Boden sank und die Besinnung verlor. Nun erst erkannte auch Hugo von Kranboven den Zusammenhang, und er, der kaum noch erfüllt war von der Freude des Sieges, fühlte beim Anblicke der ohnmächtigen Johanna den tiefsten Seelenschmerz. „Eilt," rief er einem der Diener zu, ,,rust die Frauen der Gräfin zu ihrem Beistand her/' und er selbst ging, ihr Hülfe zu schaffen.
Bald war Johanna von ihren Dienerinnen umringt und aus die Angabe deS alte» Kranboven hatte mau den Leichnam Aldenarde's forkgetragen. Als die Gräfin nun die Augen aufschlug, sah sic sich suchend um und frug erstaunt: „Wo bin ich? Was geschah mit mir?" Kaum batte sie dies gesagt, als ihr Blick ans Hugo von Kranboven fiel, der sie voll tiefe» Mitleids ansah. Heftig erhob sie sich und rief: „Nein, nein, es war kein Traum! Wahrheit, entsetzliche, furchtbare Wahrheil!" Sie blickte sich wieder suchend um und frug im Tone des tiefsten Schmerzes: ..Arnulf! Wo ist er? Wo habe» sie ihn hingebrachst?" Darauf hielt sie ihre Hände vor'S Gesicht und schluchzte bitterlich.
ES war Niemand mehr in der Halle außer Johanna, ihren Frauen und Len beide» Baronen Kranboven. Johanna sah nun ihre Frauen an, und dann die beide» Männer und sagte: „Wie sie mich Alle anstarre», so bleich, so hohläugig! Ist es Hohn oder Mitleid, was Euch bewegt? Ich verstehe die Welt nicht mehr! Eure Blicke durchbohre» mich! Arnulf! Arnulf! ihn allein verstand ich, er allein hat mich geliebt!"
Wie Pseile durchdrungen diese Schmerzenslantc das Herz des unglückseligen Hugo. Wilhelm von Kranboven dagegen war empfindungslos gegen diese Eindrücke. Er sagte: „Verzeiht, Gräfin, wenn Euer Schmerz mick nickt verhindert. Euch die Wabrheit auch hierin zu sagen. Er, den Ihr beklagt, der Euch betbört hatte, war einer ächten Liebe nickt fähig."
Wie eine beleidigte Löwin wendete sich Johanna jetzt gegen ihn, indem sie rief: „Das wagt Ihr, kalter, gefühlloser Mann mir zu sagen, Ihr, dessen Sinnen und Trachten hoch über dem Wohl des Einzelnen hinwegschreitel und nnr ans das Schicksal Tausender blickt. Was wißt Ihr von dem Jammer meines geknickte» Lebens; was kümmert Euch ein zertretenes Gefühl! Bon Jugend an war ich verdammt zu einem Leben ohne Freude »nd ohne jene herrlicke Gefühle, die das Eigcnthum Aller sind und mir vertagt blieben, weil ich kein Weib, nur eine Regenün sein sollte; er aber liebte mich, ihm war ick Alles! Mehr als Eure leeren Begriffe von Bakerland und Männerehre galt ihm mein Glück und meine Liebe, und wenn mein Elend jetzt grenzenlos ist, so möget Ihr daraus daß Maß unserer Leidenschaft ermessen. WaS hält mich »och am Leben? Was soll ick hier ohne ihn? Ick mag die Sonne nickt sehen, seitdem seine Augen erloschen sind; keinen Inhalt hat mein Dasein mehr, keinen Zweck mein Denken."
Erschütternd wirkten diese Worte auf Hugo, denn sein jugendliches Herz konnte die Kraft dieser wilden icidenschastlichen Gefühle ermessen, wenngleich sie in dieser Art ihm fremd waren. Ter alte Kranboven dagegen, dessen ganzes Wesen nur dem Geschicke des Vaterlandes zngewendet war, verstand nicht die Größe des Schmerzes, der in Johanna's Brust wühlte, und cntgegnete daher mit strafendem Tone: „Ihr klagt hier um den Tod des LandcSverrätherS, während Euer Bolk durch seine Ränke Enck des furchtbarsten 'Verbrechens zeiht. AIS er fiel, wurde gerade daS Urtheil vollstreckt, um deffenwillcn der Fluch des Va- termordeS auf Enck lasten wird, so lange Ihr lebt. Vergeblich werdet Ihr Euer Gewissen einwiegen und Euch bnndertfack sage», cs war nnr ein Gaukelspiel; die Rene lauert, sie wird sich mebr und mehr hervordrängcn und das Bild des gemordeten Bakers vor Eure Seele führen. Groß, wie Euer Vergeben muß Eure Strafe sein, die in demselben Augenblicke Euch traf, als jenes zur Anssnhrnng kam. Darum bezwingt den Schmerz, dort Euch der Tod jenes BerrätdcrS bereitet, und spart ihn aus für die Tage, wo die Last Eurer Schuld Euch zu Boden drücken wird."
Diese harten Worte wirkten in diesem Augenblicke weniger als in jedem andern auf das Gcmükh der ohnehin von Schmerz und Verzweiflung erfüllten Gräfin. Hugo dagegen fürchtete, sie möchten ihr das Herz zerreißen, »nd er entzog sich daher seinem eigenen Schmerzgefühle, indem er zn seinem Vater sagte: „Halte ei», Vater, schone die Unglückliche, laß uns der Stimme des Mitleids Gehör schenken, siehe wie sie leidet!"
Kaum aber trafen diese Worte das Ohr der Gräfin, als
i sic sich hoch aufrichteke, einen Blick des tiefsten Haffes auf Hugo l warf und zu ihm sagte: „Wie, Ihr wagt es. Eure Stimme hier zn erhebe», und von Mitleid für mich zu rede», Ihr, der ihn getödtei! Wie konnte ich sagen, mein Leben habe keinen Inhalt mehr? In diesem Augenblicke, da der Mörder meines Glücks wie zum Hohne von Mitleid für meine Leiben spricht, fühle ich, daß eS doch noch etwas gibt, was mich vor der Verzweiflung lckützen kann. Es ist der Haß, der tiefe unauslöschliche Haß gegen Euch, seinen Mörder. O Dank! Dank diesem Gefühle, das mich erhebt und meine Kraft mir wieder gibt. Haß und Rache sei fortan die Losung und der Zweck meines Denkens, und wie ick nie aufhören werbe, ihn, den Ihr getödket, zu lieben, so soll auck mein Haß gegen Enck ohne Grenzen sein."
Als sie dies gesagt batte, eilte sie nach dem Ansgange der Halle, und ganz erfüllt von ihrem glühenden Rachedurstc, rief sie der Wache, die dort stand, und befahl ihr einzntreken. Dann gebot sie den Baron Hugo von Kranboven zn verhaften, und schwur, er solle im tiefiien Kerker alle Qualen ertragen, die auSgedacht werden konnten, bis ihre Racke gesättigt sei.
Die beiden Kranboven zogen ihre Schwerter und Hugo rief: „Wer es wagen will, der komme heran!" Dann wendete er sich zu der wnkhbllckenden Gräfin und sagte: „Eure Rache fürchte ick nicht und werde ihr zu entgehen wissen, aber mein Herz blutet bei Eurem Haffe. Möge es mir geiingen, ihn zn besiegen und den Fluch von Eurem Haupte zu nehmen, dann ist mein Lebensziel erreicht."
Damit wollte er sich entferne,,, aber dies würde ihm kaum gelungen sein, wenn nickt ein neuer Tumult am Eingänge des Saales ihm zu Statten gekommen wäre. Die Ereignisse häuften sich an diesem so sckreckenvvllen Tage. Die Königin Mathilde hakte das Schicktal des Eremiten seither mit Aufmerksamkeit verfolgt. Daß Johanna ihn zum Tode verurtheilen werde, hatte i sie nickt für möglich gehalten, nun aber war die Kunde zu ibv gedrungen und sie hatte die Armensünderglocke gehört. Lange
Zeit war sie nicht ans ihrer Einiamkeik hervorgekommcn, jetzt
aber kam sie erhitzt, eilig in das Schloß gestürzt, und ihr Eintritt in den Saal wirkte so erschreckend, daß Hugo den Moment ! benutzen konnte, um mit seinem Vater das Freie zu erreiche»,
! dort Abschied von dem alten Manne zu nehmen und zu entfliehen.
^ Mathilde war in höchster Aufregung. „Wo ist die Gräfin?" l fragte sie und eilte auf Johanna zn , indem sie zu den Umstehenden i sagte: „Laßt mick, damit ick noch zur reckten Zeit komme." Als sie der Gräfin gegenüberstand, stieß sie die Worte hervor: „Hört mich, Johanna, zögert mit der Vollstreckung jenes Todeönrlheils, Ihr dürft den Man» nickt tödten, vergebens suche ick mein Gewissen zn betäuben, der Klang der entsetzlichen Glocke rief mich bieher; ich kann ipn nickt sterben lassen, ich will Alles enthüllen,
will reden und mick selbst auklagen. Nehmt nur das furchtbare
Urtheil zurück. Mein Fluch trifft Euch, wenn Ihr ihn ermorde» laßt!"
Tie gewaltige Aufregung der gefürchteten Frau wirkte lähmend auf alle Anwesenden. Tnmvf erwiderte Johanna: „Es ist zu spät, das Uribeil ist vollzogen, er ist tvdt."
Da stieß Mathilde einen lauten Wehernf aus, hob drohend ihre Arme empor und indem sie ihren Flnck anfJvhanna schle-udertc, sank sie bewußtlos zu Boden. (Forts, folgt.)
A. l t c r l
e r.
— Vor einigen Tagen kam der Dichter Friedrich Stolze, der flüchtige Redakteur der Frankfurter „Lettern", mit seiner Gemahlin und einigen Herren aus der Schweiz herüber auf die St. Gebhards-Kapelle bei Bregenz. Entzückt von der wunderbar schönen Gegend, ließ fick der Frankfurter eine Bleiseder geben und schrieb die folgenden Humorist,scheu Verse an die Wand:
O heiliger Gebhardt, wie wohnst du ko schön.
Ho» über den Gipfeln, hoch über den Hvh'n!
Und skyaust auf die Alpen, den Sec und de» Rhein;
Ich möchte wohl auch so ein Heiliger sein!
Der heilige Nimmhardr, der Herr in Berlin,
Der trieb zum St. Gedbard aus Frankfurt mich hi»,
O heiliger Gebhard, mein Heil und mein Glück,
O diit' für mein Frankfurt die Freiheit zurück!
Redaktion, Druck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchhandlung^