zehn zu befördern. Von der Wichtigkeit dieser Nachricht kann man sich eine Idee machen, wenn man erfährt, daß der Tarif sich i» demselben Grade vermindern wird, wie die Leichtigkeit der Beförderung der Depeschen zunimmt. Der jetzt auf 50t) Fr. festgestellte Tarif ist so hoch gesetzt worden, nicht nm die Ausdeutung des Telegraphen lohnender zu machen, sondern um zu verhüten, daß er nicht mit Deveseden überhäuft werden soll. Die Entdeckung, von der die Rede ist, muß die Zahl der Depeschen verdreifachen. Bis jetzt beförderte man täglich nur 360 Depeschen :r 20 Wörter; was für die Bedürfnisse der Beziehungen zwischen den beiden Welten wenig, aber als Totalziffer und als Dividende für die Aktionäre des Kabels viel ist. Die Zahl die- ser Depeschen gewährte täglich eine Einnahine von 1,800,000 Fr., was jährlich die Bagatelle von 600 Millionen Fr. ansmacht.
Petersburg, 23. Okt. Der Ueberiritt der Prinzessin Dagmar, Braut des Großfürsten-Thronfolgers, zur orthodoxen Kirche findet am 2ck. Oktober statt. Verlobung andern Tags. — Gene- raladjntant Kaufmann erhielt einen eilfwöchenllichen Urlaub.
Konstankinopel, 19. Okt. Die Griechen habe» den Versuch gemacht, die vor Kandia liegende türkische Flotte zu verbrennen. — Aus Kandia sind Proviant- und sonstige Depots der Aufständischen in die Hände der Türken gefallen. Ein Angriff der gesammte» linkischen Armee auf die Provinz Aprocoro- nos hat stattgefunden. Der Ausgang ist unbekannt.
Die in New York weilenden Schwaben feierten in der letzten Woche des Monat September das berühmte „Canustatter Volksfest" durch Ausstellung von allen möglichen Früchten rc. und Lurch Ausführung von Schaustücken, wie z. B. die „Weiber- lrcue von Weinsbcrg".
(Hraf Balduin.
(Fortsetzung.)
8. Eapitel.
In ihrem düsteren Gemache, welches durch die dicht herab« gelassenen Gardinen noch unheimlicher geworden war, saß Königin Mathilde ans dem Krankenstnhle und alhmete so schwer, daß man besorgen mußte, jeder Augenblick könne ihr letzter sein. Bo- abdil, ihr langjähriger Vertranter, stand bei ihr und mischte Heiltränke, aber die Kranke wollte sic nicht mehr nehmen.
„Laßl'ö gut sein, Boabdil, und quält mich nicht länger mit Zureden. Ich mag Eure Arznei nicht. Seid deßhalb nickt verdrossen, ich weiß, daß Ihr die Heilknnst versteht, und Eure Tränke habe ich im Guten wie im Scklimme» kennen gelernt."
,,N»r dieses Mittel verschmäht nicht," bat Boabdil, ,,cs wird Euch Linderung geben, und die Beklemmung mindern."
Mathilde nahm den Trunk fast widerwillig, und schlürfte ihn langsam aus. Sie fühlte, wie er ihr wodlthal, und sie reichte Boabdil dankend die Hand. Während sie dies lhat, sank bleischwer eine Müdigkeit ans ihre Angenlieder, und sie ward von Schlaf überwältigt. Eine Art Traum führte die Bilder ihres Lebens an ihrer Seele vorüber. Ihr Vater war der Herzog Robert von Burgund gewesen. Vom Großvater her war sie mit dem Könige vpn Frankreich nahe verwandt, und so kam sie nach dem Tode Roberts an den Pariser Hof, wo sie erzogen wurde. Kaum herangewachsen, ward sie mit dem Könige Sancho von Portugal verlobt. Es trat ein neues Element in ihr Leben. Ihr Gesicht strahlte im Schlafe, als die Bilder jener Zeit an ihrer Seele vorüberglitten, denn sie war viel zu energisch und leidenschaftlich gewesen, um sich zu fügen. Ihre Hand reichte sie damals dem Könige Sancho, aber ihr Herz und ihre Gunst belaß ein Anderer, der ihr nach Portugal folgte. Sancho entdeckte den Betrug, und büßte diese Entdeckung mit dem Leben. Das war das Aergste, was sie gelhan, und als diese That vor ihr anftauckte, erwachte sie mit einem stöhnenden Hilferuf.
Boabdil stand noch immer bei ihr. Sie sah ihn an und sagte: „Seht, wie wenig Euer Beruhignngsmiitcl vermag! Das Alles hilft mir über Manches fort, aber nicht über das Schlimmste. Daran muß ich sterben, das ist gewiß!"
Boabdil weinte, eS könne ihr wohl noch geholfen werden, wenn sie selbst nur dazu beitragen wolle, aber sie erwiderte: „Das ist es ja eben, baß ich das nickt kann." Dann fuhr sie fort: „Ich bin müde, und habe das Leben satt. Das Letzte was mich betreffen konnte, war der Tod meines Sohnes, nun bin ich fertig. Wenn ich gestorben bin, nehmt Ihr, waS Euer
ist, und kehrt nach Spanien zurück. Tort stirbt sich'S schöner als hier."
„Ihr sprecht vom Sterben" erwiderte Boabdil, „wie von einem Wichten Geschäfte."
Mathilde emgegnete: Was ist'L weiter, wenn wir hier nichts mehr zu thnn haben? Ich ärgere mich schon lange, daß ich so unnütz nmhergehe, nun muß einmal ei» Ende sein. Tie Spielerei mit de» Sternen ist ganz gut zum Zeitvertreib; aber sagt selbst, was soll ich jetzt noch darin lese», was mir wichtig sein könnte? Es ist Zeit, einmal zu sehen, was hinter dem Vorhänge steckt." ! „Ihr seht gefaßt dem Jenseits entgegen," meinte Boabdil.
Tie Königin erwiderte: „Warum sollte ich das nicht? Etwa der Tränke wegen, die ich von Enck brauen ließ, um mir überlästige Menschen vom Halse zu schaffen? Ich glaube nicht an einen Gott, der uns unserer Sünden wegen wie Kindern die Ruthe gibt. ES lag einmal nicht in meinem Blut, mich geduldig zu fügen, dafür ist mir auch härter gebettet worden wie Andern. Gibt eS ein Jenseits , so wird auch dort Kamps und Unterschied ssein; wohlan, ich sebe ihm gefaßt entgegen. Zuvor aber will ich ein Lekenntniß ablegcn und einer hart geprüften Seele Ruhe schaffen."
Boabdil sah sie erstaunt an.
„Nicht der weinigen," sagte sie mit einem Anflug von ironischem Lächeln in dem sterbende» Gesicht; ich bedarf keiner Beichte und keiner Versöhnung mit Gott. Ich liebe bas Kreuz nicht, denn es predigt Deniutb. Freut Euch, Boabdil, daß ich Euch hier in meiner letzten Stunde »och die Versicherung gebe: Hätte l der Maurenkönig bei Tours über Karl Märtel gesiegt, und wäre ! das Abendland dem Halbmonde statt dem Kreuze anbeimgefallen, die Welt sehe mehr »ach meinem Sinne ans. Aber ich will Klarheit bringen in jene Verwicklung, die seil der Geschichte mit dem falschen Balduin entstanden ist. Ick bebe nickt leicht zurück, aber jener Augenblick, in dem so viele Faden zu einem unentwirrbaren Knoten zusammenliesen, raubte mir die Fassung. Auch das ist vornbergegangcn. Das Leben besteht nur ans Augenblicke», in denen wir durch- Freude, Schmerz oder Spannung ansgeregt sind; im Ganze» ist S wcrihloS. Mich erwarten keine solchen Momente mehr."
Boabdil bat die Königin, sich zu schonen, und nicht viel zu reden. Er verstand ihr Wesen, denn er stammte von einem Volke ab, bei dem der Muth des Mannes die höchste Tugend war. Wohl hatte Mathilde Recht, daß ihr die christliche Anschauung weniger entsprach, als die Lehre Mahomcds, bei dem weibliche Tngendeu nicht geachtet wurden. Darum auch hatte sie de» ge- hcimnißvoUen Künsten der Astrologie und Chiromantie am meiste» G e s ch m a ck a b gewann e n.
Rack einiger Zeit meldete Boabdil, daß die Gräfin Johanna augelangt sei. Mathilde ließ sie einirete» und gebot Boabdil, sich zu entfernen. (Schließ folgt.)
Allerlei.
— Die Berliner sind »»befangen genug, folgende Geschichten zn erzähleii. Herr v. Patow, der preußische Gouverneur, tröstete die Frankfurter: Beruhigen Sie sich, meine Herren, Frankfurt wird unter Preußen ein Paradies werden! — TaS ist höchste Zeit, antworteten sie ihm, denn ausgezvgen sind wir schon alle. — In Darmstadt hatten die Herren Preußen dem Zeughaus, namentlich den Tnchvorräihcn etwas übel mitgespielt. Davon war später in gemischter Gesellschaft beim Wein die Rede. Werfen wir darüber den Mantel christlicher Liebe, sagte ein preußischer Offizier. — Recht so, lautete die Antwort, das ist der einzige Mantel, der uns geblieben ist.
— In Leipzig geschehen schreckliche Geschichten. Man lese folgende Todesanzeige im L. Tageblatt. „Gestern hat es dem Herrn gefallen, meinen lebendigen eheleiblickcn Gemahl nach 1-4- tägiger Wassersucht, weil er dieselbe nickt vertrage» konnte, sanft zu sich zu rufen und schrecklich von meiner unglücklichen Seite zu reißen. Unter Bervitinng aller Cvndolenz sanft ruhe seine Asche. Tie Hinterbliebene verunglückt gewesene Wiltive des Verstorbenen C. P. Slemmeriu."
Redaktion, Druck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchhandlung.