Grund der in der Richtung von Dr. Curtius gepflogenen Verhandlungen die Bildung einer Mehr­heitsregierung mit Anlehnung nach rechts zu übernehmen.

Die erste Fühlungnahme.

TU. Berlin, 17. Jan. Dr. Marx Haie am Sonntag mittag mit den Zenirumsabgeordneten von Guerard, Dr. Wirth, He­rold, Frau Teusch und dem Reichsarbeitsminister Dr. Brauns

im Reichstage eine Besprechung, die nur von kurzer Dauer war. Wie in parlamentarischen Kreisen verlautet, wird Dr. Marx sich heute zunächst mit den Führern der Reichstagsfraktion der Deutschen Voltspartei besprechen, um festzustellen, ob ein Kabi­nett der Mitte mit Unterstützung der Sozialdemokraten durchzu­führen ist. Der Fraktionsvorstand der Deutschen Volkspartei tritt heute mittag zu einer Sitzung zusammen, während die Frak­tion sich erst am Mittwoch versammeln wird. Mit den Frak- tionsfiihrern der Dcutschnationalen und der Sozialdemokraten will Dr. Marx erst verhandeln, i ^ aem er di« Ansichten der Deutschen Volkspartei kennen gelernt hat.

DieGermania" meint, die Versuche des Herrn Dr. Marx müßten zunächst darauf gerichtet sein, die Zusammen­arbeit der Koalition der Mitte von neuem zu sichern und so­dann für diese Koalition den nötigen parlamentarischen Rück­halt durch Gewinnung einer Flügelpartei zu finden. Die Haupt­schwierigkeit, die Herr Marx dabei zu überwinden habe, liege in dem gespannten Verhältnis zwischen der Deutschen Volks­partei und den Sozialdemokraten. Man müsse aber hoffen, daß bei diesen beiden Parteien hinreichend Vernunft obwalten werde, um endlich dem deutschen Volk wieder zu einer Re­gierung zu verhelfen.

Unerhörte französische Einmischung in die deutsche Regierungs­krise.

Paris, 17. Jan. Die französische Presse wagt es in immer größerem Umfange, sich in lnnerpolitische Verhältnisse Deutsch­lands einzumljchen, und beinahe bekommt man den Eindruck, als ob sie es wäre, die in Deutschland die Reichsregierung er­nennt. Gegen die Möglichkeit eines Kabinetts CurtiuS wurde von allen Pariser Zeitungen, welcher politischen Richtung sie auch angehören mögen, förmlich Sturm gelaufen, und die Tat­sache, daß Dr. Curtius keine Regierung bilden konnte, wird in Paris mit einem Gefühl der Erleichterung begrüßt, als ob es sich um eine innerpolitische Angelegenheit Frankreichs handle. Daß die Deutschnationalen einer Reichsregierung angehören könnten, erscheint demTemps" vollkommen ausgeschlossen. Das Blatt erllärt, daß selbst das Verbleiben Stresemanns ln der Wilhelmstvaße nicht genügen könnte, um die Anhänger des Frie­dens zu beruhigen, wenn Deutschnationale in eine Regierung eintreten würden. Denn sine Reichsregierung, di« nach rechts gerichtet wäre, könnte die Politik von Locamo und Genf nicht fortsetzen.

Die Restpunkleverhandlungen.

Prüfung der deutschen Vorschläge.

TU Paris, 17. Jan. Die Verhandlungen über die noch schwe­benden Restpunkte der deutschen Entwaffnung nahmen am Samstag ihren Fortgang. Es fanden allerdings keine offiziellen Verhandlungen statt, sondern die Besprechungen trugen mehr individuellen Charakter. Man hält es in unterrichteten fran­zösischen Kreisen für wahrscheinlich, daß das Versailler Militär­komitee heute wieder zusammentreten wirb, um von neuem die deutschen Delegierten anzuhören.

Ablehnung der deutschen Vorschläge?

TU Paris, 17. Jan. Die Pariser Aöendpresie läßt durchblik- ken, daß die deutschen Vorschläge nicht in allen Punkten als be­friedigend erachtet werden. Man hält es aber für wenig wahr­scheinlich, daß die Vorschläge insgesamt zurückgewiesen werden, da man bis zum 31. Januar noch entsprechende Abänderungs­formeln finden könne. Pertinax, das Sprachrohr Poincares und der französischen Militäkreise, erklärte im-o de Paris", daß Marchall Foch und seine Mitarbeiter trotz verschiedener Be­schwörungen ein Seitenhieb auf Briand die deutschen Vor­schläge für ungenügend hielten, aber keine Eegsnprojrkte vor- legcn würden. Es sei Aufgabe der deutschen Unterhändler, wenn es ihnen gut dünke, neue Vorschläge zu machen. Besonders be­drohlichen Charakter, so schreibt Pertinax, hätten die 85 beto­nierten Unterstände an der deutsch-polnischen Grenze. Die von General von Pawelsz am Freitag gegebene Auslegung des Art. 180 sei unannehmbar, da sie Deutschland gestatten würde, eine Revanche im Osten vorzubereiten.

Bevorstehend«: Einigung in den Berliner Verhandlungen?

TU Paris, 17. Jan. Wie dasJournal" sich aus Berlin melden laßt, erklärt man in den der interalliierten Kontrollkom­mission nahestehenden Kreisen, daß, von Ueberraschungen abgese­hen, in der Frage des Kriegsmaterials zweifellos noch vor dem 81. Januar eine Verständigung erzielt werde. In der Frage der Ostbefestigungen sei eine Lösung dahingehend vorgesehen, baß die beseligten Plätze Königsberg und Küstrin in Ueberein- stimmung mit dem Versailler Militärkomitee territorial abge- arenü und wahrscheinlich in ihrem gegenwärtigen Zustande er­

halten bleiben würden. Die Befestigungsanlage von Glogau dürste nicht über die zwei äußeren Fortsgürtel hinausgchen, da­gegen sollen ergänzende Anlagen in und um Glogau zerstört werden. Außerdem gehe ein alliierter Vorschlag dahin, daß Deutschland in Zukunft keine Befestigungsarbeiten ohne vorher­gehende Zustimmung des Völkerbundes vornehmen könne.

Die Räumungsfrage.

Das Für und Wider der Pariser Presse.

TU. Paris, 17. Jan. Die Diskussion über die Frage der vorzeitigen Rheinlandrämnung nimmt in der französischen Presse ihren Fortgang. ImEcho de Paris" schreibt heute der der republikanischen Union angehörende Pariser Deputierte und Vorsitzende der Nationalen Frontkämpfervereinigung, Goy, daß die Räumungsfristen noch gar nicht begonnen hätten. Unter den günstigsten Bedingungen werde von der Räumung erst um das Jahr 1942 herum die Rede sein können. Demgegenüber bezeichnet derQuotidien" die Räumung des Rheinlandcs als die notwendige Bedingung für die Wiederversöhnung. Im na- taonalen Interesse müsse man die Zurückziehung der französischen Truppen beschleunigen und über die Rhüinlandräumung ver­handeln. Auch dasOeuvre" setzt sich für die Rheinlandräu- mung ein, ohne die eine deutsch-französische Annäherung nicht möglich sei.

Eine Entschließung der Frontkämpfer Frankreichs.

TU. Paris, 17. Jan. In Paris fand am Sonntag der Kongreß der Nationalen Frontkämpfervereinigung statt. Es wurde eine Entschließung angenommen, die besagt, daß die ehe­maliger» Frontkämpfer Frankreichs normale Beziehungen mit Deutschland wünschen. Eine deutsch-französische Verständigung sei und bleibe der Angelpunkt aller europäischen Befriedung. Solange aber in Deutschland die Abrüstung der Geister nicht durch die Durchführung eingcgangener Verpflichtungen eine be­wiesene Tatsache sei, könne Frankreich Nicht auf die materiellen Friedensgaranbien aus dem Versailler Vertrag verzichten.

Tages-Spiegel.

Reichspräsident von Hindenhurg hat Dr. Marx mit der Bildung eines Kabinetts der Mitte beauftragt. Dr. Marx hat den Auftrag angenommen.

Dr. Marx, der bereits gestern mittag mit den Führen» des Zen­trums Fühlung genommen, wird heute die Verhandlungen mit der Deutschen Volkspartei aufnehmen.

In Paris wurden am Samstag die Verhandlungen über di Restpunkte fortgesetzt. Das Versailler Komitee ist nrit der Prüfung der deutschen Vorschläge beschäftigt.

Die französische Presse verfolgt den Gang der Restpnnkteverhand lungen mit immer neuen Forderungen nnd gehässigen Aus­fällen gegen Deutschland.

Rcrchsfinanzmknister Dr. Reinhold sprach ans einer demokrati­schen Mittelstandstagung in Berlin über die Steuerpolitik des Reiches und den gewerblichen Mittelstand.

D«r Chef des Reichswehrkommandss V Stuttgart, Generalleut­nant Hasse, wird am 1. Februar in den Ruhestand trete«.

In Newyork rechnet man damit, daß Staatssekretär Kellogg wegen der Vorgänge in Nicaragua und Mexiko zurücktretcn wird.

Aus dem französischen Parlament.

Mittwoch Beginn der außenpolitischen Debatte in der französischen Kammer.

TU. Paris, 17. Jan. Es wird nun bestätigt, daß Briand am kommenden Mittwoch vor der Kammer seinen Bericht über die auswärtige Politik Frankreichs erstatten wird. Er soll sich ferner verpflichtet haben, alle notwendigen Maßnahmen zu er­greifen, damit die Interpellationen über die auswärtige Politik in der Kammer noch vor der außenpolitischen Aussprache im Senat erörtert werden.

Painlevc über die Organisation der nationale« Verteidigung.

TU. Paris, 17. Jan. In der Sorbonne sprach Kriegs­minister Palnleve in Anwesenheit deS Präsidenten der Repu­blik, Doumcrgue, und des Ministerpräsidenten Potncare über die Organisation der nationalen Verteidigung. Ein« Herabsetzung der Militärzeit, so führte er aus, sei nur möglich, wenn dem Militärdienst eine längere körperliche Erziehung und militärische Vorbereitung vorangingen. Elftere müsse schon ln der Kindheit beginnen, während die militärische Vorbereitung etwa 2 Jahre vor der Einziehung einsetzen müsse.

Steuerpolitik

und gewerblicher Mittelstand.

TU Berlin, 17. Jan. Auf dem demokratischen Reichsmittel­standstag im Festsaal des Berliner Landtages sprach Reichs­finanzminister Dr. Reinhol- überDie Steuerpolitik des Rei­ches und der gewerbliche Mittelstand." Der Minister betonte, daß die genossenschaftlichen Banken durch den Sparsinn des Vol­kes weiter gefördert werden müßten, da sie nrit ihren billigen Krediten die rechte Stütze des Mittelstandes seien. Das größte Interesse habe er als Minister der Verbilligung des Geldmark­tes zugewan-dt. Leider geben hierbei die Riesenzahl der Arbeits­losen und die schlechte Lag« der Landwirtschaft immer noch zu Besorgnissen Anlaß. Andererseits aber böten di« Ferngasver­sorgung, die Elektrifizierung der Bahnen und ein vernünftiges Wohnungsbauprogramm genügend« Arbeitsgelegenheiten. Eben­so müsse nrit allem Nachdruck auf eine Verbilligung der Hypo­thekenzinsen hingearbeitet werden, damit der Banmarlt die not­wendigen Kapitalien erhalte.

Der demokratische Reichsmittelstandstag nahm folgende Ent­schließung an: Die Demokratische Reichsmittelstandstagung warnt im Interesse des deutschen gewerblichen Mittelstandes vor der Agitation der Wirtschaftspartei. Eine Abwendung des gewerb­lichen Mittelstandes von den politischen Parteien müßte zu einer verhängnisvollen Isolierung dieser für das Volksleben ent­scheidend wichtigen Schicht führen und sie in allen Parlamenten in hoffnungslose Minderheit versetzen. Nur stärkste Mitarbeit in den politischen Parteien verbürgt dem gewerblichen Mittel­stand den Einfluß, der ihm gebührt. Die Wirtschaftspartei, die durch ihr widerspruchsvolles Verhalten und ihre Mitwirkung an der den Mittelstand vernichtenden Schliebenschen Zoll- und Steuergesetzgebung Handwerk und Gewerbe so schwer geschädigt hat, hat bewiesen, daß ihr die Interessen des gewerblichen Mit­telstandes nicht anvertraut werden dürfen.