Beilage zum Gesellschafter.
kV,-. SL.
Dienstag den 15. März
1864.
Captal.
«Fortsetzung.)
Obgleich noch einige Stimmen brummten und grollten, fiel doch die Mehrzahl der Gefangenen Captals Beschützer bei und der Knabe sah sich fünf Minuten nachher geknebelt in einem Winkel liege». Man hikte ihn so fest geou»den, baß er kein Glied rühren konnte nnd Pi» Mund war so sorgfältig verstopft, daß er keinen Laut hervorz,bringen vermochte. Dennoch schlug sein Herz jetzt leichter als verher, indem er sich selber sagen mußte, daß er recht nnd gut g handelt habe. Cr verhielt sich ganz still nnd ruhig und beobachtete die andern Gefangenen, welche mit einander flüsterten nnd achten, bis die Stunde herannahete, irv der Wächter zum letzt,» Male das Gefängniß besuchen mußte, um nach seinen Gefaniene» zu sehen.
Als die Schlifser der Thüre knarrten, wurde rasch die Lampe, die bisher im Gaängmfle gebrannt hatte, ansgelöscht, so daß völlige Tunkelhei herrschte. Gleich daraus trat der Gefangen- Wärter mit einer Laterne herein, die er hock in die Höhe hielt, um so leichter de, inner» Raum des Gesängnisses zu »versehen. In demselben Aigenblicke aber suhlte er sich ergriffen nnd stieß einen Schrei aus. Ein wilder Kamps erfolgte, der Capkal mit Schrecken erfüllte. Cr sah, wie die Gefangenen aus den Wärter losstürzlen, ibm ae Laterne ans der Hand rangen nnd ihn uie- derzurversen versneten. Der Wärter aber war ein starker Mann. Er schleuderte eüge seiner Angreifer von sich, und schrie um Hilfe. Aber unrein einziges Mal. Dann erlosch das Licht der Laterne, Captal iernahin einen schweren Fall, ein dumpfes Stöhnen, und dann mrde Alles ruhig. Die Gefangenen bemächtigten sich mit leichte Muhe der Schlüssel deö Wärters und schliche» geräuschlos avon. Capkal hörte noch einige Schlösser rasseln, einige Thnen öffnen und dann nichts mehr. Cr wußte nicht, hatten dieEnkslohenen den Wärter getödtet, oder nur ihn gebunden nnd gknebelt, wie ihn. Gern hätte er Lärm gemacht und um Hilfe gcnfe»; aber er konnte nnr rin dumpfes Stöhnen hervorbüngen, as nicht über die Mauer» seines Gefängnisses hjnauSdrang. C lag wieder still und unbeweglich und horchte, ob er vielleicht igend ein Lebenszeichen des Gefangenwärlers erlauschen könne. Aber er vernahm kein Geräusch, als nur das, welches er selbe verursachte. Alles war lodtenstlll und Capkal mußte nun glanen, daß der Gesangenwärrer entweder tobt oder von den Ciusloene» mit forlgeschleppt sei. Obgleich ihm das letztere aber nick wahrscheinlich vvrkain, so gewährte eS ihm doch eilte Berndignng daran zu glauben, nnd er redete eS sich endlich fest ei», daß eSwirtlick so sein müsse.
Mittlerwei veistrichen ihm die Stunden mit quälender Langsamkeit. Er sriite de» Tag herbei. Seine Aufregung, durch die schreckliche» Ünftritte, die er batte mit ansehe» müssen, veranlaßt, ließe» in nickt einschlnmmern. Mil geschloffene» Angen, aber wacker Sele, lag er da nnd zählte kie Sinndenschläge, welche von eina nahen Thnrine durch die Skillc der Nackt ertönten. Cs sckig zwölf Uhr, ein Uhr, zwei Uhr. Captal zählte jede» Scklag, iS endlich doch die Müdigkeit ihn beschlich und überwältigte, ier Schlaf kam, aber mit ihm kamen auch fürchterliche Träume die ihn mehr als einmal wieder von seine» Augen verscheuch». Endlich aber vergaß er doch Alles um sich her, und schlnmerle gegen Morgen fest ein.
Zwei ode drei Stunden mochte er in einer todtähnlichen Betäubung geben haben, als plötzlich laute Stimmen ihn wieder weckte», l schlug die Angen ans, blickte verwundert umher und sah »,ehre Polizeibeamte, welche rasche und heftige Worte mit einander ichselieu. Captal stöhnte, suchte sich ansznuckke» und gab dadui seine Anwesenheit zu erkenne». Die Polizeive- amte» »äherteisich ihm und einer derselben erkannte Captal.
„Das ist er Junge, welcher vom Grafen Nobe-r Darville gestern des DbstahlS beschuldigt wurde," sagte er. „Warum
bist du nicht mit den Uebriaen entflohen, Bursche? Und wie kommst du in diese Lage?"
Captal bemühete sich vergeblich zu antworten-, der Knebel in seinem Munde verhinderte ihn daran. Man befreite ihn sogleich von seinen Fessel», und nun gab er Red u»d Antwort, so gut er vermochte. Cr erzählte, was vorgefallen ffj und wovon er Zeuge gewesen war, und sagte einfach, daß x? nur deßhalb nicht geflohen sei, weil er sich keiner Schuld bewußt wäre.
„Hast du gesehen, welcher von den Gefangenen den Wärter gemordet hat?" fragte ihn der Polizeidiener.
„Um Gottes Willen, also haben sie ihn wirklich getödtet!" rief Captal entsetzt aus. „Ich hörte wohl, wie er niederste! und stöhnte, aber ich glaubte, sie hätte» ihn auch nur gebunden wie mich. Sehen konnte ich nichts, denn das Licht der Laterne war ansgelöscht."
Die Polizeibeamte» sprachen leise mit einander, während Captal seine steifen Glieder rieb und sie dadurch wieder gelenkig zu machen suchte. Dann wendeten sie sich zu dem Knaben und befahlen ihm, ihnen zu folgen. Captal ging willig neben ihnen her und wuide zu dem Präsidenten der Polizei geführt, welcher ein sehr genaues Berhör mit ihm anstellle. Captal wiederholte Alles, was er bereits erzählt hatte, auf das Genaueste, nnd sein ganzes Benehmen dabei gefiel dem Präsidenten so wohl, daß er den Knabe» iheilnchmend fragte, durch welche Schuld er selbst denn in's Gefängntß gekommen sei? Capkal gab auch hierüber den genauesten Bescheid, nnd überzeugte den Präsidenten sehr bald von seiner völligen Unschuld. —
„Armer Knabe," sagte er, „du hast gewiß recht viel gellt, ten. Aber bald wirb Alles vorüber sein."
Er winkte dem Polizeidiener, welcher Captal gefangen ge- nominell Halle, zu sich, gab ihn, mit leiser Stimme einige Befehle nnd wendete sich dann wieder zu de», Knaben. —
„Folge diesem Manne," sagte er freundlich. „Er wird für dich sorgen nnd du wirst bald mehr von mir hören. Sei unbesorgt wegen des vermeintlichen Diebstahls. Ick weiß, daß du unschuldig bist, was schon dein Zurückbleiben in, Gefängnisse dartbut."
Der Polizeidiener, welcher jetzt viel freundlicher gegen Captal war, als gestern, nahm de» Knaben bei der Hand und führte ib» in ei» hübsches Zimmer, wo er ihn verließ, um wenige Minuten nachher mit Wein nnd kräftige» Speisen beladen zurückzu- tehren.
„Da iß nnd klink, lieber Junge," sagte er zu Captal. „Laß eS dir schmecke», während ich fortgehe, nin deine Unschuld vollends an den Tag bringen zu helfen nnd noch manches andere zu besorgen. Du mußt mir aber versprechen, dieß Zimmer vor meiner Rückkehr nicht wieder zu verlassen."
Captal gab dieses Versprechen ohne Bedenken und der Po- lizeidirncr ging davon, nachdem er sich mit seinen eigenen Angen überzeugt hatte, daß Captal es sich in Wahrheit schmecken ließ. Der arme Junge aß und trank von dem Weine und den Speisen mit großem Appetite, denn er hatte seit gestern Mittag gefastet. Als seine Mahlzeit beendigt war, stand er vom Tische auf, betrachtete die Bilder, welche an den Wänden des Zimmers hinge», las in einem Buche, daö ans einem Seitenkisckcheii lag, und vertrieb sich ans solche Weise die Zeit, dis der Polizeidiener zurück- kehrte nnd ihm sein Mnrmelthier mitbrachle. Mit Freuden »ahm eS Captal in Empfang.
„Wo habt Ihr es gefunden?" fragte er, indem er daS THier- chen streichelte n»d liebkoste.
„Das Finden wurde mir nicht schwer/' erwiederte der Polizeidiener. „Ich gab den Kasten gestern einem Kameraden von mir in Verwahrung und habe ihn nun ans seinem Hanse geholt, weil der Präsident cs mir befahl. Aber halte dich bereit, noch einmal ein Verhör zu bestehen. Graf Darville ist in das Gericht beschieden worden nnd wird sogleich kommen."
Captal sab dem Verhöre mit Ruhe entgegen, nnd folgte