Tagen ihrer Fahrt. Nun aber erhob sich ein so schrecklicher Sturm, daß die Wellen das kleine Schiff zu verschlingen drohten. Es kam dadurch weit von seiner Richtung ab, und schwamm willenlos wie ein vom Ufer gerissener Kahn auf den ungeheuren Wogen. Der Capitän barg die Gefahr nicht, in der sie schwebten. Mit der geringen Equipage, die vor Ermattung hiusank, war er nicht länger im Stande, das eindringende Wasser auszu- pnmpen, und auf dem Verdecke den nvthigcn Dienst an Segelwerk und Steuerruder zu versehen. Er selbst war seit neun Tagen nicht vom Steuer gewichen, hatte unverdrossen Nässe, Orkan und Sonnenbrand ertragen, die mit einander wechselten. Maria kauerte eben neben ihm auf dem Verdecke, und nähte emsig an den zerrissenen Segeln, da sagte er zu ihr: „So recht, Kind! ist aber wohl umsonst, nur ein Wunder kann uns retten. Haben Sie noch etwas in der Welt, so schreiben Sie's schnell auf, wir schließen es in eine Flasche, und werfen Sie in die See." Da ward Marien auf einmal bange, denn bisher hatte sie immer guten Muth gehabt, zur Verwunderung ihrer Eltern und der Seeleute. Bewegt stieg sie in die Kajüte hinab, wo sie Vater und Mutter nach langer Zeit zum ersten Male schlafend fand. Bald waren die wenigen Zeilen geschrieben: „An Franz Story, Flotten-Capitän der englischen Marine, auf der Fregatte Triton. Ich bin frei von aller Pflicht, von allen Banden, bald auch vom Leben, denn wir müssen sterben. Darum darf ich Dir sagen, Franz, daß ich Dich unaussprechlich liebe. Wir wollten nach Cuba, Vater, Mutter und ich, auf der Syrcne, Capitän Tandlor.. Ewig Deine Maria." Sie selbst verschloß das Blatt in eine Flasche, und ein Lächeln schimmerte durch ihre Thränen, als sie das Papier von den Lippen lhat, und in den engen Gewahrsam schob, der, gut verschlossenen die Wogen geworfen wurde. Lange blieb die Flasche Mariens Augen sichtbar; sie gewahrte sie oft, wenn eine Welle sie aus der Tiefe emportrug, aber der Sturm trieb sie gerade nach der Gegend, wo Maria sie nicht hinsandte.
Story's segelschnellcr Triton hatte indessen mehrere reiche französische Prisen gemacht, woran ihm sein Anthcil wurde, der noch bedeutender aussiel, als er, der ein schlechter Rechner war, geglaubt hatte. Er war wieder hergcstellt, und in der Seeluft erstarkt, aber Maria lebte fortan in seinem Herzen. An sie dachte er, wenn sich des Morgens die Sonne aus den Flutben erhob, an sic dachte er, wenn sie sich glänzend in die Wogen tauchte, und lange noch das prächtige Lichtmeer ihr nachflammte: zu ihr betete er, wenn bei Sonnen-Untergange die Schiffsmannschaft die fromme Abendseier hielt, und darüber nach und nach die Sterne herauszogcn. Selbst in dem einförmigen strengen Schiffskommaudo und Dienst suchte er Beziehungen mit ihr, die ein Muster von Ordnung war. Woran knüpfte das liebende Herz nicht seine Seile und die Fäden, die viel zarter und doch stärker sind, als die des kunstreichen Thieres, das sein Luftschloß an das Kreuz eines Grabes so gut baut, wie au den Svnuenzeiger und das Hochgericht!
So hatten sie schon einige Male den Weg zwischen
Afrika und den Azoren gemacht, und kreuzten gerade wieder auf der Höhe dieser Inseln, als ein Matrosenjunge vom Maste heruntcrricf, er sehe ein Schiffwrack in Südwest. Das große Boot ward anSgesetzt; Story erhielt Ordre, mit acht Mann dahin zu steuern, und im Nothfalle Signale zur Annäherung der Fregatte zu geben, auf jeden Fall aber Nothleidende an Bord zu nehmen. Der Wind blähte stark die Segel, und in einer halben Stunde hatten sic die drei Seemeilen zurückgclegt. Einen erbarmungswürdigen Anblick bot das Wrack des kleinen Schiffs; Menschen waren nicht zu scheu, auch keine Leichen; jedoch drang man in die fast ganz mit Wasser ungefüllte Kajüte. Auch da wurde nichts gefunden, kein Buch, keine Schrift, nichts als ein Strohhut, der auf dem Wasser schwamm, und den die Matrosen kaum der Mühe wcrth hielten, mit herauf zu nehmen. Als ihn Story sah, ward ihm sonderbar zu Sinn. Er kannte den Hut, er hatte ihn oft gesehen, auch das Band war ihm nicht fremd, alle kleinen Zeichen trafen zu —- es war Mariens Hut. „Wo Licht finden in dieser Nacht?" rief Story, und stieg in die Kajüte hinab. Alles ward von Neuem ausgesucht; nichts, keine Spur fand sich. Wohl zehn Mal fuhr mau in engerem und weiterem Kreise um das Wrack, um etwas zu entdecken, umsonst. „Ist sie hier versunken? Haben sie die Wellen mit den Andern vom Verdecke gerissen? Oder ward sie von einem Schiffe gerettet? Wo ist dies glückliche Fahrzeug?" So fragte und stürmte es in seinem Herzen, so daß er sich lauge nicht entschließen konnte, den Befehl zur Rückkehr nach dem Triton zu geben.
Zehn Tage verstoßen, die Sonne ging zehn Mal auf, aber das Dunkel ward nicht Heller. Da begegnete ihnen eines Abends die englische Kriegsbrigg, die Helena. Die Kapitäne beider Schiffe waren Verwandte, mehrere Offiziere kannten sich, man ging also an Bord der schönen Frau. Story hatte dort keine Bekannte, und da es den dicnstthuendcn Offizier des Triton sehr biuüberzog, so übernahm Story dessen Stelle. Als die Offiziere an Bord znrückkamen, fehlte eS nicht an Erzählungen von Neuigkeiten auS England. Alle aber waren entzückt über eine junge schöne Amerikanerin, die sie drüben gesehen. Nun kam man aus Dienstneuigkeiteu; Alle waren Ohr, nur Story nicht; er hätte der Helena nachfliegcn mögen. Da sagte ihm der Offizier, dessen Dienst er vorhin übernommen: „Was wetten Sie, Story, ich sage Ihnen eine Neuigkeit, die Sie sehr freuen wird, da Sie koch nicht gerne in diesen Meeren sind. Auf der Admiralität in London liegt Ihre Ernennung zum Fregatten - Capitän der indischen Station. Sie werden wohl in Madeira die Ordre finden, nach Plymouth zu gehen, wo Ihr Schiff liegt." -— „Nach Indien!" hallte eS schmcrzlsch in Story's Seele nach; „so weit von Ihr, so ohne alle Hoffnung, sie wieder zu finden!" Er jubelte nicht; Niemand begriff das, wie man ihn selbst nie begriffen hatte. Die angczcigte Ordre fand er wirklich in Madeira, und bald darauf ging Story auf einer Brigg nach England ab.
(Fortsetzung folgt.)