bürg kann noch einst wieder der Zankapfel zwischen dem zweiten Kaiserreich und Preußen werden.
Aus Amerika wird ein schreckliches Eisenbahnunglück gemeldet. Zn der Nacht des 14. April zwischen Buffalo und New- 2)ork hatte ein Schnellzug mit 300 Reisenden durch Nachlässigkeit des Lokomotivführers 47 Minuten Zeit verloren, und begann nun, um diese Zeit wider einzuholen, mit einer Schnelligkeit von 25 englischen Meilen (etwa 14 Wegstunden) dahin zu schießen. Die Bahn sührte am Rande eines 125 Fuß hohen fast senkrechten Abhangs über dem Delawarefluß hin. Plötzlich erschreckte die Passagiere im dritten Wagen ein heftiger Stoß, aber der Zug jagt weiter, indcß die letzten 4 Wagen aus den Schienen gerissen, die Verbindungsketten sprengen und — unter einem herzzerreißenden Schrei der Passagiere krachend in die schreckliche Tiefe hinabstürzcn. Bon dort schallt das Hilfe- und Schmerzeusgeschrei der Verwundeten; bald dringt auch ein schwacher Lichtschein herauf, der aber allmälig sich vergrößert und als gewaltiger Brand weithin die Gegend erleuchtete. Der eine der Wagen steht in Flammen, und die unglücklichen Opfer der Fahrlässigkeit jammern in seinem Innern in Todesnoth, weil sie ihrem Gefängnisse nicht entrinnen können. Unterdessen sauste die Lokomotive mit den ersten Wagen weiter und erst nach einiger Zeit kam es dem Lokomotivführer so vor, als ob er einige seiner Wagen verloren habe. Der Zug wurde zum Stehen gebracht und dampfte zurück, dem Orte des Schreckens zu. Der ausgehende Mond und die Flammen des brennenden Wagens zeigten den glücklich entronnenen Passagieren ein grauenvolles Bild der Zerstörung und des Todes. Alle gaben sich mit Anstrengung "der äußersten Kräfte daran, die wenigen Ueberlebenden aus den Flammen zu retten. Es war eine verzweifelte^Arbeit, da es fast an allen Werkzeugen gebrach. Nach vielen L-tunden hatte man endlich die Todten wie die Lebenden den Abhang hinauf und in die unbeschädigten Wagen geschafft. Der Zug dampfte weiter. Zwei ganze Kisten voll abgerissener Gliedmaßen wurden auf dem Schauplatze des Unglücks gesammelt. Die Zahl der Umgekommenen betrug 24, die der Verwundeten 50.
Aus Washington erfahren wir vom 12. Mai per Kabeltelegramm : Der Senat Gerichtshof setzte das Schlußnrtheil in dem Anklageverfahren gegen Johnsohn bis Samstag ans. —
Am Cap der guten Hoffnung hat man ein großes (Steinkohlenlager entdeckt.
Meiner Schwester guter Rath.
(Fortsetzung.)
„Ah! ein Mädchen, natürlich!" erwiderte Cordula. „Ich hätte mir's denken können, daß es ein Mädchen war. Leute ivie Robert Erhard hinterlassen immer Mädchen. Eine schöne Verantwortlichkeit für denjenigen oder diejenige, denen sie noleus voleus aufgeladen werden wird. Welche Last und Sorge! Natürlich wird sie ihrer Mutter gleichen und diese war sicherlich so eine Halbwilde. Eine schöne Geschichte das! Gut, daß wir Tausende von Meilen weit weg wohnen."
Ich kannte meine Schwester; ich hatte diesen Ausfall erwartet; ich wußte auch, sie meinte es nicht so bös; aber dennoch wurde mir ganz schwach um's Herz, als ich daran dachte, daß meine Mündel, Lucinde Erhard, auf dem Wege nach Europa war. Ich rückte vom Tische weg, legte meine Serviette zusammen und sagte mit düsterer Miene: „Nun denn, Schwester, so muß ich mich mit Deinem Mitleide trösten, denn ich bin das unglückliche Individuum, das die Sorge für die Waise übernehmen soll." Cordula ließ Messer und Gabel fallen und sah mich erstaunt und doch triumphirend an: „So, Du? Hätte mir's übrigens denken können. Thut mir leid für Dich."
„Danke, ich bin auch selbst nicht froh darüber; aber was soll ich thun?"
„Thun? Das bitte ich mir aus!" rief meine Schwester; „hast Du den Verstand verloren? Thun! — Ei die Sache aus- schlagen, ganz gewiß. Ich vermuthe, Du kannst doch nicht gezwungen werden und das Mädchen hat gewiß näher stehende Angehörige, denen es eher zukommt, sie aufzunehmen und für - die es sich auch besser passen wird."
„Der arme Robert scheint doch nicht dieser Meinung gewe- j sen zu sein," antwortete ich verdrießlich. '
Das strenge Gesicht meiner Schwester wurde allmälig länger und unheildroheuder. „Die Verkehrtheit der Männer gränzt an's Unglaubliche," bemerkte sie nach einer Weile mit vieler Salbung. „Und ich sehe, Bruder, daß Dem Entschluß gefaßt ist. Nun Du mußt wissen, was Du thust, und ich weiß, was ich thue, wenn ich Dir klar meine Meinung sage. Ich werde doch so viel Freiheit haben? Und meine Meinung ist, daß Du im Begriff stehst, Dich recht znm Narren zu machen."
„Es wird nicht das erste Mal sein," sagte ich in der Absicht, die Sache wo möglich in's Spaßhafte zu ziehen.
„Auch nicht das letzte Mal, denn es gibt Leute, die ihr Lebenlang nicht gescheidt werden. Vormund eines kleinen Mädchens! Ein Mann in Deinen Jahren! der kein Kind mehr sah, seit er selbst eins war, und der alt genug ist, sich gar nicht mehr darauf besinnen zu können; ein Mann mit - "
„Wenn sie noch ein Kind ist," unterbrach ich die Fluih erbarmungsloser Wahrheiten, „so kann man sie ja in einem Institute unterbringeu."
„Und wenn sie schon zu alt dazu ist?"
„Nun daun vcrheirathcn wir sie so schnell wie möglich," entgegnete ich lachend.
„Ja, verheirathen; — dazu sind alle Frauen geschaffen, wie die Männer zu denken scheinen. Verheirathen!"
„Liebe Schwester, die Bibel wenigstens sagt etwas Derartiges, als sie den Grnnd angibt, warum Frau Eva geschaffen wurde."
„Aber wir leben nicht mehr in den Zeiten der Schöpfung und unser civilisirtes Jahrhundert stellt andere Principien auf," eiferte Cordula.
„Leider ja," sagte ich, hatte aber schon vorsorglich den Thürdrücker gefaßt und war beim letzten Wort zum Zimmer hinaus.
Das Schrecklichste war geschehen. Ich hatte pflichtschuldigst meine Mündel aus den Händen der Familie empfangen, in deren Schutz sie die Ueberfahrt von Westindieu gemacht; ich hatte sie meiner Schwester Cordula vorgcstellt und sie der Wohlge- wogenhcit dieser exemplarischen Dame anempsohlen. Diese folgte mit den Augen Fräulein Erhard, als sie sich aus dem Salon in ihr Schlafzimmer begab, um sich ihrer Rciseklcider zu entledigen, und sagte:
„Bruder, — ist es ein Kind oder ein erwachsenes Mädchen?"
„Auf mein Wort, Cordula," entgegnete ich, etwas verblüfft über diese plötzlich an mich ergangene Frage, „wenn Du wirklich meine Ansicht hören willst, so würde ich sagen: Etwas von Beiden oder eigentlich weder das Eine noch das Andere."
»Ich sollte meinen," sprach Cordula streng, „eine gerade Frage verdiente eine gerade Antwort."
„Liebe Schwester," begann ich, „ich hätte sagen sollen —"
„Du verstehst nichts davon, Bruder," fiel sie mir in's Wort. Ich schwieg, denn sie hatte die Wahrheit gesagt.
Kind oder Jungfrau? Dreizehn oder zwanzig? Um's Leben hätte ich mich nicht für das Eine oder Andere entscheiden können.
Am Abend saß meine Schwester Cordula, wie es ihre Gewohnheit war, am entferntesten Ende des Wohnzimmers, in ihre Haushaltungsrechnungen vertieft, und als sie damit fertig war/strickte sie an einem großen wollenen Strumpfe, mit dem sie die Sammlung von Gegenständen zu einer Lotterie zum Besten elternloser, arbeitsunfähiger Handwerkerstöchter, welche die Ehe verschmäht hatten, zu bereichern gedachte. Ich meinerseits ruhte in einem Lehnstuhl in der anderen Ecke und hielt ein Buch in der Hand, in welchem ich unter gewöhnlichen Umständen gelesen haben würde, das ich jetzt aber nur als Schirm gebrauchte, uni hinter demselben unbemerkt das kleine Fräulein Lucinda stn- diren zn können. Sie saß mir gegenüber und blätterte in einer Modezeiung mit einer so kleinen Hand, daß man sie unmöglich als einem erwachsenen Mädchen angehörig betrachten konnte. Die Gestalt, so schlank, so klein, so schmiegsam, paßte zu dieser Hand und erinnerte unwillkürlich an einen Weideuzweig, der sich im Sommcrwinde hin und her wiegt und seine grünen Blattspitzen in den Fluß taucht.
_(Fortsezung folgt.)_
Redaktion, Truck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchhandlung.