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man fast so gut wie Braut und Bräutigam ist?" — Das Hab' ich ihr freilich auSrede» wollen, aber sie hat immer vor sich hin gelacht, wie ein Kind im Schlaf. „Tu solltest nur die Lieber hören, hieß es ein andermal, die er selbst verfertigt, das ist so gut als ein Gesangbuch." — „Klara, sagte ich, bas ist eine Sünde."
„Oft sind Ulrichs noch im Mondschein auf der Bank sitzen geblieben und ein paarmal hat Herr Robert zur Guitarre gesungen. Zuletzt Nachts, da Klara schon im Bett gelegen, hat er einmal noch unter ihrem Fenster eine Stunde lang gesungen und gespielt. Am andern Tag sagte sie mir: „Sieh, cS war mir gerade, als wenn mich die Musik in den Himmel hinein tragen wollt'." — Mir war angst lind bang, Herr, ich kenn' die Studenten wohl; mir sind sie auch uachgegangen. — Das nächstemal hieß es: Denk' nur, er verreist aus vierzehn Tage! Wie werd ich die hcrumbriiigen! Vierzehn Tage! das ist nicht zu erleben." — Man erlebte es doch; aber das war ein Fragen: wo er wohl ist? was er treibt? ob er nicht längerfausbleibt? wenn er krank würde oder ihm etwas geschähe! Darauf bleibt Klara viel länger aus als sonst und schleicht bleich und trübselig her: „Er ist wieder da. Mir hat das Herz so getlopft, wie der Wagen gegen das Haus fuhr! Aber er zieht, nur die Kappe und springt schnell an mir vorbei: „Guten Morgen, Jungfer, wie gehtö?" und Hort meine Antwort nicht. Er muh mir bös sein. Hab' ich ihm denn etwas gethan?" So hat sich das arme Herz zermartert. Im einen Augenblick war die Furcht größer, im andern die Hosi- nung. Non da an hat sie ihn nur wenig gesprochen. Er ist oft hinausgeritten auf das Schloß des Herrn Grafen und hat wohl da draußen viel Zeitvertreib gesunde». Klara aber ist abgemagcrt und ganz blaß geworden, auch seltener zu mir her- ausgckommcn. Sie war viel stiller, wie ausgewcchselt. Mir Hat das Herz springen wollen, daß ich nicht Hab' Helsen können. Sie hat niemals gelitten, daß man über ihn gescholten, und selbst nie über ihn geklagt, nein. „Regine," konnte sie sage», „er ist ganz unschuldig. Er hat mir nichts in den Kopf gesetzt, er kann nichts dafür, baß ich so dumm bin."
„Regine," sagte sie einmal — cs war ein heißer Sep- tembertag — „ich Hab' ihn schon lang nicht mehr gesehen. Ich geh ihm jetzt selbst aus dem Weg. Es thut mir weh, wenn er mich so ganz anders grüßt als sonst. Er soll mich auch nicht so bleich sehen, ich schäme mich. Wenn er's aber nicht merken kann, hinter dem Laden, da schau ich ihm doch vielmal nach. Meine Vorhänge zieh ich immer fest zu, aber davor aus dem Brett, da stell'ich meine Blumen hin und pflege 'sie für ihn und freue mich, daß er sie ansieht. Ost horch ich stundenlang auf seinen Tritt. Und gar wenn er spricht oder singt! Nicht wahr, ich bin recht einfältig? Ader wem soll ich'S denn sonst sagen als dir? Bei den Eltern darf ich nicht klagen, denn da müßte er am End' ausziehen, und das ist doch mein einziger Trost, daß ich ihn da droben weiß. So gern ginge ich einmal in seine Stube, wenn er nicht daheim ist; nur hinein- fchauen möchte ich — aber ich wage es nicht! Wenn Briefe an ihn kommen, steh, da wird mir so eigen. Ich kann sie stundenlang anschauen, wenn sie da liegen, aber in die Hand nehmen — nein! Oft denk ich an seine Mutter; die hat ibn gewiß auch so lieb! Ich möcht' sie kennen. Neulich hat die Christine oben beim Aufräumen ein vornehmes Frauenzimmerporträk bei ihm gesehen, mit einem schönen freundlichen Gesicht und einem himmelblauen Halstuch. Wer das wohl ist? wenn ich Nachts wache, dann thut mir's wohl zu denken, daß er in meiner Nähe da oben ruhig schläft. Aber dann möcht' ich gleich wissen, ob er träumt und was? Neulich war er auf dem Adelsball; ich Hab' die Wagen vom Schloß herein fahren sehen. Alle Fräulein wollen mit ihm tanzen, sagt die Bäckerin. Erst gegen Morgen Hab' ich ihn nach Haus kommen hören. Regine, ich Hab' mein Kopfkissen naß geweint." — Unter dieser Rede schlagen große Regentropfen an die Fensterscheiben. „Rcgine," sagte sie, „heut jsl's nichts mit dem Gießen" — das war nämlich ihr liebstes Geschäft bei mir; ich habe immer mein Tuch auf der Bleiche draußen sui Baumgarten. „Heut gießt der Himmel. Ich möcht mich nur in's Gras hineinlege» und mich recht aus
weinen, denk ich jetzt immer beim Gießen. Wenn ich immer im Freien wär' bei euch, da war' mir vielleicht bald besser; in der Stadt die hohen Häuser nehmen mir ganz den Athen,, da licgt's wie eine Last auf mir.
„Das war das letztemal, daß Klara auf den Hof gekom- men. Nachher haben die Eltern sie mit dem Herrn Amselmeier vcrheirathen wollen, dem reichen Kaufherrn mit der Brille. Ich weiß, dieß hat dem Mädchen viele Thränen gekostet, bis der Vater den Gedanken aufgegeben. Er hat bald cinschen müsse», daß ein anderer Bräutigam kommen wird, der blasse Tod."
„Darauf steht es nicht lang an, so holt man mich. Sie war im Bett. Herr, wie bin ich erschrocken, da ich sie sah! Die Augen noch einmal so groß und ganz stechend und die Lacken wie zwei brennende Rosen. Sie gibt mir die Hand; die ist so abgezehrt, so weiß und die kleinste Aber schwimmt durch. „Weine nicht," sagte sie, „mir geht's gut. Das ist nicht, wie deine Söhnerin gestorben ist von deinem Christoph und ihren Kindern weg, bei denen sie nur so kurz war, und von dem Haus, wo sie so lang hält' glücklich leben können. Ich wär' doch immer allein geblieben, Hab' an Niemand ein Recht. Freu' dich, daß ich sterbe! Ich habe zu wenig an den Heiland gedacht, darum nimmt er mich jetzt z» sich, und nimmt mich doch zu sich, sieh, so gut ist er!" Darauf winkt sie mir
näher zu sich und fragt ganz leis: „Glaubst du, daß er mir
auch zur Leiche geht? baß er mich im Sarg sieht? Zieh mich nur recht sauber an, Regine, schneeweiß, und gib mir auch Blumen! — Ich hab's zu gut gehabt und noch besser haben
wollen. Ihr habt mich alle verwöhnt, du auch, Negine. Aber
es wird jetzt noch Alles gut. Gute Nacht! Komm auch noch einmal!"
„Das war vorgestern. Gestern Abend läßt mich Herr Ulrich holen zum Wachen. Sie war nicht mehr oft bei sich; gedankt hat sie aber Allen noch und Allejgesegnet. Ost hat sie in der Fieberhitze dem Herrn Robert gerufen. Einmal liegt sie wie todt da; ich meine, jetzt ist Alles vorbei, da höre ich, wie sie etwas vor sich hin murmelt — wieder der Name! Sie hat mir auch bas gegeben: ich soll's mit einem Gruß dem Herrn Robert bringen."
Aus dreifachem Seidenpapier, das die Alte mit einem groben Löschpapier umwickelt hatte, nahm sie eine getrocknete Blume. „Da, die Rose, damit er sehen soll, wie werth sie ihr gewesen. Zuletzt, wie sie schon zu schwach war, selbst die Hände znsammenzulegen, machte sie mir noch Zeichen, daß ich über ihr bete» solle, die Kindergcbcte, die ich ihr als Kind gelehrt. Ich Hab' ihr den Todesschweiß von der Stirn getrocknet, ich. Hab' ihr die Augen zngedrückt. Eben Hab' ich sie angekleidet; sie liegt da holdselig wie ein Kind in der Wiege... Jetzt kann der Herr Robert sehen, was für ein Herz da gebrochen ist. So findet er keines mehr, und er war' nicht so übel gefahren, der Herr Robert, mit meiner Klara. Sv jung, so wacker, so schön! Und der Vater hat viel Geld! Sie hätte Baronen haben können. Das überstiegene Zeug und das Bischen Französisch macht's nicht ans, im Ge- gentheil. Und ihr Vatersbruder ist einer von den Vornehmsten im Land — Obcrrcgiernngsrath. Jetzt muß man halt denken, sie war zn gut zum Leben. Jetzt ist sie ein Engel beim Heiland; und ich bin zuerst wieder bei ihr . .."
Tie Alte unterbrach sich plötzlich und schlug die Hände zusammen. „Ach, Herr, ich Hab' mich arg verplaudert! Weß das Herz voll ist, dessen geht der Mund über. Warum seid Ihr mir denn nicht in die Red' gefallen? Ich danke Euch, daß Ihr mir so ordentlich zugehört habt. Adics!" — Sie hatte die Hand schon auf der Thürklinke, da wandte sie sich noch einmal um und sprach recht eindringlich: „Und sagt dem Herrn Robert, daß er mit keinem armen Mädchen mehr so freundlich thun soll."
Aufgabe.
Wie kann man beweisen, baß, wenn man von einem Ganzen, welches 8 Thcitc enthält, drei wegnimmt, noch ein Achtel bleibt?
Auflösung der Rälhsel in Nr. 104:
1. Meineid. 2. Krim — Grimm.
TruU und Verlag der G. W. Z a iscr'sche» Buchhandlu