Petersburg, 31. Aug. Ein kaiserlicher Ukas ertheilt den Soldaten aller Heeresgattungen, welche bis 1. Januar 1868 dreizehn Jahre gedient, treminlosen, und denjenigen, welche zehn Jahre gedient haben, beschränkten Urlaub, ausgenommen den Soldaten des Warschauer Militärsbezirks, deren Beurlaubung erst nach dem vor dem Kaiser stattfindenden Manövern ersolgt.
Närrische Leute.
(Fortsetzung.)
„Mir leuchtet Dein „folglich" noch nicht ein," bemerkte Schovien lächelnd. „Sie paßt nicht für Dich, Horst!"
„Und weßhalb nicht? Sie ist hübsch und reich!" .
„Gewiß! Allein —!"
„Nur heraus mit der Sprache, Assessor!" rief der Lieutenant.
„Horst, sic ist zu klug für Dich!"
Der Lieutenant blickte den Assessor einen Augenblick überrascht an, dann zog er die .Hand aus dessen Arm und stieß ihn von sich.
„Wärest Du nicht mein Freund und ein Jurist, der sehr oft unüberlegte Dinge spricht, so würde ich Deine Worte als eine Beleidigung aufsassen!" sprach er und wandte sich ab, um fortzugehen.
Schovien hielt ihn am Arme zurück.
„Bleib nur, Horst!" rief er lachend. „Das Mädchen ist wahrhaftig zu klug für Dich! Was wolltest Du antworten, wenn sie ein Gespräch über Dante mit Dir begänne?"
„Pah! Ich würde ihr einfach sagen, daß ich nie über Dante spreche — aus Grundsatz nicht! Woher weißt Du denn, daß sie so klug ist?"
„Aus eigener Anschauung. Sie hat ihre Erziehung in einer der besten Erziehungsanstalten der Schweiz erhalten."
„Das alles hat sie Dir gestern erzählt?"
Nein, ihr Vater hat es mir bereits vor einigen Tagen erzählt."
„Kanntest Du sie denn bereits?" fragte Horst überrascht.
„Gewiß! Eger war bei seinem Umzuge hierher durch einen Freund an mich empfohlen, ich habe ihm einige geringfügige Dienste erwiesen, da hat er mich natürlich zu sich eingeladen."
„Und kein Wort hast Du mir davon erzählt!"
„Konnte ich ahnen, daß Cläre Dich interessiren würde! Sie ist ja nur eine Bürgerliche!"
„Sie ist aber hübsch und reich!" rief Horst. „Auf Ehre, ein ganz famoses Mädchen! Und wie hoch schätzest Du den Alten, ihren Vater?"
„Er wird höchstens fünfzig Jahre alt sein," erwiderte Schovien lächelnd.
„Assessor, Mensch — was geht mich sein Alter an! Wie hoch schätzest Du sein Vermögen?"
„Ich halte ihn für einen Millionär," gab Schovien zur Antwort.
Der Lieutenant trat überrascht einen Schritt zurück.
„Für einen Millionär!" wiederholte er. Und er hat nur dies eine Kind?"
„Nur dies eine."
„Höre Assessor," fuhr Horst fort, indem er vertraulich wieder die Hand in den Arm des Freundes schob. „Du hast mir zu wiederholten Malen versichert, daß Du mein Freund seist, ich glaube es sogar — jetzt kannst Du mir es durch die Thal beweisen."
„Und wodurch?"
„Komm auf diesen Seitenweg — hier begegnen uns zu viel Menschen und stören uns. — Nun höre mich an. Die kleine Fabrikantentochter steckt mir wirklich im Kopfe, ich werde mich über ihre bürgerliche Geburt hinwegsetzen — ja ich habe ernstliche Absichten auf sie. Du mußt mich unterstützen, ihre Hand zu erlangen!"
„Soll ich für Dich bei ihr werben?"
„Nein — das werde ich allein thun; allein da Du sie kennst, kannst Du sie möglichst günstig für mich stimmen. Du kannst es, wenn Du es nur willst!"
„Ich werde ihr sagen, daß Du Deinen Vetter, den Hauptmann, beerbst, sobald denselben der Schlag gerührt habe." ^
„Das kannst Du nebenbei mit einfließen lassen. Hauptsäch
lich möchte ich, daß Du meine persönlichen Vorzüge hervorhöbest!"
„Gut, so werde ich ihr sagen, daß Du von allen Offizieren, welche ich kenne, die dünnste Taille und die meisten Schulden habest, daß Du vortrefflich tanzest, daß Du ferner —!"
„Schweig!" unterbrach ihn Horst. „Du verfällst bereits wieder in Deine verrückte Laune!"
„Ich weiß keine anderen Vorzüge."
„Mensch! Du sollst ihr sagen, wie alt mein Adel ist!"
„Auch das will ich thun. Sende mir Deinen ganzen Stammbaum, ich will ihr denselben überreichen und zugleich bemerken, daß ein Horst aller Wahrscheinlichkeit nach bereits in der Arche Noah's gesesfen habe!"
Wieder ließ der Lieutenant den Arm des Assessors unwillig los.
„Geh' in Dein Gericht und schreib Acten!" rief er. „Dazu allein bist Du zu gebrauchen!"
„Lieutenant, so gib mir bestimmt an, was ich sagen soll!" erwiderte Schovien lachend.
„Du sollst ihr sagen, daß ich ein sehr liebenswürdiger Kerl bin!" rief Horst. „Das wird sie freilich selbst finden, immerhin ist es indeß gut, wenn sie es auch von andern hört!"
„Gut, ich will es ihr sogar beweisen!"
„Beweisen? Wodurch?"
„Ich werde ihr die ganze unendlich lange Reihe Deiner Liebschaften hcrzählen und ihr bemerken, daß es Dir unmöglich gelungen sein würde, so viele Verhältnisse anzuknüpfeu, wenn Du nicht ein ganz außerordentlich liebenswürdiger Mensch wärst!"
„Du bist toll, Assessor!" rief der Lieutenant ihn unterbrechend. „Ich habe längst gewußt, daß in Deinem ganzen Kopfe nicht drei vernünftige Gedanken stecken! Mein Bursche würde klüger handeln, und der ist einer der größten Esel, die ich kenne!"
„Gut, so laß Dich durch Deinen Burschen bei Eger's Tochter empfehlen," entgegnete Schovien. „Ich werde sie auf den Besuch vorbereiten!"
Horst wandte ihm, ohne ein Wort zu erwidern, den Rücken und gieng fort. Der Assessor eilte ihm nach, denn er wollte ihn nicht ernstlich erzürnen.
„Bleib, Hcnst!" rief er. „Mensch, bist Du empfindlich! Hör' mich an. Ich werde ihr sagen, daß Du mein Freund bist!"
„Ich danke für solch eine zweifelhafte Empfehlung," brach der Lieutenant los. „Ich werde auch ohne Deine Hilfe zum Ziele kommen. Gib mir noch eine Cigarre und dann geh' in Dein Gericht. Ich habe nicht Lust, mir den schönen Morgen durch Dich verderben zu lassen! So — nun lauf!"
Er ging, nachdem er noch eine Cigarre zu sich gesteckt hatte, rusch davon.
Einige Sekunden lang blickte Schovien ihm lächelnd nach. Dann ließ er sich auf eine Bank nieder, welche einige Schritte von ihm entfernt stand. Ein mächtiger Hollunderstrauch breitete seine Zweige schattend über dieselbe. Die duftigen vollen Blü- then schienen die Zweige fast niederzuziehen.
Eilte sinnige Hand hatte die Bank gerade an dieser Stelle errichtet. Abgelegen von dem gewöhnlichen Spaziergange, halb versteckt, wurde sie nur wenig benutzt. Wie im Leben, so bewegt sich auch auf den Spaziergängen die große Menge der Menschen auf den breiten ausgetretenen Wegen. Die besonderen Pfade sind ja nur für die besonderen Menschen.
Weithin konnte der Blick von dieser Stelle schweifen bis zu den einige Stunden entfernten bewaldeten Bergen, welche sich wie Rahmen um die lieblichen Landschaften hinzogen.
Träumend, in Gedanken versunken, saß Schovien da. Er dachte an das liebliche Mädchen, von welchem der Lieutenant so eben gesprochen hatte. Er halte bereits oft an sie gedacht — erst jetzt wurde er sich bewußt, daß er sie liebte. Horst's offen ausgesprochene Absicht halte ihn nicht eifersüchtig gemacht, denn er fühlte, daß der leichtlebige, ja oft leichtsinnige Lieutenant nicht für sie paßte. Unwillkürlich drängte sich ihm die Frage auf, ob es ihm gelingen werde, Cläre's Liebe zu erringen. Sie war ihm freundlich entgegengekommen, allein was war diese Freundlichkeit mehr als eine Artigkeit, welche sie dem Manne schuldete, der ihrem Vater mehrere Dienste erwiesen hatte!
- (Fortsitzung lolgt.)
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' Neratrioü, Drück und-Berlüg d, r' gaiier'jchen Buchhandlung.