er je geliebt, und sein in den Tod verwundetes Herz fühlte nicht Kraft genug zum Hasse. Sein Blick fiel auf Scholastika, auf Brice und wieder auf Scholastika. Seine kraftvolle Natur erlag unter diesem unermeßlichen unvorgeseheuen Schmerze. Zwei schwere Thränen, die er nicht znrückzuhalten suchte, hingen an seinen Wimpern; aber nach Rache dürstete er nicht.
„Gnade!" rief nochmals Scholastika.
Darum schüttelte nochmals das Haupt und wies mit Nachdruck auf die Worte, die der Schulmeister auf dem Sterbebette geschrieben. Endlich schleppte er Brice und das Mädchen in sein Schlafgemach, öffnete seinen Sekretär, und machte ans seinen Bankbillets zwei Thcile. Den eine» davon warf er Scholastiken vor die Füße. Brice raffte sie auf, Scholastika fiel auf die Knie nieder und zerfloß in Thränen.
„Erbarmen!" rief sie. Ich liebe Euch. Ich liebe nur Euch !
Ein Lächeln glücklichen Entzückens strahlte auf Danmi's Antlitz. Er öffnete seine Arme, als wollte er daö Mädchen an sein Herz drücken; doch ließ er sie sogleich wieder sinken, seine Stirne wurde bleich, er schüttelte von Neuem sein Haupt und knitterte das Papicr, worauf des Schulmeisters ewiger Spruch stand, krampfhaft zusammen. Eine Stunde später wanderte Darum auf der Straße, die nach der Bretagne führt. Er hatte wieder seine Bauernjacke und seinen großen Filzhnt an und den dicken Christdornstock in der Hand.
Scholastika, die im Grunde ein gutes Mädchen war und ihren Bräutigam sehr liebte, weinte acht Tage lang. Erst allmählig tröstete sie sich. Brice verfuhr nicht hart mit ihr. Er verschaffte ihr einen Posten als Modistin und behielt die Bankbillets, durch deren Gnade er Gemahl der reichen Erbin eines Handelsherrn wurde.
5.
Im MaraiS von Dol erinnert sich noch heutigen Tages Jedermann eines Verrückten eigcnthümlicher Art, der sich im Frühjahr 1835 in Roz-l'Eveque niederließ. Einige glaubten in ihm einen jungen Burschen aus dem Dorfe zu erkennen, der ungefähr ein Jahr zuvor als Rekrut fortgezogen war; Andere aber bezweifelten dieß, und zwar aus guten Gründen. Darum, der Sondirer, war erst einundzwanzig Jahre alt, als er Roz- l'Evöque verlassen hatte; während der Verrückte, von dem wir sprechen, zahllose Runzeln ans der Stirne hatte, Jedermann mit den Augen eines Greises ausah, und auf seinem tiefgebeugten Haupte kein einziges Haar besaß, das nickt grau gewesen wäre. Er hatte das Haus weiland des Schullehrers Meister Noel gekauft und man sah ihn nie außerhalb desselben. Daß er aber verrückt war, schloßen die Leute daraus, weil er den ganzen Tag mit gefalteten Händen in einem Winkel kniete, in welchem früher das Bett Scholastik-r's, der Nichte des Schulmeisters, gestanden hatte. So oft die Neugierigen durch die verstaubten Fenster in das Hans guckten, sahen sie ihn an demselben Platze und in derselben Stellung.
Gegen Beginn des Sommers desselben Jahres nahm seine Narrheit einen minder passiven Charakter an. Eines Tages verließ er zum großen Staunen aller Welt sein Haus und zog durch das Dorf, mit den Händen herumwerfend, als lüde er Jedermann ein, ihm zu folgen. Und Jedermann folgte ihm auch. Er überschritt den Biez Duval und blieb endlich vor der sandigen Oase stehen, welche man den Brunnen nennt. Die ganze Bevölkerung von Roz-l'Ev«que stellte sich in einem Kreise um ihn und erwartete ungeduldig, daß er nach der Gewohnheit seines Gleichen allerlei Narrensprünge und ergötzliche Fratzen zum Besten geben würde. Aber er that keine Narrcn- sprüngc, sondern stand eine Zeitlang stumm und regungslos da, bis er Plötzlich seine hohe Gestalt aufrichtcte und seine Blicke über die Menge schweifen ließ.
„Wer hilft mir ein Haus auf den Brunnen bauen?" fragte er mit ernster, trauriger Stimme.
Maßloses Gelächter brach bei dieser überspannten Forderung aus.
„Lacht nicht!" rief gebieterisch der Verrückte. Ich habe Geld!
Und dieß sagend, warf er aus vollen Händen Fünffrankenstücke auf den Sand. Die guten Leute von Roz-l'Evöque hatten deren noch nie so viel gesehen. Sie klaubten das Geld
hastig zusammen, worauf die Männer den Hut zogen und die Weiber ihre Knire machten. Vor Geld muß man Respekt haben, selbst wenn es aus den Händen eines Narren kommt. '
„Herr," riefen zwanzig Stimmen auf einmal, „wir bauen Euch ein Haus auf den Brunnen."
Der Narr ging langsam nach Hause. Die guten Leute von Roz-l'Evöque folgren ihm mit gezogenen Hüten. Andern Tages herrschte am Brunnen beispiellose Regsamkeit, ein ungewöhnlicher Lärm. Der Sand wurde aufgegraben, Balken wurden behauen, Kalk cingerührt. Der Narr stand dabei und munterte die Arbeiter ans. In einem Tage war beinahe ein Geschoß anfgebant. Als man aber andern Morgens wieder an den Platz kam, war nichts zu sehen. Der Sand hatte den Bau verschlungen.
„Fangen wir von Anfang an!" rief der Narr.
Und er schleuderte wieder einige Handvoll Fünffraiiken- stückc herum. Man begann von Neuem. Vier Mauern erhoben sich. Andern Morgens jedoch war keine Spur von den vier Mauern.
„Fangen wir von Anfang an!" rief der Narr wieder.
Seine ficbcrisch glänzenden Augen folgten jeder Bewegung der Arbeiter. 'Abends war er der Letzte, der den Brunnen verließ, Morgens der Erste, der erschien. Und jedesmal sah er die Arbeit des vorigen Tages verloren. Ein Anderer hätte gejammert, er aber lachte. Die braven Leute von Roz-l'Eveque jammerten noch weniger, denn der Narr bezahlte sie reichlich.
„Unser Herr," sagten sie, hat halt seine Gedanken. Warum sollte er sie nicht haben? Wir Armen leben davon."
Wie lange dieses unsinnige Treiben währte, können wir nickt sagen. Aber nach Hunderten muß man die erfolglosen Versuche des Narren gewiß zählen. Immer besiegt, verlor er doch nie seinen Muth und seine Börse schien unerschöpflich zu sein.
„Fangen wir von Anfang an!" rief er jedesmal mit einer Art trauriger Lustigkeit.
Wenn er des Abends nach Hause kam, zündete er einen Kienspan an und kniete an der Stelle, wo sonst Scholastika geschlafen hatte, nieder. Aber von Tag zu Tag merkte man eine raschere Abnahme an ihm. Sein Athem war kurz und keuchend, seine Füße knickten unter der Last seines Körpers ein.
Eines Morgens kamen die guten Leute von Noz-l'Evöqne früher als er zu dem Stelldichein. Der Brunnen hatte wie gewöhnlich die Arbeit des vorigen Tages verschlungen: aber der Narr erschien nicht. Die Leute sahen einander unruhig an, denn seit acht Tagen schon zahlte „Unser Herr" ihre lächerlichen Arbeiten nicht mehr baar. Sie fürchteten einen Bankerott und zogen murrend nach dem Hause des Meisters Noel. Die Thüre war verschlossen, sie stießen sie ein. Der Narr lag an seinem gewohnten Platze. Sein Leib war in sich zusammengesunken und bildete nur eine reg- und leblose Masse.
„Der Gauner!" riefen die guten Leute. „Stirbt er ohne zu zahlen!"
Da cs im ganzen Hause keine Möbel gab, so ersparten sie sich die Mühe, alle Schubfächer zu durchstöbcrn und beschränkten sich auf die Durchsuchung der Taschen des Verstorbenen. Man fand nichts darin, als ein Stück Schwarzbrot». Schon wollten sic in ihrer Verzweiflung fortgehen, als einer von ihnen voll Freude aufsprang und ein Papier ergriff, das der Todte fest in sturer geballten Hand hielt.
„Allen zu gleichen Theilen!"
So erscholl'S einstimmig. Die guten Leute hielten das Papier für eines der Bankbillete, die der Narr sonst in Hülle und Fülle besessen hatte. Alle eilten ans Fenster und entfalteten rasch, aber sorgsam das Papier. Ach, es war nichts als ein abgegriffenes, zerknittertes, schmutziges Blatt, aus welchem in schönen, großen (vielleicht von Thränen) hatbverwischten Buchstaben drei Worte standen, die den guten Leuten von Roz- l'Evögue als eine Verhöhnung aus dem Grabe erschienen, die drei Worte:
„Auf Sand gebaut!"
Truck und Verlag der G. W. Z aifer'chen Buchhandlung. Redaktion: Hslzle.