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Dame schlugen mberrascht die Auge» auf. Jener bückte zornig, diese nichtssagend de» leiernden Äppll und dessen Gehilfin an, worauf die Augenlider beider sich wieder schlossen. Das musi- cirende Paar hatte einen andern Erfolg seiner Beinübung erwartet. Daher näherte sich das Mädchen dem Wagen mit dem Tambourin und dasselbe aus allen Kräften erklingen lassend, fuhr sie in dem Gesänge fort:
„Alle die Seligen —"
Ja, selig entschlafen wieder waren die Reisenden im Wagen. Das Mädchen mochte ihre Stimme, wie ihr Tambour!» noch so laut rühren, neben de». Wage» herlausen nnd die Hand zum Empfangen binhalten — die der Reisenden blieb verschlossen wie deren Auge. Endlich stieß der Kleinen nackter Fuß so heftig gegen einen der zahllos »mhergestrcuteu Steine, daß sie eine» Purzelbaum schoß und wie betäubt liegen blieb. Klingend war das Tambourin neben seiner Trägerin hingefallen. Als diese nach einer Weile sich wieder erhob , war der Reisc- wagen weit fort und die Kleine kehrte wehklagend und mit einer blutenden Zehe zu ihrem Großvater zurück^ welcher noch immer seine Leier rührte.
„Hast Du etwas bekommend fragte der kurzsichtige Alte seine Enkelin.
„Das!" versetzte diese kleinlaut, indem sie auf ihren beschädigten Fuß nicderzeigte. „Aber, Großvater!" — fuhr sie fort — seht dock, welch' eine schwarze Wetterwolke dahergetrieben kommt. Da blitzt es schon. Hurr! wie es donnert! Ehe wir die Stadt oder nur die Zeche zur.Himmelfahrt erreichen, ist das Wetter da. Wie wär's, Großvater! wenn wir uns ins nächste Schachthäuschen flüchteten? Kaum hundert Schritte stnd's bis hin und wir dort wenigstens unter Dach."
Das Schachthänschen von Brettern erbau!, nahm das Paar aus. Jenes war in seinem Raume beschränkt, denn die dunkel aus der Tiefe heraufdräueude Sckachtöffumig nahm den meisten Platz weg. An Sitzmitteln fehlte cs gänzlich, daher der Alte auf seine Drehorgel und das Mädchen auf die Erde sich niedcrließ. Mittlerweile war das Gewitter herangezogeu. Blitz auf Blitz, Schlag auf Schlag erfolgte. Dazwischen rauschte der Regen in Strömen hernieder. Da der Leiermann die Thür hinter sich verschlossen hatte, so durchzuckte der Blitze falber Schein das fensterlose Schachthäuschen um so greller
„Ob die Bergleute unten in der Erde das Gewitter hören mögen?" fragte Gustel. „Ich an ihrer Stelle dächte, daß die Erde über mir zusammenstürzte. Wie tief das schwarze Loch da hinuntergeben mag? Jesus!" Dieser^ Schreckensruf galt einem fürchterlichen Wetterstrahle, in. dessen Lichte der alte Leiermann und seine Enkelin bläulich weiß, wie Gespenster, erschienen. Den Blitz begleitete ein schmetternder Donnerschlag, welcher die Erde zu zerspalten drohte und dem ein gellender Ton, wie ein furchtbares Lachen folgte. Polternd fiel ein altes Brettstück um, das an der Wand des Schachthäuschens gelehnt hatte. Dies bestärkte das erschrockene Paar in dem Glauben, daß der Blitz eingeschlagen habe. Als aber das geblendet gewesene Auge wieder zu'sehen vermochte, herrschte noch immer Dunkelheit umher und keine Brandspur zeigte sich. Dagegen erschreckte ein klägliches Weinen, welches aus der Tiefe heraufzukommeu schien, de» Alte» wie dessen Enkelin in nicht geringer Weise. ^ ^
„Es scheucht!" schrie Gustel entsetzt. „Das ist der Bergkobold! Großvater! um Gotteswilleu macht auf!" Angstvoll drängte die Kleine gegen die verriegelte Thür. Als der Leier- mann sie öffnete und das Helle Tageslicht hereindrang, lehrte ihn ein furchtsamer Rückblick, dass der befremdliche Klang mit rechten Dingen zugche und nicht aus der Schachtöffnung, sondern von der Stelle herkam, wo das nmgefallene Brettstück gelehnt hatte.
Ein Kind, ein ganz kleines, war's, das in einem ärmlichen Bettchen auf dem Erdboden lag und die Luft mit seinem Weinen erfüllte.
„Das ist eine schöne Geschichte!" brummte der Leiermann. „Wie man junge Kätzchen wcgsetzt, so hat eine Rabenmutter mit ihrem Kinde gethan. Wie nun, wenn der Schacht nicht besahrtn wäre und wir nicht durch das Wetter Hereingetrieben
wurden? Dann mußte das arme Würmchen elendiglich verschmachten. Wirf es tu den Schacht hinab , Guste!"'fuhr der Alte hxftig fort. — „Dann hat cs schnell sein Leid überstan- den und wir sind barmherziger noch als des Kindes leibliche Mutter." '
Gustel chatte nach echt weiblicher Art das kleine Püppchen ausgehoben und dem Lichte zugetragen. Als sie des Großvaters Geheiß vernahm, eutgcguete sie: „Ist das Euer Ernst, Großvater? Daun wüßt' ick nicht, was stck von Euck denken sollte. Schaut mir her! Ein allerliebstes Püppchen ist's! Aber wie schlecht ist sein Bettchen! Wie elend sein Tüpchen! Das arme Kind!"
„In den Schacht mit ihm! wiederholte der Alte. „Dann braucht cs weder Bett noch Tüpchen, weder Sarg noch sonst etwas."
„Ei, ich dachte gar!" versetzte Gustel. — „Da kenne ich Euch besser. Habt Ihr doch grausam geweint, als unsre kleine Elsbeth starb und die war kaum so groß und hübsch wie das Püppchen hier."
Lauter begann dasselbe zu weinen.
„Leiert ihm etwas vor, Großvater!" sprach Gustel. „Vielleicht beruhigt sich's dann."
Brummend gehorchte der Alte und bald ertönten zu des Kindes Weinen der Drehorgel Klänge, welche wieder spielten: „Wie sie so sauft ruhn." Dabei heftete der Manu sein eines Auge theilnehmend auf das Kind in seiner Enkelin Hände», welche es wiegten und zu beruhigen strebten.
Es war ein Bild zum Malen. Der Findling ward zum Christkindlein, Gustel zur Mutter Maria und der einäugige Leiermann zum heiligen Joseph, welche jenes mit siebenden Blicken betrachteten. Hinter vieler Gruppe tauchte aber noch ein Kopf hervor. Nicht der eines Engels, sondern'eines Bergmanns, welcher von dem Paare unbemerkt, aus dem Schacht gefahren war und mit Verwunderung Hörle und sah, was sich vor ihm zutrug„
„Seid ihr etwa der Vater dazu, junger Knappe?" fragte Siegel, der Leiermann, den Bergmann; als er später dessen ansichtig wurde. „Hat euch des Kindes Mutter vielleicht den Fund zugedacht."
Gegen diese Beschuldigung protestirte der Bergmann entschiede». Derselbe war, wie sich später auSwies, kein gemeiner Bergknappe, sondern ein höherer Bergbeämter, den man Ge- , schworencr heißt , und welcher nur zur Beaufsichtung der Bergleute den Schacht befahren gehabt hatte. Aber das Herz desi Geschworenen war weicher als das Gestein, aus welchem er gestiegenwar. Er nahm den Leiermann nebst dessen Enkelin und demFindlinge mit sich in die nahe Zeche zur Himmelfahrt, deren zahlreich bewohnte Gebäude einem kleinen Dorfe ähneln. Während des uucrguickkichen Streites, .welcher sich hier über die Aufnahme und Unterbringung des Findlings'erhob, hatte sich Gustel in aller Stille eiue-Schaale mit gewärmter Milch zu verschaffen-gewußt, die sie-beim durstigen Kinde mit weiblicher Geschicklichkeit eiuflößte. Dasselbe —' ein Mädchen — trank wie ein Altes; trank, daß sie schwitzte und rothe Wangen bekam; und dazu leierte der Alte fort und fort: „Wie sie so sanft ruhn" — so daß zuletzt das gesättigte Kind wirklich entschlief und sauft ruhete, worüber Gustel keine geringe Freude empfand und -mit hellglänzenden Augen das lebende Püppchen auf ihren Armen betrachtete.
„Großvater!" sprach das Mädchen mit Entschiedenheit — „das Püppchen behalten wir. Haben wir's doch gefunden und das größte Recht daran. Schwer zu tragen ist's nicht und wenn wir beide abwcchseln, wirb's keinem zu sauer. Was das Bischen Essen und Trinken anbelangt, so habe ich keine Sorge, daß wir mehr bekommen als wir brauchen. Hat mir doch gleich eine Bergmauusfcau dort'in dem kleinen Hansel die Milch geschenkt, als ich sie darum bat. Wie werden wir denn die Kleine rufen? Marie, dächte ich."
(Fortsetzung folgt.)
rmck and Verlag der <8- W- Za > te r'scken Buchhandlung- Redaktion: Heizte.