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wahrscheinlich stattfindcn. Die Souveräne werden begreifen, daß nur der Geist der Versöhnung eine Wiederherstellung der Ordnung in Italien möglich mache. (T. d. St.A.)

Warschau, 22. Okt. Gestern war Familientafel im Bel­vedere. Abends wohnte der gesammte Hof dem Stadttheater bei. Heute um 11 Uhr war Parade und Kosakennianövcr. Dienstag Abends Ball bei dem Statthalter Gorlscbakoff. Für den Fürsten von Hohenzollern ist Quartier im Hotel Angleterre bestellt; er wird jeden Augenblick erwartet. Der Kaiser von Oestreich ist um 4ssr Ubr mit großem Gefolge eingetroffcn, und wurde von dem russischen Kaiser am Bahnhof empfange»; beide fuhren dann in einem Wagen nach Schloß Lazienki. Kai­ser Franz Joseph trug die russische, Alexander II. die östrei- chische Uniform. Im zweiten Wagen befand sich der russische Thronfolger, im dritten der Prinzregent von Preußen mit den preußischen Prinzen. (T. d. A. Z.)

Warf ch a u, 23. Okt. Der Kaiser von Oestreich besuchte gestern Abend de» Kaiser von Rußland und verweilte eine halbe Stunde bei demselben; spater stattete er dem Prinz-Regenten einen Besuch auf kürzere Zeit ab. Der Fürst von Hohenzollern ist heute früh bier cingctroffen und hat sich noch desselben Vor­mittags zum Prinzregentcn begeben. Vertrauliche Besprechun­gen zwischen den Ministern der Großmächte haben bereits statt- gesunden, und werden ferner stattfinden. (A. Z.)

Das Mädchen von San Steffano.

(Fortsetzung.)

Es ist Zeit, die Gefangenen zu füttern, brummte der Alte nock ein Mal in der schlechtesten Laune, erhob sich aber nicht, sondern begnügte sich, das Schlüsselbund in der Hand klirren zu lassen.

Gleichsam fragend hatte sich seine Tochter zu ihm umgc- wandt, und ein sanftes, kaum merkliches Lächeln schwebte um ihre Lippen.

Fiamina, meinte der Gefängnißwärter ohne die geringste Freundlichkeit in seinem Blicke, ich habe wohl lange geschlafen?

Kaum eine Stunde, Vater, cwiederte das Mädchen nach einem flüchtigen Blicke auf die Uhr.

Hm, nicht länger? Ein nichtswürdiger Dienst aus diesem Jnselneste; man wird nie seines Lebens froh.

Ach, wenn Du Dich entschließen könntest, diese Stellung aufzugeben, und wir zögen nach Gacta hinüber! flüsterte Fia­mina scheu und mit einem jener verstohlenen Seufzer.

Der Alte runzelte die Stirn und hielt es nicht für der Mühe werth, den bescheiden ausgesprochenen Wunsch des Mäd­chens zu beantworten.

Ich meine, Fiamina, fuhr er nach einer kleinen Pause unentschlossenen Schweigens fort, Du könntest heute einmal wie­der den Gang für mich thnn, denn, im Ganzen genommen, bleibts dasselbe, und der Gouverneur nimmts nicht so genau mit einem alten gedienten Manne, wie ich bin, und er hat auch Besseres zu thun, als sich um solche Kleinigkeiten zu kümmern. Da sind die Schlüssel; nimm Dir die Marincja zur Hülfe.

Die letzten Worte klangen, als ob sie aus erleichterter Brust kämen; dabei schleuderte der alte Mario etwas rücksichts­los seiner Tochter das gewichtige Schlüsselbund zu, so daß es klirrend vor sie auf den Boden niederste!, und dann streckte er sich wieder recht gemüthlich in seinem Lehnstuhle aus.

Ein leiser Hauch des Unmuths ging schnell über das Ge­sicht des jungen Mädchens, denn, obgleich sie das ihr heute ausgetragene Geschäft schon oft hatte verrichten müssen, selbst als sie fast noch ein Kind war, so berührte der Anblick der un­glücklichen Gefangenen sie doch jedes Mal wieder tief und un­angenehm, und wenn sic von den schwer Niedergedrückten auch keinen verletzenden Scherz, keinen unbescheidenen Blick zu fürch­ten hatte, ja nach der strengen Vorschrift nicht einmal ein Wort mit ihnen wechseln durfte, so sträubte sich dennoch ihr jungfräuliches Gefühl dagegen, diesen Männern gegenüberzutre­ten, zumal sie ihnen dadurch nicht die geringste Erleichterung ihrer Lage verschaffen konnte. Fiamina kannte aber den Vater genau; sie war in zu großer Abhängigkeit, zu strenge erzogen

worden, um selbst den bescheidensten Einwand gegen seine Be­fehle zu wagen. Gehorsam erhob'sie sich, um zu der alten Magd, Mariueja, hinabzngehen, die Abendspciscn in Empfang zu nehmen und in Gemciuscbaft mit jener z» verthcilen.

Vergiß mir nicht Nro. 17 und 25! rief ihr der Alte schläfrig nach; sic sind heute Morgen durch den neuen Trans­port besetzt worden.

Fiamina kannte reckt gut die Zahl der Gefangenen, die unter der Obhut ihres BaterS standen; sie hatte jene Männer auch sämmtlich schon gesehen, nur nicht die eben erwähnten bei­den Ankömmlinge.

Eine Viertelstunde später verrichtete das junge Mädchen, noch ernster als sonst gestimmt, in Begleitung der Magd den Dic»2. ihres Vaters, mit einer Geschicklichkeit und Schnelligkeit, um die sie' mancher andere Wärter beneidet haben würde. Um die Zeit zu erfparen, was bei der großen Zahl der Gefangenen allerdings nöthig war, trennten sich die beiden Frauen in den langen Corritors, die um das ganze Gebäude liefen.

Nro. 17 denn mit dem Eintritte in diese Räume ver­loren die Gefangenen den Namen den sie meistentheilS mit Ehre» getragen hatte» hatte Marincja zu besorgen. Die Lage der Gcfaugcucn fügte cs so, daß Fiamina in das Ge­fängnis; des andern neuen Ankömmlings, Nr. 25, treten mußte. Alle diese armen Leute hatten ihre Gedanken zu ausschließlich auf sich selbst, höchstens auf ihre Angehörigen, aus deren Mitte sie gerissen worden, zu wenden, als daß das Erscheinen des schönen jungen Mädchens ein besonderes Interesse auf sie hätte auSübcn sollen; dennoch war der vorübergehende Eindruck, in dieses lcbensfrische Gesicht, anstatt in das des grämlichen alten Wärters Mario zu blicken, bei ihnen allen im Stande, einen freundlichen Blick auf Fiamina hcrvorzurnfen; mit niedergeschla­genen Augen entledigte sie sich ihrer Pflicht, ohne ein Wort mit irgend Jemand zu wechseln. Nro. 25 verlangte doch aber wenigstens einen prüfenden Blick, denn gewiß war er der Unglücklichste von Allen, da er sich erst seit so kurzer Zeit an diesem Orte befand.

Der neue Gefangene lag auf dem armseligen harten La­ger in seiner Zelle und hielt es beim Oessnen der Thüre kaum der Mühe werth, sich halb nmzuwenden, da er jedenfalls ver- muthete, den unfreundlichen Wächter wieder vor sich zu sehen, der ihn bereits am Morgen und am Mittage belästigt hatte. Auf seinem Gesichte lag Trotz, Verachtung, sogar ein Anflug von bitterm Spott; dennoch hatte dieses Gesicht mit seiner ed­len Bildung, mit dem kraft- und geistvollen Ausdrucke einen Reiz, der wohl auf jedes Frauenauge einen mehr oder minder starken Eindruck zu machen im Stande ist.

Der Gefangene war ein junger Mann im Anfänge der zwanziger Jahre, von imponirend stolzer Figur; man konnte nicht daran zweifeln, daß er den höheren oder gar höchsten Ständen angehöre; das durchaus edle Profil, das sprechende, dunkle und feurige Auge, vor Allem der Ausdruck selbstbewnß. ter Wurde, dem seine unglückliche Lage bisher wenigstens noch keinen Eintrag zu lhun vermocht hatte, machten ihn interessant und anziehend.

Als er das Mädchen erblickte, malte sich schnell ein un­gläubiges Erstaunen auf seinem Gesichte, und mit einer ge­wandten, anmnthvollen Bewegung sprang er auf und blieb dann, als zweifle er noch immer, daß er sich nicht täusche, vor ihr stehen.

Daß dem aber wohl so sein mochte, verricth klar die augenscheinliche Bestürzung und Fassungslosigkeit Fiamina's selbst. Ans dem schüchtern beobachtenden Blicke, den sic zuerst auf den Jüngling geworfen hatte, flammte urplötzlich ein seltsames Feuer auf und eine Weile schien es unmöglich, daß sie das Auge wieder von seinem Ziele abwenden könne; daun ergoß sich aber blitzschnell eine glühende Nölhe durch die feine Haut des Antlitzes und die schwarzen Augensterne senkten sich zu Boden; die Hand der schönen Gcfängnißwärterin zitterte sichtlich und ihr Fuß wurzelte fest an derselben Stelle. (Forts, folgt.)

Auflösung des Fragezeichens in Nro. 83: _ Strickstrump f.

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