fürchtete so sehr, daß ich Dich verlieren könnte. Erfahre also, was geschehen ist! Mein Beller, Karl H., hatte für mich eine Skndentenphanlasie gefaßt, die sich während zweier Unioersitäls- ferie», wo er als Gast in dem Hause meiner Eltern war, entwickelt hatte. Er war einundzwanzig, ich halte nicht viel über sechszehn Jahre. Meine Müller schien, ohne sich hierüber aus- zusprcchcn, diese frühe Verbindung sehr zu billige», denn sowohl ihre eigene Kränklichkeit, als auch die meines Vaters drehle», wie es auch wirklich geschah, mich bald elternlos zu machen, und sic wollte meine Zukunft gesichert sehen. Karl war — wenigstens damals — eine gute, heftige, fröhliche, aber leichtsinnige Seele. Er wollte mein Herz mit Sturm erobern, aber dieses gab ihm keine Antwort, und meine Hand lag unbeweglich in der seinigeu, wenn er sie ergriff. Dennoch war ich meinem Vetter sehr gut, und da ich nothwendig den Wunsch meiner Mutter ahnen mußte, so mag sch wohl auch bisweilen über diese Sache nackgedacht haben. Weiter kam es nicht, bis eines Tages seine Gefühle gleich einem Sturmwinde über mich kamen, und ich ihm versprach, ich wollte ernsthaft über die Zukunft Nachdenken, welche er in so glänzenden Farben malte.
„Nachdem Tu bas gesagt hast, brauchst Du darüber nicht weiter nachzudenken — eS ist also abgemacht!" rief er und raubte mir einen Kuß, ehe ich mich feiner Kühnheit erwehren konnte. Doch eben diese seine Rücksichtslosigkeit gab mir einen völlig deutliche» Ueberblick über mein inneres Wesen. Ich sprang auf und warf ihm einen so strafenden Blick zu, wie ihn nur ein sechzehnjähriges Mädchen in ihre Augen legen kann.
„Jetzt weiß ich, sagte ich, daß ich Dich nicht lieben kann, »nd ich fühle, daß ich Dich niemals lieben werbe. Daher bedarf ick keiner weiteren Ueberlegnng — ich werde nicht die Deinlge."
„Dem neuen Sturme, welcher jetzt ausbrach, widerstand ich mit Festigkeit, und seine letzten Worte hielt ich für bedeutungslos:
„Im nächsten Jahre, sagte er, komme ich wieder und fordere da eine neue und bessere Antwort."
„Er reiste. Ec schrieb niemals, und einige Monate nach meinem siebenzehnten Geburtstage war ich mit Dir verlobt.
„Gewiß nimmt cs dich wunder, daß ich dasjenige, was Karl betraf, nicht mit meiner Mutter überlegte. Das aber wagte ich nickt, denn ich fürchtete, daß, wenn sie etwas von dieser Scene erführe, sic meinen Gefühlen vielleicht Zwang anlcgen und meinen würde, ich hätte Pflichten gegen den Vetter, also schwieg ich, bemerkte aber doch, baß eine dritte Person um mein Gcheimniß wußte, wie ich auf eigene Hand eine Verbindung mit Karl sowohl abgeschlossen als auch gebrochen hatte. Diese Person war unsere Hansjungfer, die ich nicht leiden mochte, die ich aber fürchtete, weil sie bei meiner Mutter in großer Gunst stand, weil sie bei Allen gut stehen wollte, im Hause Alles, besonders mich, anssvionirte, und weil man nicht ahnen konnte, wie sic ihre Kenntnisse anwendeke. Sie war dazu noch — so unschuldig sie auch aussah -- ei» intrigantes Geschöpf, das ich aus Justine! floh, wofür sie mich beinahe haßte, besonders da ich trotz meiner eigenen Jugend sah, was die Kränklichkeit meine Mutter zu bemerken hinderte, nnd ihr über ihr flüchtiges Leben Vorwürfe machte.
„Die Nachricht von meiner Verbindung mit Dir erweckte einen so wilden Tumult in Karls Seele, daß er in der ersten Gemüthsbewegniig von der Universität wegreiSke und zu unserer gemeinschaftlichen Verwandten, meiner alten Taute, kam, deren Gut an das meiner Elter» grenzte. Nun wobl, Georg! gleich am Tage sciner Ankunft schickte er mir einen Brief zu, der gegen mich sprechen muß, das sehe ick' sehr wobl ein — doch ich ver- sichere Dich, daß Alles, was ich hier geschrieben habe, die reinste Wahrheit ist. Als ich so eben seinen Brief erbrochen nnd die unglückseligen Zeilen durchlaufen halte, kau, Lolka, unsre obenerwähnte Jungfer, mit der Nachricht herein, daß Tn angekommen seiest. Ich warf den Brief in die Lade der Kommode nnd flog hinab Dir entgegen. Ach wenn ich doch damals den Much gehabt hätte, aufrichtig zu sein — aber ich hatte ihn nicht! Sobald Du mich verlassen hattest, eilte ich zurück in mein Zimmer, um meinem Vetter ei» paar eiskalte Zeilen zu schicke» . . . denke Dir mein Entsetze» — den Brief, de» er geschrieben, war verschwunden! Haltest Du gesehen, wie ick ihn suchte, so hättest Tu mich bedauert. Inzwischen war mein Suche» vergebens. Ich schrieb eine bestimmte und wie ich glaube, würdige Antwort
a»f Karls Begehren, »nd am Tage darauf reiste er weg, ohne daß wir uns jemals wiedergesehe» haben. Zuvor hatte er »sich gleichwohl in einem Billet um Verzeihung gebeten und gestanden daß ich reckt gehandelt hatte.
„Zwei Monate verginge». Ta geschah es eines Tages, daß Lotta auf eine »»verantwortliche Weise ihre Pflichten gegen meine Mutter, deren Pflege ihr allein oblag, versäumt Haltes — eine Versäumnis;, die dadurch veranlaßt worden, daß sie ohne erhaltene Erlaubnis; die ganze Nacht hindurch i» der Nachbarschaft auf dem Tanzboden gewesen war. Ich hielt ihr, wie ich zugebe, j» scharfe» Worten ihre Aufführung vor, welche eine» harten Krank- heitsanfall bei meiner Mutter veranlaßt hakte, weil sie auf ihre wiederholten Aufforderungen mit der Klingel nickt erschienen war. Gereizt, Laß ich so mit ihr zu reden wagte, a»,wortcte sie mir zornig: „O, eS lohnt sich nicht der Mühe. Fräulein, daß Sie so moralisiren, den» ich kann in jedem Augenblicke dem Baron den verlorenen Brief deS Herrn Karl geben und ihm überhaupt noch die Neuigkeit mittheilen, daß Sie schon einmal so gut wie verlobt gewesen sind!"
„Ich glaubte, die Erde sollte mich mit meiner Schande verschlingen, daß ich so gedemüihigt und noch dazu waffenlos vor einer Dienerin stehen mußte, — nnd endlich, daß ick wußte, wie ich selbst durch eine allzngroße, unverantwortliche Nachsicht gegen mein Herz, durch bloße Feigheit in Rücksicht aus meine Pflicht, mir dieses Unglück bereitet hatte! Was blieb mir zu ^hun übrig? Ich wußte sehr wohl, daß zwischen uns Alles aus gewesen wäre, wenn Du den Brief durch ein Dienstmädchen elhalken hättest. Also mußte ich mich einer neue» Demüthigung unierziehcn: ich bai sie um den Brief, und sie — schlug ihn mir ab; damit hakten aber die Folgen meines Fehlers noch kein Ende. Stein, jetzt mußte ich alle Fehler dieser hinterlistigen Person übersehen, und dennoch in beständiger Furcht leben. Ohne jemals mehr davon z» reden, vertauschten wir die Rollen: sie wurde die Herrin und ich die Sklavin.
„Am Abende vor meiner Hochzeit bat ich sie noch einmas. Sie war unbeweglich. Mich an meine arme Mntter zn wenden, würde zu nichts gedient habe». La hätte das boshafte Geschöpf einen großen Aufruhr angerichtet. Ich ging also in den Brant- stnbl, zwar mit einem lebhaften Gefühle meines Glückes, aber doch mit einer Bekümmernis; in meinem Innern, die mich darauf nie mehr verlassen hat. Durch den Tod meiner Eltern im folgenden Jahre wurde der Hausstand aufgelöst. Ich hatte hernach Loila gar nicht gesehen — sie war verschwunden, ich hatte nur gehört, sie sei nach Stockholm gezogen nnd ein ganz verdorbenes Geschöpf geworden.
„Jetzt, Georg, kommt das Letzte: An dem Tage, da Du mich in dem Wagen erwartetest, hakte ich die unglückliche Lotta gesehen und war ihr nachgefolgk. Sie war in jenes Haus ge- gangen, aber D» hieltest mich ab, sie zn erwarten, wie ick beabsichtigte. Am folgenden Tage verschaffte ich mir ihre Adresse nnd suchte sie in ihrer eignen eienden Wohnung, Nr. . . . GumshornSdata jBockhornstraße.) llrtheile über mein Gefühl, als ich erfuhr, daß sie mich unzählige Male gesucht hatte, um mir endlich meinen Brief zu verkanten! Da aber Gott nicht wollte, daß sie mich treffen sollte, so halte sie ihn Deiner Mutter gegeben . .. Das Uebrjge ist Dir bekannt.
„Mein edler Georg! Sei Du mir nun ein freundlicherer Richter, als ich selbst bin, nnd erinnere Dich, daß ich hier keinen anderen Fehler zu beweinen habe, als meine» Mangel an Vertrauen zn Dir! Deine in Augst wartende
A in elie."
(Fortsetzung folg,.)
Wer unter Schwächer» immerhin geistreich, unterhaltend, witzig sein mag, ist cs, wenn er mit größeren Geistern zusammcnkommt, nicht blos im Bcrhältniß zu diesen, sondern absolut weniger; er suhlt eine Art von Befangenheit, Hcrabstimmung, eine Unbchilstichkcit seiner dienst- gewohnten Geister. Es ist dies eine unwillkürliche Huldigung gegen den Genius.
Der heilige Paulinus sagt: „Unglücklich ist derjenige, welcher eine gute Frau verliert; unglücklicher, der eine schlechte hat; aber am glücklichsten, wer oon Keiner von Beiden Etwas weiß."
Redaktion, Druck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchhandlung.