316
wieder unter die Augen zu treten, Muß ich nicht versinken vor Scham über diese unverdiente Güte?"
Dorchen konnte die ganze Nacbt hindurch kein Auge zu- thun. Still und ohne Widerspruch kleidete sie sich am Morgen an, wie Sovhie es auordncte; die schönen Haare wurden auch hieß Mal fast ganz durch den Schleier verborgen. — „Ich will dir ja gern folgen, Schwester!" — sagte Dorchen — „wenn du glaubst, daß es ihn erfreut; aber ich wollte, cs wäre schon Nackt."
Sophie konnte, so viel sie sich auch Mühe gab, einen lächelnden Zug um den Mund nicht ganz unterdrücken; zwei prächtige Eqnigagen kamen augcfahren, und Alt und Jung wurde eingepackt.
Alle Bedienten und Unterthanen Dodo's standen in festlichen Kleidern bereit, als Hermann und die Seinigcn anlangten; alle Zimmer des Schlosses waren aufgeschmückt, aber von fremder Gesellschaft war nichts zu erblicken. Bodo in der glänzenden Oberforstmeister-Uniform empfing zuerst Dorchen, dann auch die übrigen, mit zärtlicher Herzlichkeit; Dorchen konnte vor Beklemmung kaum albmen.
„Es freuet mich unendlich" — fing Bodo endlich, zu ihr gewandt, an — „daß sie meine Geschenke nicht verschmäht haben; nur dieser Schleier verbirgt zu viel Schönes, als daß ich ihn nicht hinweg wünschen sollte."
„Ich lebe seit gestern" — erwiederte Dorchen mit him« nielvollen Blicken — „wie in einem immerwährenden Zauber. Ich will alles gern, was meinem Wohlthäter angenehm sein kann."
Eine Seitenthür öffnete sich, und der alte Fabian, festlich, doch einfach gekleidet, trat mit einem bedeckten Körbchen herein.
„Du bist ja fürstlich geschmückt, meine Tochter!" — sagte der tiefgerührte Greis im ehrwürdigen Silberhaar. — Solche Geschenke kann dein Bater dir freilich nicht geben; aber du bist und bleibst doch immer die gute Tochter des alten Gärtners Fabian, und da dringe ich dir etwas, das wohl nock- kostbarer ist, als diese Juwelen."
Bodo hob das Tuch. Auf einer Unterlage der schönsten Blumen lag ein frischer Mvrthenkranz.
„Darf ich den Schleier mit diesem Kranze vertauschen?"
„Bodo! — um Gottes willen!" —
„Liebes, holdes Mädchen, das ich von dem ersten Augenblicke an liebte, willst du meine Braut, meine Gattin sein?"
Nieder zu Bodo'S Füßen stürzte Dorchen; er nahm den bräutlichen Kranz, und schmückte ihre Locken damit. Dann hob er sic auf, und drückte sic feurig an seine Brust.
„Willst du mir folgen? — fragte er aufs Neue zärtlich — und die Hauptthüren des SaalcS öffneten sich, und Altar und Pfarrer standen bereit.
„Wohin du willst, Bodo!" — schluchzte Dorchen. — „Willig bin ich deine Magd, doch auch freudigen Muthes dein Weib!" —
Mehrere Tage hindurch schwebte Dorchen wie in einem Feentraume, und konnte alles, was ihr begegnete, kaum für Wirklichkeit halten. Die feurigste Dankbarkeit, die innigste Zärtlichkeit, die treueste Liebe machten Bodo zu dem Glücklichsten auf Erden, und der fast tägliche Umgang mit Hermann und dessen Familie ließ ihn gar gern der Feste des Hofes und der rauschenden Freuden der Residenz vergessen. Noch da die Obcr- forstmeisterin von Arlheim als die reizendste Mutter blühender Kinder, als die mütterliche Wohlthätcrin aller Unterthanen, in der ganzen Gegend gekannt, verehrt und fast angcbctet ward, zog sie in jedem Winter die auserlesensten Blumen. Wenn sie dann blüheten, führte sie ihren Bodo davor hin, schlang die Arme um seinen Hals, und sagte mit dem innigsten Gefühle: „Solche Blumen haben meinem edlen Bodo eine Gemahlin geraubt, die weit reizender, vornehmer und geistvoller, als das arme Gärtnermädchcn war; aber sie haben dir auch ein Weib zugesührt, die in dir und deinen Kindern die ganze Fülle der Seligkeit findet!"
Ä 1 l e r l er.
— Ein Schwede, Namens Fr. Bertram, erschien vor Kurzem auf dem Polizciamte in San Francisco, und bat inständig, man möchte ihn doch einsperren, denn sonst könne er, wie er schon zum Voraus spüre, sich nicht enthalten, die erste beste, häßliche oder hübsche Dame, der er begegnen würde, zu küssen. Fr. Bertram, ein ganz gebildeter Mann, war früher schwedischer Consul in Südamerika, wurde aber seit einiger Zeit manchmal von der sonderbare» Manie, die Damen zu küssen, befallen und sicht in seinem gesunden Zustande wohl ein, daß diese Galanterie für die Frauenzimmer, welche ihn nicht kennen, dock' nicht gar zn angenehm und beleidigend sei. Da er nun spürte, daß er von dieser Manie wieder nächstens befallen werde, wollte er sich, um kein Aergerniß zu geben, in die Arme der Polizei flüchten, und so lange an einem einsamen Plätzchen aufbcwahrt werden, bis ihm diese Küßtvllheit wieder vergangen sei! —
— In Thor» kam die 16jährige Haustochter weinend von einem Spaziergänge heim; denn sie hatte ihre Mantille verloren. „Fort! und schaff' die Mantille! oder komm mir nicht wieder vor die Augen! rief die heftige, sonst zärtliche Mutter. Das Mädchen — lief in die Weichsel. Andern Morgens brachten sie den verzweifelnden Eltern die Leiche des Kindes und die Mantille zugleich ins Hans. Die Mantille war an dem Baume eines öffentlichen Gartens hängend gefunden worden.
— In Konstantinopel schlüpfte ein Feuerwehrmann in Folge einer Wette unter die Criuvline einer Griechin. Die Dame schrie um Hülfe, der Mann wollte flüchten, verfing sich in die Maschen des Netzwerks und durchbrach endlich mit seinem Kopf gewaltsam die elastische Wand. Er wurde ergriffen und zu 7 Wochen Gefängnis und 250 Piastern Schadenersatz vernrtheilt. — In einem Eisenwerk bei Göllnitz ergriff ein Rad die Crinoline eines Fräuleins; umsonst suchten Arbeiter sie wegzureißen, denn die Drähte der Crinoline wurden von dem Zahu- rade festgchalten. Das Fräulein verlor beide Füße und starb unter fürchterlichen Schmerzen.
— Das viele Geldzählen greift die Augen ungemein an. Bei sehr reichen Leuten kann man die Abnahme der Sehkraft durch ganze Geschlechter verfolgen. Von allen Rothschilds soll der Erste, der alte Amschel das beste Gesicht gehabt haben; der Wiener Rothschild dagegen, ein Enkel, leidet so sehr an strapazieren Angen, daß er nicht nur eine Brille beim Zählen aufsctzen, sondern sogar den berühmten Augenarzt vr. Gräfe in Berlin zu Ralhe ziehen muß. —
— In England läßt man sich einen Parlaments-Sitz etwas kosten. Sir Bullwer-Lytton, der bekannte Schriftsteller, kam seine Erwählung auf fast 14,000 Gulden zu stehen, obgleich er nicht einmal einen Gegenkandidaten hatte.
— Unter Napoleon I. gabs 9000 Ehrenlegionärc; jetzt gibts 272,000; d. h. von allen Bewohnern Frankreichs, die Hosen tragen, findest Du das Kreuz auf jedem 60. Rocke. So ist das Verdienst gewachsen.
— Man fragte einst zu Frankfurt in einer Gesellschaft: wer die Person sei, die eben den Saal verlassen hätte? Da Niemand Bescheid geben konnte, sagte Kaufmann D.—: Es ist eigentlich wider meine Grundsätze, von Abwesenden Böses zu reden; allein ich glaube, cS war ein Advokat.
— Ein junger Mensch schrieb drei Liebesbriefe auf einmal, wovon der erste sich mit den Worten: BerehrungSwcrthe Freundin! der andere: Liebenswürdige Amalie! und der dritte: Thcures, innig geliebtes Mädchen anfing. Wozu diesen Unterschied? fragte ihn einer seiner Freunde, vor dem er mit dieser Cvrrespondenz kein Gchcimniß machte. Das will ich Ihnen sagen, erwiderte er. Die erste hat vier Tausend, die andere sechs Tausend, und die dritte zwölf Tausend Gulden im Vermöge».
— Als der berühmte Componist Haydn im Jahr 1794 seine Reise nach England antrat, erkundigten sich an der österreichischen Grenze zu Scharding die Mauthbeamten nach seinem Charakter. Ich bin Tonkünstler: antwortete Haydn. A so, a Hafner? Allerdings, bestätigte Haydn, und dieser da, der neben mir sitzt, ist mein Geselle; eS war sein Diener.
LruckundBcrlagderG.W. Za iscr'schen Buchhandlung. Redaktion: Hölzlc.