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bis zur Berührung genähert werden, ist die galvanische Kette geschlossen und die Elektricität sängt im Moment an, den zwischen beiden korrespondirendcn Stationen auögespanute» Schlie- ßungSdrarh, und wäre er Hunderte und tausende von Meilen lang, seiner ganzen Länge nach zu durchströmen. Durch den Taster hat also der Telegraphist den galvanischen Strom ganz in seiner Macht: er kann ihn fließen lassen oder unterbrechen, ihn kurz oder lang dauern lassen, ganz wie cs ihm beliebt, oder vielmehr, wie es die zu gebenden telegraphischen Zeichen verlangen.
Aber — wie, meine verehrten Leser unterbrechen mich nicht! — Da sehe ich wohl, daß sie so etwas wie Autoritätsglauben an sich haben und so freundlich sind, mich auch damit zu beehren. Das führt mich fast in Versuchung. Doch nein, ich will auch ferner bei der Wahrheit bleiben, d. h. bei der Wahrheit, die ich von Physikern von Profession gelernt habe, für die ich jedoch nicht in allen Stücken garantire» kann, weil auch ihnen gar manches mit unterläuft, was sie selbst nicht gewiß wissen. Nun aber zur Sache: wo ist denn der zweite Drath, der den galvanischen Strom von der Station, mit der wir kor- respondiren, wieder zurückführt und ohne welche der Schlic- ßungsbogen der Kette unvollständig ist? Nun, ohne daß ich von meinen verehrten Lesern gefragt worden bin, will ich ihnen sagen, daß der zweite Draht gar nicht vorhanden ist, sondern daß ganz einfach der Anfang und das Ende desselben, jener auf der einen, dieser auf der andern Station, in de» Boden geführt sind und dort mit großen Kupferplattcn, de» sogenannten Erdplatte», endige», die von feuchtem, oder überhaupt gut leitendem Grund umgeben sind. Diese Anordnung, welche wir dem im Telegraphenwesen sehr verdienten P'vf. Steinheil in München verdanken, und welche, weil sie die Kosten der Drathleitnngen auf die Hälfte reduzirt, die Anlegung von Tele- graphenverbinduttgen sehr wesentlich erleichtert, findet im Folgende» ihre Erklärung. Die elektromotorische Kraft, welche in galvanischen Elementen und Ketten die Scheidung der cntge- gengesetztcn Elektrizitäten bewirkt, ist immer thätig und schickt nach der einen,Seite positive und »ach der andern negative Elektrizität, so oft die in den Elektromotoren, d. h. in den sich berührenden Metallen und Flüssigkeiten vorhandene freie Elektrizität die Spannung nicht erreicht, bis zu welcher sie selbst im Stande ist, ihre Wiedervereinigung zu hindern. Wird z. B. die Kette geschlossen, so fsicßl die positive Elektrizität vom positiven Pol der Kette aus in der Richtung nach dem negativen Pol unaufhörlich ab und verbindet sich mit der vom negativen Pol herkommendcn negativen Elektrizität. Die elektrische Spannung auf den Elektromotoren ist daher stets gleich Null, und die Folge davon ist, daß die elektromotorische Kraft fortwährend neue Mengen von Elektrizität, welche sich im natürlichen oder verbundenen Zustande befindet, trennt und zur unversiegbaren Quelle der beiden entgegengesetzten elektrischen Ströme wird. (Man bemerke übrigens, daß man der Einfachheit halber gewöhnlich nur von einem einzigen Strom spricht und ii»>er diesem den positiven versteht, der bei Zinkkupferketten vom Kupfer ausgeht.) Tie Spannung der Elektrizität auf den Elektromotoren wird aber auch dann auf Null reduzirt, wenn die beiden Pole der Kette, wie dies durch die Erdplatten geschieht, mit dem Erdboden in gut leitende Verbindung gesetzt werde», indem der elektrische Strom durch Einmünden in das ungeheure Reservoir des Erdkörpers eine» eben so freien und plötzlichen Abfluß gewinnt, als wenn er durch vollständige Ausgleichung der entgegengesetzten Elektrizitäten im ^Schließungsdrath selbst einen steten Kreislauf machen würde.
Bis hieher mögen mir meine verehrten Leser vielleicht gerne und mit Aufmerksamkeit gefolgt sein und sich sogar verwundert haben, wie einfach die ganze Sache ist: eine galvanische Batterie; zwei Schlicßuugsdräthc die sich in gewisser Art im Erdboden vereinigen und von denen der eine zwischen zwei Telcgraphenstakionen ausgespannt ist, während der andere, der von der Batterie geraden Weges in den Erdboden führt, im Taster eine jUiiterbreihung hat und erst beim Niederdrücken des Tasters gleichsam zusammengelöthct wird; endlich ei» Elektromagnet, der jedesmal, wenn der Strom des Tasters geschloffen
i wird, einen Hebel anzicht, der in eine» an seiner Spitze vorüber- laufenden Streifen Papier Punkte und Striche eiudrückt.
Nun aber, nach diesem kleinen Ruhepunkt, gilt es, den guten Willen meiner geehrte» Leser »oll, auf eine kleine Probe zu stelle». Aber ich hoffe, sie werden sich dieselbe gerne gefallen lassen, wenn ich ihnen mitkhleile, daß das, was ich ihnen noch sagen will, jene denkenden Köpfe, welchen wir de» Telegraphen verdanken, und welche nicht ruhten, bis jede Schwierigkeit überwunden war, mehr als zehnjährige Proben gekostet hat. Und sie werde» mir um so bereitwilliger weiter folgen, wenn ich ihnen jetzt gestehe, daß keiner der 'heutigen Telegraphen so einfach eingerichtet ist, wie ich bis daher znm leichteren Verständlich angenommen habe, und daß sie ohne die Kenntniß des Folgenden aus der Einrichtung unserer Telegraphen nicht klug werden könnten.
Wenn ein elektrischer Strom einen Drath durchzieht, so erleidet er eine Schwächung, welche theils von dem Widerstand, welcher sich im Drath selbst der Fortpflanzung der Elektrizität entgegenstellk, theils von dem Elektrizitätsverlust »ach außen, in Folge nnvollkominener Jsolirnng des DrathS, herrührt. Jener, der Leitnngswiderstand, ist um so beträchtlicher, aus einem je schlechteren Leiter der Drath besteht, je länger dieser selbst, und je kleiner der Querschnitt desselben ist. Die Ableitung der Elektrizität nach außen ist wegen der Feuchtigkeit der Luft und beS Erdbodens weder bei oberirdischen Leitungen, wo die Drähte — Kupserdräthe oder galvauisirte, d. h verzinkte Eiscn- dräthe — durch Jsolirköpfe aus Glas, Porzellan oder Steingut, noch bei de» uuterirdifchen Dräthcn, welche durch eine Hülle aus Guttapercha vor der Berührung mit andern guten Leitern geschützt sind, ganz zu vermeiden. Daher kommt eS denn, daß die Stromstärke namentuch bei feuchter Witterung schon auf mäßige Entfernungen so bedeutend abnimmk, daß der Elektromagnet, wenn er auch den Schreibhebcl noch zu bewegen vermag, doch nicht im Stande ist, durch denselben deutliche Eindrücke im Papier hervorzubringen.
Der Amerikaner Morse, der Erfinder dcS oben beschriebenen Schreibapparats, hat diese Schwierigkeit auf eine äußerst sinnreiche Weise besiegt. Den Strom, welcher von der korrc- spolidirciide» Station herkommt, führt er nicht durch den Elektromagneten des Schreibapparats selbst, sondern durch einen zweiten Elektromagneten, welcher, wenn der Strom auch sehr schwach ist, den einen Arm eines außerordentlich leicht beweglichen kleinen Winkelhcbels anzieht und dadurch das Ende deS andern Hebelarms mit einer in ganz geringer Entfernung davon befindlichen Lchraubenspitze in metallische Berührung bringt. Diese Lchraubenspitze und jener Winkelhebel bilden die Enden der Schließungsdräihe einer besonderen Batterie, welche nur die Aufgabe hat, den Schrcibapparat in Bewegung zu setzen, zu welchem Zweck der eine der beide» Schließungsdrcithe um den Elektromagnet des Schreibapparats gewunden ist. Berührt der Winkelhebel jene Schraubcnspitze, so ist diese Batterie geschloffen. Jede Telegiapbenstaiion hat hiernach zwei Batterien, eine Haupt- oder Li»icnbattcrie, welche die korrespoudircndeu Stationen in Verbindung setzt, und eine Lv kalbatterie, welche nur zum Dienst des Schrcibapparats bestimmt ist; der Taster schließt und öffnet die Linienbalterie, der Wiukelhebel dagegen die Lokalbattcrie. Dieser letztere Schlicßungsapparat heißt das Relais (Vorspann), weil durch denselben die Lokalbatte- rie eingeschaltet wird, welche diejenige Arbeit vollführt, zu welcher der geschwächte Hauplstrom nicht mehr ausreicht. Der Hergang beim Telegraphier!! ist nun folgender: der Telegraphist schließt 'durch Niederdrücken des Tasters seine Linienbalterie, und der von hier ausgehende galvanische Strom belebt auf der Station, wohin er durch die große Drathleitung geführt wird, den Elektromagneten des dortige» Relais; dadurch wird die Lokalbattcrie auf der angercdeten Station geschlossen, und der Strom dieser Batterie, der nur den kurzen Weg durch die Drath- windungen des Elektromagneten am Schrcibapparat zu durchlaufen hat, macht, daß der Schreibhebcl frisch und kräftig vom Magneten angezogen wird, so baß er eine deutlich unterscheidbare Schrift zu geben im Stande ist. '' _
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