wit, wie er sich selbst de,mit zu begnügen pflegte. Der Sohn hatte ihm in dieser Krankheit mehr Anhänglichkeit bezeigt als sonst, er war während der schlimmsten Tage nicht'von seinem Bette gegangen; aber als daS Bewußtsein des BaterS wicderke'hrte, 'entfernte er sich aus's Nene, und schien die Reizbarkeit eines Genesenden zu scheuen, Ursachen zn Reibungen vermeiden zu wollen.
Nach einigen Monaten war der frühere Zustand her- gestellt; Jwanowitschs Kräfte waren wiedergekehrt, und das Verhältnis zwischen Vater und Sohn schien das alte, entfernte bleiben zu sollen, indem es sich durch eine große, zurückgebliebene Reizbarkeit des Erster» nicht besser zu gestalten versprach. Im Gegcntheil wurde eS schlimmer und schlimmer; des Lohnes gemessene Zurückhaltung schien den Vater nur mehr und mehr zu erbittern; Jener hatte denn auch mit seiner aufbrausenden Jugend und seinem wachsenden Selbstgefühl einen harten Kampf zn bestehen, und so geschah es, daß die vorige, unheilbringende Scene sich eines Tages wiederholte. Dieses Mal mischte sich aber in des Sohnes Zorn über die Mißhandlung ein eigenes Entsetzen, ja Mitleid mit dem Vater. Er warf sich vor ihm ans die Kniee und flehte, beschwor ihn, sich nie wieder so weit zn vergessen, daß er die Hand gegen sein Kind erhebe. Der Vater war halb gerührt, halb ärgerlich über seine eigene Rührung und über das Selbstgefühl des Sohnes, über die Wichtigkeit, die er dieser Scene bcizumessen schien. „Was!" rief er ihm heftig entgegen; „soll ich nicht die Macht, das Recht haben, den unbeugsame» Trotz eines Kindes zu strafen? glaubst Du Dich bedeutend genug, Dich ihr entziehen zn dürfen? was predigst Du mir hier Moral und Mäßigung? Bist Du nicht mein Geschöpf? Was wärst Du, wenn ich Dir nicht meinen Namen geliehen hätte? Ein NichtSwürdiger, ein Leibeigener!" Des Knaben Zorn flammte ans, er griff mit dem Instinkt eines Mannes an seine Seite, als suche er ein Schwert. Der Vater fuhr ans bei der Bewegung. „Aus meinen Angen!" rief er ihm zn; der Sohn ging, aber er beschwor die Leute seines Vaters, ihn nicht zn verlassen, die Nacht bei ihm zn bleiben; er that es mit Thränen der Angst; sie versprachen es, und er schien etwas beruhigt zn gehen.
Jwanowitsch legte sich nieder; lange noch blieb der Kammerdiener heimlich in dem anstoßenden, halbgeöffneten Zimmer; endlich, da er seinen Herrn ruhig schlafen hörte, ging er, selbst vom Schlafe übermannt, zn Bette. Es war schon hoher Tag, als er erwachte; der Jüngling trat eben in sein Zimmer. „Ihr seid ruhig bier?" sagte er entsetzt; „wo ist mein Vater?" -— „Er hat noch nicht geklingelt, er ist noch nicht erwacht," antwortete der Kammerdiener entschuldigend. „Noch nicht? Und Ihr seid nicht bei ihm geblieben! Oeffnet sein Zimmer, rasch!" Der Kammerdiener stand auf und suchte nach den Schlüsseln umher. „Es ist ja nicht verschlossen," sagte er endlich, da er sie nicht finden konnte. — „Es ist verschlossen!" ries der Jüngling heftig ans; „kommt!" Er zog ihn an die Thüre, aber wiewohl sie wirklich nicht verschlossen schien, war sie doch, eine ungewöhnliche Erscheinung, fest von Innen verriegelt. Es war schon ge
raume Zeit über die Stunde, wo Jwanowitsch gewöhnlich anfznstehen Pflegte; sic riefen — es erfolgte keine Antwort. Des Jünglings Angst schien mit jeden, Ängeublick zu steigen; er ließ den Schlosser, den Zimmerniann kommen, und die Thüre Anschlägen; zitternd stürzte er über ihre Trümmer zum Bette seines Vaters; die Vorhänge hingen tief herab, und — eö war leer. Fragend staunten Alle sich an, aber des Knaben Blicke irrten verzweifelnd im Zimmer nmher; da eittdeekle sein von der Angst geschärftes Auge eine Spalte in der Wand und eine verborgene, Allen unbekannte, nur angelehnte Tapeteittbüre; er riß sie aus; man sah in einen schmalen, dunkeln Gang, in den das Licht des Tages nur gleichsam fremd und schüchtern drang. Er stürzte hinein', aber seine Leute wollten ihm nicht folgen, und suchten ihn durch alle möglichen Vorstellungen znrückznhalten; ein panischer Schrecken hatte Alle ergriffen. Der Jüngling gebot Liebt zn bringen; ungern erwartete er cs, ergriff hastig die Laterne, hieß seine Leute ihm nachgehen, und eilte voran; es tonnten nicht zwei Personen in dem engen Raume, der sie wie ein Grab umfing, neben einander gehe»; einzeln bewegte sich der bange Zug; eS ging Treppe ans, Treppe ab; endlich hörten die kleinen, hin und wieder zerstreuten Stufen ans und der Weg senkte sieb fortgesetzt. Sie
schritten die schmalen Tritte hinab; die Laterne brannte,
vermnthlich durch die eingeschlvssene Lust, gedämpft, trüb und unsicher; da stieß deö Jünglings Hand an ein Hinderniß — eine Thür lag vor ihm; mühsam drängte er sie auf; ihre ungewohnten Angeln knarrten scharf und verwundend, wie ein Schrei ans alter, erstorbener Zeit,
durch die tiefe Stille, und er trat in die Gruft seiner
Ahnen unter der Kapelle. Aber beim nächsten Schritt stolperte sein Fuß über einen im Wege liegenden Gegenstand; er bückte sich, ihn zn beleuchten — eS war der Leichnam seines Vaters! Er stand erstarrt. Seine Begleiter sprangen hinzu und wollten ihn anfbeben, aber ei» Hinderniß zog die Leiche wieder nieder; die goldene Kette, welche er seit seiner Krankheit trug, war es, die sich mit dem einen Ende in die Spalte eines SargeS geklemmt hatte. Der Deckel wurde geöffnet, sic los zu machen; man erkannte den Sarg der verstorbenen Frau von Jwanowitsch. Der Sohn verbarg sein Gesicht in seinen Händen, und stürzte fort. Der Leichnam wurde an das Tageslicht gebracht; alle Versuche, ihn wieder zu beleben, blieben umsonst; er schien sich mit der Kette erdrosselt zn habe».
Ter Jüngling ließ ihn neben seiner ersten Frau begraben, und verließ ans immer das Gut seiner Väter. Er reiste nach Petersburg, und brachte seinem Bruder jene Kette mit, die sie unter sich theilten, und die ein Erb- theil in der Familie blieb, an dem beide Linien sich noch spät als Verwandte erkannten, denn Beide lebten in ihren Kindern fort; ihren Wappen fügten sie die zerrissene Kette hinzu, und die nie getrübte Eintracht beider Brüder ging sprichwörtlich ans ihre spätesten Nachkommen über, von denen einer mir — so schloß der Erzähler — die Hälfte der sonderbaren Kette gezeigt hat, deren vcrhängnißvolle» Ursprung Niemand mehr mit Bestimmtheit nachznweiseu vermag.
Hiezu eine literarische Beilage.