widerte: „Ich batte ihm gelobt, bei ihm aukzuhalten, und würde wein Wort gehalten haben, hätte ich auch nach länger in Paris bleiben müssen."
„Letzt Euch," sagte hierauf Mathilde, und alle ließen sich nahe bei ihr nieder.
„Ihr seht in mir eine Sterbende," begann nun Mathilde, die nicht gerne aus dem Leben scheiden will, ohne Euch etwas zu enthüllen, was auch für Euch von Wichtigkeit ist, da es einen Jrrthnm zerstört, der Euer Leben schon seit langer Zeit vergiftet bat. Ich bedaure Euch, Johanna, und weil ich Euch in einer schwere» Stunde einen Fluch gab, will ich »uu auch Eurem Ge> wissen Ruhe schaffe». Der Mann, de» Ihr binrichlen ließet, weil er sich für Euren Datcr anerkennen ließ, und um dessent- wille» Euch das Bolk noch heute als Vatermördern! betrachtet, war nicht Balduin. Ich allein wußte, wer er war, aber die Umstände waren so seltsam verkettet, daß ich nicht wagen durfte, Euch den Zusammenbang zu entdecken. Ich habe Euch dadurch schweres Leid zngesügt, aber glaubt mir, auch ich habe in jener Zeit mehr erlitten, als ein Mensch ahnen konnte. Wollt Ihr mir daher verzeihen?"
Johanna hatte mit Ruhe zngehört. Sie entgegnctc: „Ich hege gegen Niemand Groll. Wir Alle haben schwer gefehlt und hart dafür gebüßt."
Malbilde fuhr fort: „Jener unglückliche Man» war gezwungen, die Rolle zu übernehmen, zu welcher ihn, um die Noth des Landes zu ende», das flandrische Volk erkor. Er würde sich gewiß zu erkennen gegeben haben, wenn er es hätte wagen dürfen, ohne sich dem qualvollsten Tode z» überliefern. Vernehmt denn, wer er war. ES war der jüngere Sohn aus dem gräflichen Hanse von Anjou. Die Aebnlichkeit, welche er mit Balduin hatte, erklärt sich auS dem Umstande, baß Beider Mütter Schwestern waren. Andibert, so hieß er, sah mich als die Braut König Sancho's und lieble mich. Ter Zwang, der mich zur Ehe mit dem Könige nöthigte, war die Wurzel, aus der eine mächtige, durch die Hindernisse gesteigerte Leidenschaft in mir erwuchs. Au- diberi folgte mir nach Portugal und wir schufen uns ein Glück, das unter dem Schleier der Verborgenheit uns ganz anSsüllte. Da entdeckte Sancho unsere Liebe und bedrobke das Leben An- diberis, aber ich wußte den Geliebte» zu retten. Sancho starb, und nachdem Ferdinand geboren war, kehrte ich mit Andibert nach' Paris zurück. Lange Zeit währte auch dort unser heimliches Glück, dessen Dauer durch den Sohn unserer Ltebe verbürgt war. Erst als Philipp August den Plan faßte, mich mit dem Grafen von Elsaß zu vermählen, ereilte unS das Verbängniß. Meine Weigerung schärfte die Beobachtung. Der König verschaffte sich Beweise unserer Verbindung, und drohte dem Grasen. Tic strengste Untersuchung sollte beginnen, und Andibert wäre unrettbar zum grauenhaflestcu Tode vernrtheilt worden. Ta wendete ich mich bittend an de» König Philipp Ausgnst. Meine Einwilligung zur Verbindung mit dem Grafen von Elsaß war der Preis, wofür es ermöglicht wurde, daß Andibert heimlich entfliehen konnte. Niemals erfuhr ich, ob er noch lebte und wohin er sich gewendet habe; ich wähnte ihn lange todi. Da, eines Tages, mahnte mich ein Tran», an ihn, und kurze Zeit nachher sah ich ihn auf jener Versammlung im Schlosse vor mir stehen. Der Eindruck jenes Moments war ein furchtbarer. Was sollte ich thun? Das schreckliche Zusammentreffen raubte mir die Energie meines Wesens. Ich zog mich in die Einsamkeit zurück und überließ es dem Schicksal, den Unglückseligen zu verderben."
Tie Königin halte nicht ohne Unterbrechung dies Alles erzählt. Die heftige Ecmüthsbewcgung, welche sie dabei empfand, «nd die Zunahme der Schwäche nöthigte» sie mehrmals, sich zu erholen; nun überfiel sie eine bedeutende Beklemmung der Brust, und ihr Atheni ging fast in ei» hohl röchelndes Stöhne» über. Sie überstand jedoch diesen Anfall und beruhigte sich wieder. Wilhelm von Kranhoven, der von den Eröffnungen Hngo's nichts wußte, halte ganz besonders thcilnahmSvoll dem Bekenntnisse Mathildens zugehört.
Johanna sah die Zunahme von Mathildens Schwäche und bat dieselbe, sich ruhig zu verhalten. Daun sagte sie: „Laßt uns jetzt die Augen abwenden von diesen düster» Bildern und Hinausblicken zu Dem, Ter Alles zum Guten lenken kann. Ich danke Euch, Königin, für Euer Vertrauen, dessen ich freilich zur Beruhigung meiner Seele nicht mehr bedurfte, da bereits ein
edler, glaubwürdiger Bote mir die Gewißheit gebracht hatte, daß mein Vater als Held im gelobten Lande geendet hat."
Hierauf sah Johanna ihre Schwester und Kranhoven an und fuhr mit würdevoller Ruhe fort: „Vernehmt denn auch, was ich Euch milzuiheilen gesonnen bi». Ich fühle mehr als je zuvor, daß cs Zeit für mich ist, die Einsamkeit zu suchen und die Bürde der Staaisgcschäsle auf kräftige Scknilteru überzutragen. Meine theurc Schwester wirb sich mit dem Grafen Dampierre vermähle», der ein edler, tapferer Mann ist. Ich habe daher beschlossen, ihr die Regentschaft zu übertragen und hoffe zu Gott, daß es ihr und ihrem Gemahl gelinge» werde, Flandern so glücklich zu machen, wie ich es nicht vermochte und wie cs dies schöne gesegnete Land verdient."
Margarethe faßte liebevoll Johanna's Hand und bat: „O Schwester, was willst Du thun? Erhalte dich dem Leben und der Hoffnung."
Johanna aber entgegnete: „Es ist beschlossen. und der heutige Tag, der mir so viel Tröstendes gebracht hat, bestärkt mich nur in diesem still gereisten Entschluß."
Auch Mathilde wollte etwas sagen, aber bevor cs geschehen konnte, hatte sie wieder einen heftigen Erstickungsanfall, dies» mal so gefährlicher Art, daß Margarethe um Hilfe rief, worauf Boabdil eilig herzukam.
Der Maure reichte der Königin nochmals den beruhigenden Trank und diesmal nahm sie ohne ein Wort der Einrede denselben an. Mit ganz matter Stimme flüsterte sie dann: „Kommt her, Margarethe und empfangt den Segen einer Sterbenden, denn ich suhle, daß mein Ende naht."
Margarethe kniete vor ihr nieder, faltete die Hände und neigte den Kops. Mathilde legte sanft ihre Hände ans das Haupt der Kniecnden und flüsterte: „Vergeht nicht, daß Euer Flandern ein reiches, verlockendes Länbchen ist für jeden beutegierigen Nachbar. Wenn Ihr sicher stehen wollt, so warnt Euren Gemahl für alle Zeit vor dem Vertrauen auf die Freundschaft Frankreichs. Das ist mein Segen."
Sie schwieg und Kranhoveu setzte hinzu: „Wohl wird unser schönes Vaterland noch oft der Gegenstand erbitterter Kämpfe werden, aber im Bündniß mit edelsühlenden Nationen wird es erstarke» zur schönen, dauernden Größe."
Indem er auch seine Hände über das Haupt Margarethens hielt, fuhr er fori: „Wie wir hier zusammen unsere Hände ans das Haupt der jungen Herrin Flanderns legen, so möge der Segen GottcS auf dem Lande ruhen und ihm eine glänzende Zukunft bereite», die ihm doppelt zum Heile gereichen wird, wenn es unter Kämpfen und Leiden zur wahren inneren Selbstständigkeit gelangt."
Schon während dem Anbören dieser Worte rieselte ein eiskalter Schauder durch Margaretha, denn sie fühlte die Hände der Königin bleischwer, wie Todtenhände ans ihr ruhten. Nun erhob sie sich und ein Blick in das Gefickt der ruhig Dasitzeuden überzeugte sie und die klebrige», daß Mathilde entschlafen, und ihr letzter Moment ruhiger gewesen war, als ihr vorhergehendes Leben.
Tief erschüttert verließen sie die Leiche. Boabdil blieb bis
zur Bestattung, dann gieng er nach Spanien zurück.
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Die Chroniken Flanderns berichten, daß Johanna den Nest ihres Lebens in frommer Zurückgezogenheit verbrachte. Werke der Barmherzigkeit und fromme Stiftungen waren das Einzige, was das Volk »och von ihr erfuhr, aber obgleich die Geschichte deS falschen Balduin vollständig aufgeklärt war, hielt man sie doch im Geheimen des Vatermordcs schuldig. Von Hugo von Kranhoven erfuhr man noch viel Rühmliches. Er war in den eben damals gestifteten Orden der Tempelherren eingelrcten, die das heilige Grab beschützten, und zeichnete sich durch Tapferkeit und Edclmuth aus.
Dreisilbiges Worträthsel.
Düs Erste kannst du reich und schön Im reichen England oftmals sehn.
Das Andre kannst du schön und reich Des Sommers sehn im deutschen Reich.
Doch vor dem Ganzen Gott bewahre Das Vaterland in jedem Jahre.
Redaltion, Druck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchhandlung.