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„Dann bleibe ich um so mehr," rief er lustig. „Wird es jetzt bald eine Million machen?"
Der alte Spieler hatte nicht Zeit zn antworten. Die Roulette hatte sich umgedreht, »nd Uanmi gewann wieder. Der Banguier leerte die Kaffe und verdoppelte den Einsatz des Dorsdnrschcn. Er that dieß mit der größten Seelenruhe, da das Geld, das die Bank verlor, nicht das seine war.
„Jetzt ist's eine Million, ja mehr als eine Million, mein Theurer," sagte der Nachbar.
Uanmi stand unverzüglich auf. Ec zog sein gewürfeltes Sacktuch ans der Tasche, und band seine Reichthümcr in ein Päckchen. Mehr als ein unglücklicher Spieler schleuderten ihm unheimliche Blicke ;», und der alte Spieler, die Sitten dieses Ortes wohl kennend, rietb ihm, sich von Stadtsergcante» eS- kortire» zu lassen; aber Uanmi drückte de» Hat ins Gesicht, liebkoste den Griff seines knotigen Stockes und sprang immer zu vieren die Stufen der Treppe hinab.
Auf der Straße begann er wie ein Toller zu rennen, und hielt dann plötzlich an, um aus voller Kehle ein heimathlichcs Lied zu singen. Endlich des Hcrnmlaufens mit seiner Million unterm Arme müde, klopfte er an die Thüre eines armseligen Micthhanses nnd fragte nach dem Preise des Schlafgcldes. — „Ein Frank," erwiderte man ihm. — Uanmi fühlte große Lust, seine Wanderung fortznsetzen und ein minder kostspieliges Nachtlager zu suchen; aber er bedachte, daß ihm seine Million diese Berschwendung wohl erlaube.
„Gute Frau," sagte er zu der Herrin der Anstalt, „lassen Sic mir ein wohl verschlossenes Zimmer geben, denn ich babe eine Million in meinem Schnnpftuche."
Die Dame sah c>as Tuch an, verzerrte den Mund zn einem verächtlichen Lächeln, nnd führte Uanmi in ein finsteres Loch, welches gewiß nicht so viel werth war, als sein altes Schlafzimmer in Rvz-l'Evöqne. Ganz angezogen warf er sich aufs Bett und suchte einige Ordnung in seine Gedanken zu bringen, aber der Schlaf überrumpelte ihn, und bald träumte er, baß er auf den Brettern der Oper unter einem Schwarme junger, engclschöner Mädchen herumtollte. Sie faßten ihn in ibre Arme nnd trugen ihn im Triumphe herum. Das Blut rollte siebend heiß in seinen bretagner Adern.
Hastig sprang er empor; der Schweiß rann von seinem ganzen Körper.
„Wie schön sie sind!" seufzte er. „Morgen trag' ich ihnen meine Million hin. Sie müssen mein sei», — Alle."
Und dieser süße Gedanke schläferte ihn ganz sanft wieder ein. Dießmal hatte er einen andern Traum. Er wandertc, den Sack auf dem Nucken, über den Damm von Dol. Seine acht Jahre hatte er ausgedient, acht lange Jahre, während deren er keine Nachricht von Scholastika erhalten. Hatte sie fein vergessen? Auf dem Gipfel des Mont Dol angelangt, warf er einen sehnsüchtigen Blick auf Roz-l'EvZgne. Da stand noch sein Häuschen vor jenem des alten Schulmeisters. Nichts hatte sich in der Landschaft geändert. Das Marais war noch grün nnd flach, wie eine unabsehbare Steppe, in regelmäßigen Zwischenräumen von den erdfarbnen Linien der Kanäle durchschnitten. Hier hatten acht Jahre keine Bcrändcrung hervorgcbracht; wie aber in dem Herzen des Mädchens? . . . Uanmi lehnte sich auf seinen Christdornstock und seine Seele war voll unruhiger Gedanken. Vor Roz-l'Evöqne erblickte er einen leeren Platz, den die Abendsonne mit ihren schiefen röthlichen Strahlen vergoldete. Es war der Brunnen, dieser See von Sand, den Meister Nocl so oft anführte, wollte er sein Mißtrauen gegen das Menschengeschlecht recht handgreiflich machen. Uanmi zitterte bei diesem Anblicke. Ein grausames Vorgefühl erfüllte sein Herz, er eilte den Hügel hinab, um endlich sein Schicksal zu erfahren. Auf der Schwelle des Schnlmeistcrhauses saß Scholastika, den Kopf gedankenschwer in die Hände gestützt. Er trat heran. Das Mädchen schrie vor Freuden auf und sank halb ohnmächtig in seine Arme.
„Sei willkommen, Bruder," erscholl zugleich die Stimme Brice's, „ich habe mein Versprechen gehalten und Deine Liebe bewacht."
Als Uanmi erwachte, waren seine Augen thränenfencht.
Tausend für eine kurze Zeit vergessene Erinnerungen bedrängten sein Herz.
„Brice! Scholastika!" dachte er. „Mein Bruder! meine Braut! Da Gott mich reich gemacht, müsset auch ihr reich sein. Dieß Vermögen gehört nicht mir allein, es gehört uns allen Dreien. Armes Mädchen, sie liebte mich noch nach achtjähriger Abwesenheit."
Meister Nvel hätte des letztem Gedankens auf das Erbarmungsloseste gespottet. Er hätte nicht ohne einigen Anschein von Recht gesagt, daß einen Traum ernst nehmen, auf Sand bauen heiße. Aber Thorheit gegen Thorheit gehalten, ist es doch besser, sich in einem süße» Traume zu wiegen, als gegen baare Zahlung die Herzen eines ganzen BalletkvrpS zn erstürmen. Zu seiner ersten Liebe zurückgckehrt, wollte Uanmi nicht wieder in die Oper gehen. Denn er mißtraute sich selbst. Nachdem er seine Million in Sicherheit gebracht, ging er zu einem öffentlichen Schreiber und diktirte ihn, einen lauge» Brief, adrei siet nach Noz-l'Evüqne, Canton Jslemer, Arrondissement Dol, Departement Jlle-ct-Vilaine; — franco.
4 .
In drei Stunden sollte die Diligence von Saint Malo eintreffen. Schon feit Mittag spazirte Uanmi auf dem Hofe der Messagerien auf nnd ab. So oft ein Wagen hereinrollte, sprang Uanmi au den Kntschenschlag. Aber weder im Coupe, noch im Innern, noch in der Rotonde saßen die, die er erwartete; er blickte nach der Uhr nnd stampfte vor Ungeduld mit den Füßen.
Wie man leicht denken kann, hatte sich Uanmi einen Ersatzmann für den Militärdienst erkauft. Ja er hatte noch ganz andere Dinge getban: sein absaionisckeS Haar war unter der Scheere eines Friseurs gefallen; feine Jacke war einem schönen blauen Frack mit goldenen Knöpfen gewichen. Ein holler, schmalträmpiger Seidenhnt deckte nun seine Stirne. Man m»ß gestehen, so ansstaffirt, verlor Uanmi sehr. Seine kräftigen schultern behagten sich in dem Fracke nicht, sein Kopf schien, seit er von dem laugen Haare nnd vorzüglich von dem Filzhuke verwaist war, doppelt ungeheuer; der scheue, fast wilde Ausdruck seiner großen blauen Augen bildete einen seltsamen Gegensatz zu dieser ^tadterkleidnng. Früher lag Poesie in dieser Mischung kindlicher Sanftmuth nnd herkulischer Krast; sein linkisches einfaches Wesen war nicht ohne Anmnth gewesen, jetzt aber machte dieser Verein von Sanftmuth, Einfalt, Linkisck- thnm nnd Stärke eine komische Einwirkung. Als Bauer war er hübsch gewesen, als Städter war er häßlich. Wie würde sich ungefähr ein knorriger Eichenstock mit lackirter Rinde, seidenen Schnüren und goldenem Knopfe ansnehmen?
Endlich scblngs drei Uhr. Von der Straße Saint Honorö hörte man eine Fanfare, daß Einen die Gänsehaut hätte überlaufen könne». Endlich rasselte eine runde Diligence heran, mit weitem, koth- und staubbedecktem Bauche und einem roth- backigcn Condnkteur, der aus Leibeskräften sein Horn blics. Bei diesem Anblicke erweiterten sich Uanmi's Nüstern, er glaubte den Duft von Austern nnd frischen Sardinen zu necken: den Wohlgcrnch seines Landes. Auf der Imperiale neben dem Con- duttenr saß ein Mädchen mit dem Kopfputze der MaraiSbewoh- nerinnen, nnd ein Bursche, dessen mageres Gesicht unter den Krämpen seines Hutes ganz verschwand.
„Scholastika! Brice!" ries Uanmi.
Die beiden jungen Leute erkannten die Stimme und schauten auf. Sie sahen aber Niemanden als einen großen, starken Herrn im blauen Fracke. Das war nicht der Uanmi von Roz- l'EvSqne. Sie glaubten falsch gehört zu haben.
„Brice, Scholastika!" wiederholte der brave Sondircr, die Arme ihnen entgegen streckend.
Jetzt zauderte das Mädchen nicht länger. Sie glitt hinab und Uanmi fing sic an seiner Brust auf. Auch Brice stieg ab, aber vorsichtiger. Welche warme Umarmungen, welche endlose Liebkosungen! Vorzüglich Brice schien sich gar nicht fassen zu können. Er lachte, er weinte, der treffliche Bursche, er konnte kaum satt werden der Umarmungen und Händedrücke.
_ (Fortsetzung folgt.)
Truck und Verlag der G, W. Zaiser'che» Buchhandlung, Redaktion: Hölzlc.