326
während die Andern, die nur auf seinen Eintritt gelauert haben schienen, sich auf ihn stürzten, sich seiner Person bemächtigten und ihm die Hände banden.
„Was untersteht Ihr Euch?" — schrie der Amtmann.
„Ertappt — ans frischer That ertappt!" — ries der Schutze, und auf den wieder mit geschlossenen Augen und regungslos wie todt da liegenden Herr Wölfcl weisend, setzte er hinzu: Da liegt der Ermordete, und Sie, Sie sind der — Mörder?"
6 .
Ein Vierteljahr war seitdem vergangen, da hielt vor einem großen Hause in der Stadt ein Hochzeitwagen, und das Brautpaar, welches aus dem Hause trat, um zur Trauung in die Kirche zu fahren, war Dietrich, der einzige Sohn des Herrn Wölfcl, und Margaret, die Schwester Christians. Der Letztere stieg mit Braut und Bräutigam in den Wagen. Auch er hatte einen hochzeitlichen Rock an, was ihn jedoch nicht hinderte, sich unterwegs mit dem Aermel die Augen zu wischen, indem er sprach: „Da soll Einer sagen, daß Gott nicht der Waisen Vater ist! Wer hätte das gedacht, Margaret, als ich damals auf dem Pferde des Herrn Wölfcl angeritten kam, daß wir in Zeit von einem Vierteljahr alle Drei in diesem Hoch- zcitwagen fahren würden. Dein Vater, Dietrich, meinte zwar: es sei schicklicher, wenn ich in einem andern Wagen kutschirte und Euch allein fahren ließe; aber ich sagte: „Laß Er nur, Herr Wölfcl, ich bin ja der einzige arme Anverwandte, und der muß doch wenigstens etwas voraus haben vor der reichen Sippschaft!" Da nickte der gute Alke, denn er ist jetzt wirklich seelengut.
„Ach, wenn er nur nicht so viel leiden müßte auf dem langen Schmerzenslager" — entgcgnete Margaret. „Wer weiß, ob er im Leben wieder gesund wird."
„Das verstehst Du nicht", versetzte Christian. — „Willst Du klüger sein, als der liebe Gott? Der läßt ihn just so viel , hienicden leiden, als uöthig gewesen, um ihm die ewige Pein dort zu ersparen. Der Schutz in den Bauch, der nur zu lange sein Gott gewesen, bat zugleich seine Seele in's Schwarze getroffen, hat ihn zur Erkenntmß seiner Sünden, zur Buße und Besserung gebracht, was niemals geschehen wäre, wenn er so herrlich und in Freuden fortgelebt hätte, wie der reiche Mann im Evangelium."
„Christian hat Recht", — stimmte der Bräutigam bei — „wäre meinem Vater nicht jenes Unglück widerfahren, sein hartes Herz hätte sich nimmermehr erweicht, und wir wären niemals durch seinen Segen beglückt worden.
„Und er", — fuhr Christian fort — „hätte jenseits mit dem reichen Mann im Evangelium seufzen können: „Sende Lazarum, daß er das Aeußerstc seines Fingers in's Wasser tauche und kühle meine Zunge, denn ich leide Pein in dieser Flamme." Ja, dieses Evangelium, daö der Herr Pastor ihm auslegte, war es, das ihm wie ein Schwert durch die Seele ging. Denn er hatte einen Vorgeschmack von jener ewigen Pein empfunden, als er dort im Amthanse in feinem Blute lag und den Amtmann um einen Tropfen Wasser bat. Der Amtmann wird übrigens auch daran denken, wie sie ihn als Mörder eingesteckt —"
„Freilich", — fiel der Bräutigam ein — „wäre mein Vater, den die Bauern für todt gehalten, nicht blos ohnmächtig gewesen, hätte er später nicht bezeugen können, daß der Schuß nur zufällig los und ihm in den Leib gegangen, sie hätten dem Amtmann richtig als Mörder den Prozeß gemacht. Vier Wochen hat er ohnehin gefangen sitzen müssen, eh' mein Vater im Stande gewesen, für ihn Zengniß abzulegeu, und seitdem sie ihn frei gelassen haben, hat ihn Niemand mehr'gesehen."
„Nun die Frau Amtmännin wird sich nicht darum grämen"; — bemerkte Christian — „aber damit ich's nicht vergesse, wenn der Herr Pastor den Segen über Euch spricht, so vergeht nur ja nicht, im Stillen ein Vaterunser für Euern kranken Vater zu beten. Er hat.den Herrn Pastor gebeten, beim Segen die Bctglocke anschlagcn zu- lassen, damit er's zu Hause hört und auf seinem Schmerzenslager für Euch beten kann, wir Ihr in der Kirche für ihn beten sollt."
Sic vergaßen cs nicht. Als der Pastor am Altar den Segen sprach, und die Betglvcke oben auf dem Kirchthurm dazu anschlng, vereinten sich die Seelen der Neuvermählten mit der Christian's in einem inbrünstigen Vaterunser für den „reichen Mann", der seit einem Vierteljahre wie ein „armer Lazarus" auf dem Siechbette lag. Bei der Bitte: „Und erlöse uns von dem Uebel", hob Christian plötzlich seine Augen auf, die er bis dahin zu den gefalteten Händen niedergeschlagen gehabt hatte, und sah zu dem Bräutigam hinüber. Auch dieser, wie von dem nämlichen Gefühle getrieben, hatte seine gesenkten Blicke plötzlich emporgcrichtet und warf sie auf Christian.
Als sie aus der Kirche gingen, drängte sich Christian dicht au den Bräutigam und flüsterte ihm zu- „Dietrich, bei dem Vaterunser kam mir'S wie eine Ahnung —"
„Sei still!" — antwortete dieser leise, als errathe er, was jener sagen wolle, und ängstige sich, cs zu hören.
Sie stiegen in den Wagen. Und als die Pferde standen, da hielt die Hochzeitskutsche vor einem Tranerhause.
Der Krankenwärter, der cs dem Brautpaare erst verheimlichen wollte, sagte: „Gehen Sie nicht gleich hinein! Der Vater schläft."
„Den ewigen Schlaf" — platzte Christian heraus. „Ich weiß schon."
„Von wem?" —. fragte der Krankenwärter.
„Vom lieben Gott'" — antwortete Christian feierlich. — „Der hat mir's schon in der Kirche gesagt, daß er den, finden wir gebetet haben, erlöst hat von dem Uebel."
7.
Es war am 24. August 1813, am Tage nach der Schlacht bei Groß-Beeren, in welcher die Kolbe zur Keule, das Bajonett zum Spieß geworden in der Sicgerfaust jener Preußischen Krieger, die als eiserner Schlagbaum den Franzosen die Heerstraße nach Berlin gesperrt hatten. Sonst war der 24. August der Tag des Stralauer Fischzugcs und ganz Berlin auf der Völkerwanderung nach dem alten Fischerdorfe. Anno 1813 aber war nicht Stralow, sondern Groß-Beeren die Parole des 24. August. Hin nach dem blutige» Felde der Preußischen Waffenchre zog Alles, was Pferde und Wagen oder auch nur Beine hatte und ein Preußisches Herz in der Brust. Und gar mancher patriotische Berliner machte sein Haus zum Lazarcth, nahm einen Blcssirtcn als Einquartierung und pflegte ihn wie das Kind vom Hause, damit er doch auch etwas habe von dem Siege.
Auch der Regiernugs-Rath von L. ließ einen Verwundeten in seine Wohnung schaffen, und indem er mit dem schwer Blcssirten ankam, sagte er zu seiner jungen Gattin, die ihm an der Thür entgegeueilte:
„Ottilie, Du bist doch nicht böse, daß ich —"
Ein Schrei der '.Überraschung, den Ottilie ansstieß, ließ ihn nicht ausreden. Auf den ersten Blick hatte sie in dem Verwundeten den Amtmann, ihren seit 3 Jahren verschollenen Stiefvater, erkannt. Auch er erkannte sie und sagte mit matter Stimme:
„Nicht mein Wille, Gottes Fügung hat mich in dieses Haus geführt, damit ich hier sterbe. Denn ich fühle, daß diese Wunde mein Tod sein wird. Wenn ich todt bin, Ottilie, nehmen Sie aus der Brnsttasche meiner Uniform das Tagebuch, welches darin steckt — senden Sie es Ihrer Mutter, sie wird ersehen, wie ich gelebt und gelitten hatte, gelitten seit drei
Jahren, von dem Feldzuge gegen Rußland an^ bis heute.
Und Ihre Mutter wird mir verzeihen, wie ich hoffe, dag mir Gott vergeben wird, nachdem er mich so schwer hat büßen lassen."
Drei Stunden darauf mar der tödtlich Blessirte eine Leiche. Ottilie, die nicht von dem Lager des Sterbenden gewichen
war, erfüllte seinen letzten Wunsch. Sie sandte das von seinem Blute befleckte Tagebuch an ihre Mutter, und während diese cs las, rann manche Thräue aus ihren Augen. Und
jede dieser Thränen stand wie ein weißes Siegel der Vergebung auf diesen blutigen Blättern, welche ihr wie die Blätter ans dem Buche eines von der bittersten Rene zerrissenen Herzens erschienen.
Druck und Verlag der G. W. s a isc r'sch-n Buchhandlung. R-dakti»« - HöI;le.
^ 5