Madame Labbe kam auf mich zu und fragte mich 'in einem schr ernsten Tone:

Mein Gott! wo kommen Sir her?"

Unglückselige Frage, welche meinen ganzen Zorn wie« der rege machte. '

Ich fühlte mich beleidigt, beschimpft, da cs in Ca- millo's Gegenwart geschah; alle bösen Triebe tauchten wie­der in mir ans. Ich muß es wiederholen, ich weiß kein Wort mehr von Allem, was ich gesagt habe; ungerecht, selbst schrecklich muß es aber jedenfalls gewesen sein, denn ich sah Agathe erbleichen und Madame Labbü laut seufzen.

Von hier an verhüllte ein tiefer Nebel gänzlich meine Sinne und Gedanken. Ob ich in mein Zimmer ging, ob ich meine Koffer packte, ich weiß es nicht. Der Tag endigte bewußtlos, den beiden Frauen verzweiflnngsvoll.

/ Als ich am andern Morgen erwachte, schien die Sonne prächtig und ihre freundlichen Strahlen beleuchteten mein Zimmer. Ich lag in meinem bescheidenen Bette von Nuß­baumholz, sah meinen Tisch von Ebenholz und meinen Spiegel vor mir.' Ich hörte das fröhliche Zwitschern der Vögel, das Knarren der verrosteten Wetterfahne auf dem Gartenhaus und Agathcns frische und liebliche Stimme ihr Morgrnliev singen.

Ein plötzliches Gelächter, demjenigen von neulich ganz ähnlich, schreckte mich aus den süßen Eindrücken, die auf mich eindrangen. Ich öffnete die Augen und wie mit ei­nem Schlage verschwand bei meinem völligen Erwachen das beglückende Blendwerk. Ich befand mich wieder in dem reichen Schlafgemach vom verflossenen Abend mit den dun- kelseidenen Tapeten und der weißen -Bevölkerung von Sta­tuetten. Ein reicher orientalischer Schlafrock war nachläßig auf einen Lehnsessel hingeworfen. Ein loderndes Feuer brannte im Kamin. Dirß war die Wirklichkeit, welche ich einen Augenblick zuvor für einen Traum hielt, nachdem ich vorher den Traum für die Wirklichst gehalten hatte.

Meine Bestürzung verursachte einen lauten Seufzer und ein Geräusch, welches len mikroskopischen Lakai berbeilockte, ter die Vo-.hänge öff.eie und mir Camillo Effenfnß an- mttd.te.

Mein theurer Freund sagte mir, daß daS Gemach, m welchem ich mich jetzt befände, mein Eigeulhnm sei. Am verflossenen Abend habe einer der Gäste den Entschluß ge­faßt, nach Philadelphia zu gehen und mir daS ganze Ameu­blement zu dem Spottpreis von 20,000 Francs verkauft. Das sei fast umsonst, meinte Camillo.

Nebcrdieß harte ich auch noch fünftausend Francs beim Lanzknechtspiel verloren, wenigstens versicherte dicß mein Freund.

Einen Augenblick erschrack ich vor mir selbst und meiner nunmehrigen Lage, beschwichtigte aber diesen trüben Ge­danken alsbald wieder. Stand ich nicht auf dem Punkt, jetzt alle jene Vergnügungen zu genießen, um die ich An­dere bis daher so sehr beneidet Hane?

Mein Herz war von lauter Vergnügungssticht erfüllt, cs Halle kein Winkclchen mehr für Gewissensbisse.

Ta ich in den ersten Tagen nicht wußte, wozu ich meii.en Lakai verwenden sollte, kam ich ans den Gedanken, um mir dadurch zugleich die Langweile zu vertreiben, ihn

lesen zu lehren. Dieser Versuch dauerte aber nicht lange. Ich war der Mann nicht, zwei gute Einfälle in meinen, Leben durchzuführem

Auch sah ich gar bald ein, daß das sonderbare Kind ' so viel Welterfahrung hatte, um den Nutzen, den ihm das Lesen von Büchern etwa verschafft hätte, entbehren zu kön­nen, d. h. sich durch dieselben zu belehren. Flausche war sein Name; er zählte 15 Jahre... ich hätte ihn kaum für 10 gehalten. Es war der drolligste, abgeschlagenste und abgefeimteste Spitzbube, der je gelebt hat, eine wahre Ot­ter. Zudem war er abwechslungsweise tückisch und unver­schämt; immer aber höhnisch. Oft fühlte ich mich aus Mitleiden zu dieser gebrechlichen Mißgeburt-hingezogcn; bald aber überfiel mich beinahe Furcht, so viel Gewalt uizd Ener­gie war in, diesem schwächlichen und krummen Körper vereinigt. Eines Tages fragte ich ihn, wo er denn alle diese Spitzbübereien gelernt habe? worauf er erwiderte: wir Kinder aus der nicdern VolkSklasse werden früh all. Kaum tragen uns unsere Füße, so müssen wir schon unser Brod selbst verdienen und uns selbst vertheidigen!... Wahr­lich!... wenn man vom Elend geleitet wird, lernt man früh. Ich war schon in einer Ziegelhütte, wo ich die Lehmplatten in der Sonne ausstellen mußte; ich war in ei­ner Spinnerei, um die Fäden anzuknüpftn, hierauf schiffte ich mich als Schiffsjunge am Bord eines Sch.ffes ein, das nach Brasilien segelte. Nach Havre zurückgchehrt, habe ick mein Augenmerk auf Paris gericktet. Hier nahm mich ^ ein Engländer in seine Dienste, steckte mich in eine rothe Livree, um ihm bei Tafel zu serviren. Und das ist Al­les!..."

Die Erzählung war von einem Hohngelächter beglei- ! tet, welches mich schaudern machte.

Aber lassen wir jetzi Flameche. Ich lebte nun ge- dankenlos.ohne alle Thäligkeit in den Tag hinein, wie eS dergleichen reiche Tagdiebe in Paris genug gibt. Einen Louiö'dor im englischen Kaffeehaus verzehren, nickt um da­für gut zu essen, sondern um sich dafür ein Ansehen beim Kellner zu verschaffen, von welchem inan deswegen sehr ge­achtet wird; zwei schöne Pferde vor einen leichten Wagen i gespannt, welcher hinter jenen großen Thieren fast wie eine leere Nußschaale auösieht, in den Straßen heruinfahrcii, nicht des Fahrens wegen, sondern nur um Aufsehen zu er­regen, wenn etwa ein gutmüthiger Krämer vorbei geht, der an-die Colonie denkt, oder mit Sehnsucht am das Eine des Monats wartet; unermeßliche Summen an berühmt- Schauspielerinnen verschwenden, nickt des Glückes wegen, sie lieben zu dürfen, sondern um von jenen traurigen Ge­stalte», die in'S Ehejoch gespannt sind und darunter seufzen, beneidet zu werden: das waren die Genüsse und Reize dcS Lebens, chas ick jetzt führte und früher so beneidet hatte.

Zwei Leidenschaften allein waren im Stande, mein Herz noch ein wenig aufznregen. DaS Spiel und ter Maskenball. (Fortsetzung folgt.) ^

Auflösung der Charade in Nro. 91: Geizhals.