Pracht. Re sie umgab, blitzte nur darum in ihren Augen, um sie es ja nicht vergessen zu lassen, daß sie^das Eigenthum einer Andern sei; je härter man Olga behandelte, desto mehr bemühte sie sich, keinen Tadel zu verdienen; und bisweilen ermüdete ihr sanftes Benehmen die Härte ihrer Gebieterin, welche bei guter Laune zu ihr sagte:
„Olga, wenn Du nicht so linkisch wärest, so würde ich mich an Deinen Dienst gewöhnen."
TaS junge Mädchen bemühte sich, zu lächeln, dankte ihrer Herrin für ihre Gnade und betheuerte, daß sie sich glücklich fühle, wenn sie nicht mißfalle. Hatte aber diese Dame Anfälle von übler Laune, so überhäufte sie Olga mit Schinähreden, gebot ihr, die Augen niederzuschlagen, wenn sie bei einem Spiegel vorübcrgehe und sagte ihr unaufhörlich, dTiß ein Wesen ihres Standes geschlechtslos sei, und keinen Gedanken haben dürfe, der nicht ihren Dienst betreffe. Ost empfing oder erwiedcrte Madame Barnel Besuche, um der Langweile zu entgehen, die auf ihr lastete. Dies waren die Stunden der Ruhe für das arme Mädchen. Es schloß sich alskaun in seine Kammer ein, legte das Gewand der Sklaverei ad, zog seine ärmlichen Dorf- kleider an und lebte in seinen Erinnerungen. Ihre Mutter, ihre jungen Gespielinnen, die Spiele ihrer Kindheit und vorzüglich Iwan traten vor ihre Seele; aber ein Zug an der Klingel unterbrach plötzlich ihre süße Träume und in einem Augenblicke war das hübsche Dorfmädchen wieder eine Leibeigene in einem vornehmen Hanse. Sie sagte bisweilen zu sich selbst: „Meine Mmter weiß nicht einmal, ob ich noch am Leben bin; Iwan ist vielleicht umgekommen; wenn ihn Gott am Leben erhält, so ist er darum doch sür Olga todt." Nun weinte sie bitterlich und ihre Zerstreutheit zog ihr harte Verweise zu.
Eines Tages faßte sie den Entschluß, Hunger zu sterben; sie hing Zwan'S Ring an ihrem Herzen aus, kniete nieder und bat Gott um Kraft, dieses letzw Opfer zu vollbringen. Je anhaltender sie betete, desto heiterer wurden ihre Gedanken; sie schämte sich, daß sie alle Hoffnung aus die unendliche Bamherzigkeit aufgegeben habe, und erleichterte ihr Gcmnth durch einen Strom von Thränen. Als sie sich von ihren Knicen wieder erhob, fiel ihr Blick auf ein Zeitungsblatt; sie nahm es und besah es lange. „Ach! wenn ich lesen könnte," rief sie aus, „so wüßte ich Alles, was bei dem Heere vorgeht;" und wie von einem begeisternden Gedanken ergriffen, setzte sie hinzu:
„Ich werde lesen lernen! es muß mir gelingen!..."
Diese Hoffnung erhielt sie aufrecht und die Schwierigkeit spornte ihren unabänderlichen Willen noch mehr an. Sie sann lange darüber nach... plötzlich hörie sie aus der Straße die Nationalmelodie: In Alolockniin (Ich
bin eine junge Zigeunerin); sie öffner leise das Fenster und siebt einen herumziehenden Sänger, um den sich einige junge Mädchen drängten. Tie Musik hak für die Russen einen mächtigen Reiz; fast alle ihre Weisen haben einen melancholischen Charakter. Die Lieder eines Sklaven gleichen einer Klage und die Poesie deS Nordens hat in ihrem Nationaltypus etwas Tüsteres und Verhülltes, wie seine
Institutionen.
Olga eilt die Treppe hinab, sucht mehrere einzelne
Blätter aus, macht Zeichen an dieselben, um sie nicht unter einander zu bringen und geht voll Freude unter dem Ausrufe wieder hinauf: „Gottlob! ich werde lesen lernen!" Sorgfältig verbirgt sie ihren Schatz, diese Liebeslieder, welche ihr später von Jwan'ö Schicksale Kunde geben sollen.
Als die Nacht hereingebrochen war, zündete sie ihre Lampe an, kniet auf ihr Lager, nimmt ein Blatt und bemüht sich, auS den Buchstaben die Bedeutung der artikulieren Töne, die sie auswendig weiß, hcrauszusinden. Anfänglich verwechselt sie die Zeichen; ihre Begriffe verwirren sich; sie will es aber durchsetzen; sie fühlt, daß cs ihr gelingen werde, und schläft mit dieser Hoffnung ein.
In der folgenden "Nacht nimmt sic ibre Aufgabe mit demselben Eifer und derselben Beharrlichkeit wieder vor. Sie glaubt einiger Wörter gewiß zu sein, sie sucht in den verschiedenen Versen die Ausdrücke, die sich wiederholen, und findet sie mit einer unaussprechlichen Freude. Der Reim steht ihr auch noch bei ihren, der Reihe »ach auf einander folgenden Entdeckungen bei, und es wird ihr klar, daß die nämlichen Töne durch die nämlichen Zeichen dargestellt werden; die Analogie ist ihre Stütze und ihre Führerin.
Endlich hat Olga nach einer ununterbrochenen Anstrengung von 20 Nächten eine Seite entziffert: Olga kann lesen!... Von jetzt au hat sie den Schlüssel zu allen menschlichen Kenntnissen; Olga'S Ehrgeiz beschränkt sich aber nicht mehr darauf, in einem Zeunngsblatte zu lesen. Von diesem Augenblicke an geht in der Seele dieses jungen Mädchens eine gänzliche Umgestaltung vo. ; es denkt über sich selbst, über seine Umgebungen nach; es frag: sich, warum es die Vorsehung an die Launen eines eitlen, ungerechten und tyrannischen Weibes gefesselt habe; es fühlt, daß seine Seele nur Gott gehöre und es empört sich bei dem Gedanken an eine herabwüedigende Unterwürfigkeit. Je mehr in Olga das Gefühl ihrer eigenen Würde steigt, desto beengter fühlte sie st b in der Sphäre, in welche sie der Zufall versetzt hatte; sie fragt sich bisweilen seufzend, ob ihre frühere Unwissenheit der Kennlniß ihres Unglücks nicht vorzustehcn wäre. Mitten unter diesen Leiden hat sie sehr süße Genüsse; sie legt sich nun daraus, die Buchstaben, die ihr geläufig worden waren, nach;nzeichnen, und diese Aufgabe kommt ihr weit leichter, als die erstcee vor; ihr Wissen verheimlicht sie eben so, wie ein Anderer ein Vergehen verheimlichen würde; denn ibre Gebieterin würde sich darüber erzürnen und ihr ein Verbrechen daraus machen, daß sie es gewagt hatte, an diesen v.kt >iucr geistigen Emaucipirung zu denken und denselben auszuführen. Sie las, oder vielmehr^ sie verschlang die Bücher, die sie sich zu vctschaffen wußte; vorzüglich das Lesen iee Zeitungen setzie sie mit dem lebhattesten Interesse fori. So machte sie die Liebe, die Ursache ibreS Kummers, durch Befruchtung ihres Geistes, elfinderisch, jenen zu mildern.'
(Schluß folgt.)
Auflösung der Hymonyme in Nro. 2: N ot en.