lichen Nacht gestorben oder auch von den Spießruthen schon zu Tode gemartert wähnte.
Endlich, als das zweite Jahr zu Ende ging, erhielt er plötzlich einen Boten ans dem benachbarten Städtchen mit der Nachricht, daß sein Sohn ibn herzlich grüßen ließe, und ihn heute Abend noch mit derFrau General-Superintendentin besuchen würde. Als die erste Freude über diese uavrrmulhete und dem alten Manne säst sabelhast klingende Nachricht vorüber und der Bote hundert Mal ausgefragt war, konnte sich zwar Niemand jene Zusammenstellung träumen, indcß daS war ja heute die geringste Sorge. --- Die Frau Geueral- Superintendentin, meinte die alte Mutter, würde ja auch satt werden, und noch lange vor Abend machte sich das ganze Haus auf, weichem sich der Pfarrer selbst anschloß, ihrem Joseph, wie Veralte Pastor sich ausvrückte, entgegen zu gehen. Man war eben an dem uns schon bekannten Hohlweg angelangt, als eine Kutsche heranfnhr, aus welcher sich eine allerliebste weiße Hand streckte und dabei die Worte vernehmen ließen: „ja, ja, lieber Karl, hier war es, dort saß der Wolf." In dem Augenblick, als dieser hinaus sah, erkannte er seine Eltern. — Ein Freudengeschrei entrang sich seiner Brust, der von der ganzen Familie beantwortet wurde. Der Kutscher mußte halten, der Herr und die Dame sprangen hinaus; noch einmal folgte ein Freudengcschrei dem andern und die stummen Umarmungen währten lange, ehe der alte Vater unter lautem Schluchzen ausrufen konnte: nun erzähle, du böser Sohn, der uns so viel Kummer gemacht und kein einziges Mal geschrieben hat.
Karl begann: „Ich konnte, ich durfte nicht schreiben. Mein Hauptmaun forderte mein Ehrenwort, daß ich Euch in keiner Weise Nachricht von mir ertheilen solle. Hielt ich dies, so versprach er, mich nach drei Jahren frei zu geben."
„Und hat dich nun schon nach zwei Jahren sreigege- ben, der brave Mann! versetzte der Vater.
„Ach der nicht, entgegnete Karl, von dem hätte mich nur Einer frei machen können, nämlich der Tob. Dem braven Könige verdanke ich meine Freiheit! — „Erzähle, erzähle," schrie nun abermals Alles durcheinander, laß den Wagen zu Hause fahren. ,,Ja," rief der Patron, „dies muß ich erst wissen; wir wollen uns hiec sämmt'ich in den Hohlweg lagern. Kutscher fahre nur zu Hause!" Alle, und selbst die Frau General-Superintendentin, auf welche noch Niemand geachtet hatte, warfen sich also auf einen Divan von F lvkmnniel und Schaafgarbe nieder und hielten sämmt- lich ihre Augen nur auf den jungen Mann gerichtet, der sich die Thränen mit dem Aermel abwischte und daraus also begann: „Wie schlecht es mir ergangen und waS ich aus- gestanden habe, daß ich meinen lieben Eltern und Geschwistern keine Nachricht geben konnte, noch durfte, brauche ich nicht zu erzählen. Meine einzige Zuversicht blieb Gott, denn hätte ich den nicht gehabt, so hätte ich'S gemacht wie hundert Andere: ich wäre längst desertirt, oder hätte mich um'S Leben gebracht. Aber mein Glaube, der alle Tage au dem schönen Sprüchlein neue Nahrung fand, mit welchem ich Euch in jenerSchreckeusnachi verließ: „wir wissen, daß
denen, die Gott lieben, alleDinge zum besten dienen," hielt mich immer aufrecht in aller Noth.
Da kam eö denn, daß ich als Grenadier gerade heute vor 14 Tagen in Berlin auf dem großen Cvrridoc des königl. Schlosses Posten stand. Ich dachte, wie gewöhnlich, nach Hause, und als ich verzagen wollte, stimmt ich, in der Meinung, daß die benachbarten Zimmer leer ständen, das schöne Lied von Freilinghausen au, welches ich fast alle Tage zu meinem Tröste sang, nämlich, „mein Herz gib dich zufrieden." Als ich an den dritten Vers kam:
Kann's doch nicht ewig währen.
Oft hat Gott unsre Zähren Urplötzlich abgewischt.
Wenns bei uns hieß: wie lange Ward mir so angst und bange?
So hat er Leib und Seel' erfrischt, öffnete sich zu meiner großen Bestürzung plötzlich eine Thüre und der Kopf dieser Dame sah heraus.
„Ach die Frau General-Superintendcntia!" sagte der alte Pastor, indem er sich verneigte, „ja nun geht mir Plötzlich ein Licht auf," und zugleich ergoß er sich in eine Fluth von Entschuldigungen, daß ec sie in seiner übermäßigen Freude nicht gleich bemerkt habe.
Aber — entgegnete der gerührte Sohn, sich abermals die Augen wischend, erkennst du diese Dame den» nicht wieder, Vater? — Doch der alte Mann, wie seine Frau, halte das Gesicht längstens vergessen. Nur ein schluchzendes Schwesterchen rief aus: das muß das Fräulein sein, wenn ich nicht irre, von welcher du den Wolf verjagt hast.
Nichtig! crwieberte Karl, und zwar gerade in dieser Gegend, wo wir jetzt so freudig zusammen sitzen. Da es aber schon wieder von allen Seilen rief: „weiter, weiter!" so fuhr er hastig fort, wie folgt: „Sobald ich das Köpfchen auS der Thüre blicken sah, schwieg ich erschrocken stille. Die Dame jedoch kam bald gütig auf mich zu, maß mich vom Kops bis zu den Füßen und sagte endlich : ich wollte meinen Ohren nicht trauen, als ich die schölle Stimme hörte. Aber Augen und Ohren zusammen können nimmermehr trügen; der Herr muß der Pcediger- sohn zu H sein, dec mir vor zwei Jahren den Wolf verjagt!" —
„Ja wohl, ich bin es," cnpiedcrte ich darauf, und erzählte nun mit Thränen, wie schrecklich die Rache Guud- liugs mir mitgechielt. Da wurden auch die Augen dieses meines Engels feucht, welchen der barmherzige Gott mir in der Fremde zugefchickc. „Der Herr hat mich von derrr Wolfe erlöst," ries sie aus, ich will ihm wieder von dem Wolfe helfen!" und fort war sie in daS Zimmer zurück. Mit hochhämmerndem Herzen stand ich noch da, alS rin Page mit den Worten zu mir trat: Schildwache, wenn du abgelöset wirst, sollst dir in diese Thüre, zu Ihrer Majestät der Königin kommen!
Ich schwelge von der sehnlichen Angst, mit welcher ich den Stundeuschlag' erwartete. (Fons, folgt.)
Auslösung der Charade in Nr. 58 - Nachtlicht.