konnte dem Schlaf nicht tviderstehen und nickte vorwärts und rückwärts.
Sebulon sah die Gefahr seines Bruders, und nun war das Sprechen an ihm. „Kaspar," sagte er, „streck' Dich und. schlaf. Du versäufst mir sonst: ich will wachen und Dir Musen, wenn sich eine Rettung zeigt."
Das ließ sich der Andere nicht zweimal sagen, sondern fiel vornüber auf den Bauch, legte die Arme unter ! den Kopf und fing an zu schnarchen. Sebulon kroch leise zu ihm, nahm die wollene Decke, die nun ganz trocken war, von seinen Schultern und legte sie vorsichiig über den Brüder hin.
Noch eine Stunde verfloß, da meinte Sebulon , es gehe langsamer. Er sah sich um und hätte beinah laut aufgeschrieen vor innerem Jubel. Denn er bemerkte deutlich, daß die Hauptströmung jetzt rechts von ihnen sich hinabwälzte, während sie selber in ruhigerem Wasser auf einen schwarzen Strich zutrieben, der ein User zu sein schien. Als ec dies Alles überschaut hatte, weckte er den Kaspar.
Dieser richtete sich auf, rcckre sich und sagten „ja, die Gegend kenn' ich. Das Schwarze ist ein Damm, vor welchem stilles Wasser sein wird. Erreichen wir den, dann können wir auf ihm fortgehen bis auf's höhcrlie- gende Land."
Sie tranken in der Freude noch einmal mit einander, und Kaspar gab dem Bruder die Decke wieder. Auf einmal aber ries er: „wie kommt's denn, daß wir so schnell treiben, wenn doch ein Damm vor unS ist?"
Er erhub sich auf seine Füße und sah scharf vor sich. „Nun sind wir verloren," sprach er leise, „der Damm hat einen Niß und wir sind gerade in der Strömung, die auf den Niß zugeht. Merkst Du, wie es schnell reißt und immer schneller? Dort schäumt schon die wüthende Fluth: chic stoßen an und sind hin!"
Und so war cs. Rascher als ei» Dampfboot schoß das Thor auf die schmale Dammöffnnng zu. „Roch fünf Minuten,"' sagte Kaspar und kniete nieder wie ein Verdammter vor dem Henkerbeil — „noch vier — nun keine drei mehr."
Aber Sebulon sah nicht mehr aus daS Loch im Damme, sondern auf den Kaspar, und sagte laut und fest: „Bruder, sollen wir denn als Feinde vor Gotieö Richtcr- Kuhl treten-?"
Da brach dem Kaspar das Herz, und mit dem Ruf: „Bruder vergib mir," sank er in Sebulons offene Arme. Der aber ries: „so wollen wir sterben!" Zmn erstenmalc seit vier vollen Jahren fühlte jeder sein Blut wieder warm durch die Glieder rollen, zum erstenmal wieder Thränen der Wonne auS den Augen rinnen. Dicht vor dem Tode waren sie glücklicher als je, weil jeder wieder ein liebend Herz an dcm seinigen schlagen spürte.
Ern heftiges Schaukeln riß ihre Lippen auseinander. Beide sahen nach dcm Damrne zu und erwarteten den Tod —> aber da war kein Damm mehr. Staunend blickte Kaspar rückwärts — siehe da lag der Damm schon hinter ihnen: im Augenblick ihrer Versöhnung war der Tod au hhuen vorhcigegange.i und ihr Fahrzeug wie durch ein
Wunder recht mitten durch die Ocffnung hingeschossen, ohne rechts oder links anzustoßen. Sie waren gerettet: vor ihnen lag das höhere Land, auf welches die immer mehr sich stillenden Wellen sie langsam hinspülten. Da umarmten sie sich vor Freude noch einmal und ließen sich nun nicht mehr los, bis das Thor unter ihnen sich sacht aus ein weiches Ackerland herausschob.
Arm in Arm gingen sie iu's nächste Dorf, trockneten dasckbst ihre Kleider , und stärkten sich mit --Peiss und Trank. Gerne hätten sie die Nacht da geruht, aber sie dachten au die Angst von Kaspees Fran und Kindern. Kaspar ver- kaufte fein Schennenthor, Sebulon die wollene Decke, etwas Geld hatte jeder außerdem bei sich, und so machten sie sich auf die Beine.« Alle Landstraßen waren überschwemmt, sie mußten Umwege über die Gebirge suchen, und aus der Strecke, , die sie in acht Stunden durchfahren hatten, wurden drei Tagmärsche. Aber sie kamen ihnen nicht so lang vor als die acht Stunden; denn in diesen drei Tagen, die ihnen so recht einsam geschenkt waren, tauschten sie nun Alles uns Jedes aus, was beide in vollen vier Jahren durchlebt hatten; die Herten wuchsen fest wie ehemals zusammen, imd sie machten Pmue, wie sie's mm daheim eümchten wolllen zu gegenseitigem Glück. In der letzten Stadt vor ihrer Hclmack) aber gingen sie znm No- tarins, und Lebuon vernichccle das dort niedcrgelegte Testament.
So kamen sie spät am dritten Abend im Dorf an und schritten aus ihr Erbgut zu. DaS Wasser war im Ablaufen; die Pappeln mit ihrer Mauereinfassnnz und das neue Hans, also gerade die Zankäpfel, waren ohne alle Spur verschwunden; mir das Elternhaus stand noch fest und unerschüttert. Kaspar blieb ein wenig zurück; Sebu- lon aber schlich sich au die Ecke des Hauses und sah die Schwägerin mit den Kindern verzweifelnd auf dec Stelle ihres früheren Ucbermutheö sitzen, die soeben von der Fluth ihr wieder cingeräumt wurde. „Betet," sagte sie zu den Kleinen, „für den Vater, denn hier riß ihn die Fluth fort; betet aber auch," fuhr sie zu den ältesten Kindern fort, „für die Mutter, denn ich habe den Vater ge- tödtet und den armen Schwager Sebulon auch."
„Mick nicht," rief der Sebulon, und trat vor. Die Kinder, alles Haders vergessend, hingm sich an ihn. „Und weil Ihr, liebe Schwägerin, Reu' und Leid tragt, so schenkt Euch Gott noch mehr wieder, und weil Ihr auch an den Sebulon denkt, bringt der Euch den Mann wieder nach Hauö."
Ta kam auch der Kaspar hinter der Ecke her, und die Frau schloß ihn in den einen und den Sebulon in den andern Arm. Der aber sagte: „Kinder, wir haben eine gute Lehre bekommen diese vier Jahre her, und hätte es noch einmal vier Jahre gewährt, so konnten wir den Bettelstab in die Hand nehmen. Jetzt aber zwingen wir's noch. Morgen fangen wir zusammen die neue Krippe zu machen an. Ein neues Haus braucht ihr nicht: kommt nur wieder zu mir: was mein ist, ist euer und eurer Kinder!"