Die Bewohner dcS Hanfes befanden sich theils auf der Jagd, theils, da es jetzt gerade die Zeit der Ernte war, auf dein Felde. Bei der Kranken war nur Gedwina, die nun alleinstehend, ihre alte Freundin heimgesucbt hatte.
Niemand hätte in dem bleichen, zu Fußen des Lagers sitzenden Mädchen die Schönheit ihres Baues, die lebensfrohe Tochter Wratislaws erkannt. Düster brülcnd schaute sie vor sich Hin, als Miecislawa sich halb aufrichtete und sie an ihre Seite rief.
„Ich fühle es, daß ich daS Licht der Sonne zum letzten Male sehe," sprach sie mit heiserer, gänzlich veränderter Stimme. „Darum will ich Dir etwas mittheilen, das ich bisher lief in meiner Brust verschloß. — Vor dreißig Jahren erblickte ich einen sächsischen Ritter; der miL fast meinem Volke entfremdet hätte. Doch mußte er weiter, in das Gewühl des Kampfes; und ich, meinem Vater gehorchend, heirathcte. Tie Zeit und der Drang der Umstände hatten das Andenken an ihn in den innersten Winkel meines Herzens zurückgedrängt; aber erlöschen wird es nie!
— Vor einigen Jahren verbarg ich einen frommen Priester der Sachsen, der bei unserem Volke seine Lehre verbreite» wollte, vor seine» Verfolgern und erfuhr von ihm, was ich längst geahnt, daß jener Ritter derselbe Gero sei, dessen Name entfernte Völker schreckt. — Auch erzählte mir der Priester, daß der Markgraf, eben so fromm als tapfer, nach der Sitte der Christen ei» Hans gegründet habe, worin Frauen, die des bewegten Lebens müde sind, in ungestörter Einsamkeit ihrem Gotte dienen können. In der Sachse» Lande, am Fuße eines Gebirges, daß der Harz heißt, liegt diese Freistätte, und das, was mir der ehrwürdige Mann von den dortigen Gebräuchen sagte, erregte wohl die Sehnsucht in mir, mich dahin zn begeben. Doch konnte ich cs nicht über mich gewinnen, alle Gewohnheiten, die Sprache und Sitten meiner Väter, in denen ich ergraut bin, zn verlassen und ein neues Leben zn beginnen! Nun ist es zn spät für mied; aber Du hast noch ein langes Leben vor Dir. Opfere in dem stillen Hause dem Sachsengotte für Alle, die Dir theuer waren. Vergiß dabei meiner nicht und gedenke auch meines Sohnes, für den ich einst die Hoffnung hegte, Du würdest ihm Deine Liebe schenken; möge er nun auch ohne dieselbe glücklich werden!
— Wenn es wahr ist, waS die Sachsen glauben, so werden wir einst mit allen Lieben, die gestorben sigd, znsammentreffen
— uns Alle einmal Wiedersehen!"
Ihre Rede, oft gehemmt von einer Beklemmung des Athems, war zuletzt zum leisen Geflüster geworden; ermattet sank ihr Kopf zurück. — Durch ihre Worte wunderbar bewegt, wollte Gedwina ihre Hand ergreife». Allein diese war steif und kalt; mit ihrem letzten Worte war das Lebe» ihren Lippen entflohen.
Tie Sonne ging unter und die Dämmerung breitete ihren Schleier schon dicht um die Erde, ohne daß Gedwina sich geregt hätte. Sie war seit einiger Zeit so furchtbar an Leichen gewöhnt worden, daß ihr der Tod kein Granen, sondern fast das Gelüste cinflößte, sich näher mit ihm vertrant zn machen; allein Miecislawas Eröffnungen hielten sie zurück. Sie wollte sich erst überzeugen, ob diese wahr gesprochen, daß die Todten wieder vereint werden und dann — sie wußte eS noch nicht, was dann geschehen sollte.
In ernstem Sinnen betrachtete sie, so lange das Licht des TageS cs gestaltete, die Züge der Erblichenen, deren Reinheit der Tod noch erhöht hatte, ohne die Thronen zu bemerken, die ihr leise die Wangen herabrvllten, die ersten, welche sie feit de». Tage der Scklacht geweint. Eilig nahende Tritte schreckten sie auf; es war die fröhliche Tochter des Hauses, welche vom Felde heimkam.
„Ich ging schnell voran — Jaromir ist da!" rief sie fast athemlos, ohne Ahnung davon, das Miecislawa sie nicht mehr hören könne. „Vater kommt mit ihm!"
„Er kommt zn spät, seine Mutter ist so eben gestorben", versetzte Gedwina, sich ans ihrer gebengten Stellung anfricktend. „Ich kann hier nun nicht länger weilen und danke euch für eure Gastlichkeit. Lebe wohl!" sprach sie dann, und ehe das bestürzte Mädchen es gewahrte, halte sic die Thür hinter sich geschlossen.
Einige Männer näherten sich eben der Hütte, doch erkannte sie in der zunehmenden Dunkelheit nur das scharfe Auge d-es Einen. „Gedwina!" rief er ihr nach, allein sie eilte weiter und die Nachricht vom Tode seiner Mittler hielt ihn ab, ihr zn folgen.
Keiner ihrer Verwandten und Landsleute sah Ged!»,,na wieder. Man glaubte allgemein, sie habe ihren, Leon, ein Ende gemacht, und bald war auch ihr Name verschollen. In Jarv« mirs Brust aber lebte ihr Gedächiniß fort — dnnte jedoch nur dazu, seine» Haß gegen die Deutschen zu verstärken und seine ohnehin rauhe Gcmüthsart noch ranher zn machen.
Nach der letzten großen Niederlage konnten die Polen dem siegreiche» Markgrafen keinen Widerstand leisten nur es- stolzen Herzöge wäre» hoch erfreut, auf mäßige Bedingungen Frieden z» erhalten. Gero gewährte ihnen denselben gern. Ihre Temnihigung war ja sein Hauptzweck gewesen und er »ach dein Verluste seines Sohnes zn tief gebeugt, »m den Krieg noch länger forizusetztn.
Mit welch' andern Empfindungen, als er ihn verlassen, kehrte Gero nach seinem Wohnsitze zurück; die Lorbeeren, Welche er anf's Nene erworben, verwundeten ibii und müde eines Lebens, bas ihm jetzt nur „och Mühen bot, legte er leine Würde nieder.
Ungern mißte Kaiser Otto in de» Marke» seinen Feidherrn; allein Geros Entschluß blieb fest. Dem Erzbischof von Magdeburg, der ihn zur Aendernng desselben bewegen sollte, antwortete er, schmerzlich lächelnd: „Siegfried war der Spiegel, in dem ich das Bild meiner Jugend erblickte, darum.hielt <ci> mich noch für kräftig — da nun mit ihm die Stütze meines Alters sank, fühle ich mich zu all und schwach, das Schnett des Kaisers ferner zn führen. DaS Streben nach Ruhm und Ehr, reizt mich nickt mehr, eS stände meinem grauen Haupte auch-nicht wohl an! Nur meinen Lohn und seine Nachkomm.i, wollte ich mit dem Glanze meines Namens verherrliche». Ais kinderloser Vater kann ich meinen Schmerz allein zu den Füßen dessen, der unsertwillen den Marlyrtod litt, tragen, — alle Hoffnungen, alle Erwartungen, die zu hege» ich berechtigt schien, ans 'dem Altäre des Herrn opfern »iid die Stunde segnen. >n c-.-c sich meine müden Angen schließen. Sie werden nicht zrgeSrüllt von der Hand eines liebenden Sohnes. Auch habe ich meiner Pflicht genug gethan, — länger mag ich nicht arbeiten, den» es ist umsonst! Kein Erbe meines Namens erntet die Flüchte meiner Anstrengungen! Freud- und schmucklos ist fortan mein Leben, — einsam werde» meine alten Tage verfließe» — iinl iner, im Geklirre der Waffen, wo mich ÄlleS an ihn erinne l. würde mir das Herz zwiefach bluten!"
Nicht lange betrauerte der Markgraf seinen -meinen Spröß- ling in den Mauern euieS Klosters, schon nach wmug<n Monden vereinte ihn der Tod mir demselben. Sein- Gebein- fanden in der Abtei Gernrode eine Ruhestätte.
Viele Jahre hindurch kniete oft a» seinem Grabmale, das sich noch heule in der Kirche zn Gernrodc am Harze oefindet, eine Nonne, das schöne bleiche Antlitz, das von einer Glorie umgeben schien, in stillem Gebete answärlS gericht-t.
Die andern Schwestern dielten sich dann ehrerbietiger Ferne. Den» obgleich im finstern Heidenthnm rczogen, biente sie doch jetzt dem ganzen Konvent als Vorbild und ertmnre ihn durch ihre Frömmigkeit und ihren christlichen Wandr,.
Der Kaiser mochte die großen Landstriche, welche Gero unter seine Herrschaft gebracht batte, nicht Einem anvellvanen. Die Nordmark erhielt Theodvcich, dein als Gemahl der srbönen Irmengard nichts zu wünschen übrig blieb, da ibr Herz, wie Siegfried geahnt, stets ihm gehört hatte. Ost jeiocb dachten Beide wehmüthig ihres jungen Freundes, dem das TodeslooS so frühe gefallen.
Tie Ruhe an de» Grenze» blieb lange nngeflöi-, t-nn die Erinnerung an den gewaltige» Markgrafen Ge.o tcheccktc die wilden Nachbarn mehr, als die Gegenwart sein-r Nachfolger, von denen keiner ihm an Geistesgröße glich. Der Klang seines Namens dämpfte oie Raublust der Slaven und wnrde den Di- stricle», welche seiner Botmäßigkeit iinkcrwvrse» gewesen, jahrelang znm. schützenden Schilde gegen die Einfälle plündernder Horden.
Berichtigung. In der Annonce des letzten Blattes, bstr.'^.Danksagung", hat sich ein Jrrthum eingeschlichen, indem die Unterschrift derselben Joh. Gg .Herrmann und nicht Welker heißen sollte.
Redaktion, Druck und Vertag der G. W. Zaiser'schen MmlMmpttnng.