ES ist merkwürdig!" sagte er einschlafcnd,ich habe doch heute keinen Samshu getrunken" (ein geistiges Ge­tränke, welches die Chinesen auS dem Reis destilliren).

Als der arme Fischer nach seinem Erwachen sich in einem mit Seide tapezierten Zimmer sah, geschmückt mit kostbaren Gemalten, und als seine Augen die prächtigen Kleider bemerkten, verdoppelte sich sein Erstaunen. Er lief an die Thüre und sah im Borsaal alle Großen des Reiches, die sich ehrfurchtsvoll vor ihm verneigten.

Es ist also kein Traum!" schrie er.

Es ist dem ersten Minister gestattet, vor dem Kaiser zu erscheinen," sagte ein Mandarine,wir, seine Kollegen, wir erwarten ihn."

Der Rath versammelte sich und beriech sich über die Mittel, dem Lande seine Ruhe und seinen Wohlstand zu­rückzugeben. Lieu, dem manche Kenntnisse nicht fehlten und der besonders einen gesunken Mutterwitz besaß, hörte nur mit dem größten Unwillen die zweideutigen Redensarten seiner Amlsgenossen, die daS Elend des Staates zu ver­bergen suchten, oder von denen einer dem andern die Schuld der schlechten Staatsverwaltung zuschob. Als ein Mann auS dem Volke, der sein Brod mit seiner Hände Arbeit ge­wann, konnte der arme Fischer die Lügen unfähiger und nichtswürdiger Minister nicht ertragen, und als der Kaiser nun seine Meinung zu wissen begehrte, schilderte er mit lebhaften Farben das vüstere, aber wahre Bild des Landes, wie es von Steuern erdrückt und den Räubereien der Mäch­tigen preisgegeben, seine einzige Hoffnung aus den Kaiser gesetzt habe. Er griff mit ganz besonderer Heftigkeit das Be.ragen der Beamten an, die einzig nach hohen Stellen trachteten, um sich dann allen Ausschweifungen hinzugeben.

Der Friede und die Verwirrung, sprach er, hängen von den Ministern ab. Die Aemter dürfen nicht solchen anvertraul werden, die nur ihren Leidenschaften dienen, son­dern, die derselben Meister sind. Ehren gebühlcn allein den Weisen und nicht den Bösen."Und das ist eben der Grund," fiel der Kaiser ein,warum ich dich auS niederem Stande zu der höchsten Würde des Reichs erhoben habe. Gut denn! Ich bin mit dir zufrieden."

Hierauf nahm er ihn aus die Seite und erzählte ihm, durch welchen wunderbaren Zufall er, der buckeligte Lieu, zu Hof berufen worden. Lieu wandte ein, ec habe keinen hinlänglichen Unterricht erhalten und daß ec sich nicht der Verwaltung eines Reiches fähig halte. Der Fürst jedoch, zufrieden mit dem gesunden Verstände und der Bescheiden- beit seines neuen Ministers, gab ihm den Befehl, das Heft der Gewalt zu Hauben zu nehmen, und sich desselben mit Nachdruck zu bedienen.

Alles gewann alsbald eine andere Gestalt. Lieu, Tag und Nacht beschäftigt, und die Berichte über das Betragen jedes Mandarinen unermüdet untersuchend, gab der Ver­waltung neues Leben, indem er die Betrüger verstieß und schonungslos strafte und sich mit ausgezeichneten Männern umgab, die b sher in der Dunkelheit ihres Standes ver­borgen geblieben. Begreiflich konnte diese Strenge den Höf­lingen nicht gefallen; cs bildete sich eine mächtige Partei hkgcn den verdammten Buckel, der keinem Lb ren erlaubte

seine Untergeordneten zu berauben. Der Minister verfolgte jedoch, unbekümmert um Spöttereien und Murren, sein Ziel, und fand hinreichenden Trost in den Segenswünschen dcS Volkes.

Eines Abends, als er verkleidet in der Stadt spazieren ging, bemerkte er, daß die Thorwache, trotz dem Befehl, nach der bestimmten Stunde dennoch Jedem das Thor öff­nete. Dieser Mißbrauch war um so gefährlicher, da man jeden Augenblick einen Angriff von Seiten derrothen Augenbrauen" befürchtete, eine Bande von Räubern, die das Land aussaugten und die sich so nannten, weil sie sich die Augenbrauen als Erkennungszeichen roth färbten. Lieu gab sogleich Befehl, daß den Verordnungen Folge geleistet würde, und bedrohte die Zuwiderhandelnden mit scharfen Strafen.

Einige Tage später geschah eS, d -ß der Kaiser, der auf die Jagd gegangen war, die Abendmahlzeit so lange verzögerte, daß die Thore schon geschlossen waren, als er vor der Stadl erschien. Es traf sich nun gerate, daß sein erster Minister in demselben Augenblicke, wo die kaiserliche Leibwache an eines der Thore klopfte, über die Wälle ging, um seine gewöhnliche Runde zu halten. Er trat vor und fragte: wer noch so spet herein wolle.Der Kaiser," erwiderte mit trotziger Stimme ein Soldat, der den Mini­ster nicht erkannte.Der Kaiser," emgegnetc Lieu,ist den Gesetzen unterworfen, so gut, wie der niedrigste seiner Uu- terthanen. Die Tbore zu so später Stunde zu öffnen, ist gegen die Vorschri ten; der Kaiser wird nicht herein kommen."

Das Entsetzen der Hosleute war nicht gering; sie be­trachteten einander voll Erstaunen über das, was sie d e Unverschämtheit eines Parvenüs nannten, während der Kai­ser ungeduldig seinem Pferde die Sporen gab und vor ri t, die Ursache der Verzögerung zu erfragen. Man bimer- brachle ihm die vntwoet des Ministers noch mit einigen Uebertreibungen. Der Fürst wurde bleich vor Zorn und befahl auf's Neue, an das Thor zu kl.pfen. Tic Wache aber gab zur Antwort, der Versuch sei vergebens, bei aller Ehrfurcht vor dem Oberhaupte des Reiches werde sie das Thor dennoch nicht vor der vorg schriebenen Stunde öffnen.

Wohlan kenn!" sprach der Kaiser mit bitterem Lä­cheln,wenn die Wachen der übrigen Thore tie Befehle meines Ministers eben so genau erfüllen, so werde ich ge­zwungen sein, entweder nach meinem Jagdschloß znrückzn- kehren oder unter freiem Himmel zu übernachten."

Lien hatte unterdcffen seine Runde fortgesetzt und den Offineeen der drei übrigen Thsre befohlen, die Thore Nie­manden zu öffnen, auch nicht dem Kaiser. Sobald jedoch der erste, an den man sich wankte, beim S chein der Fackeln den gcwlich-rostnfarbenen Sonnenschirm deS Kaisers nut dem goldnen Drachen darüber erkanme, wagte er keinen Widerspruch, und daS Thor wurde geöffnet. Man erzählt sich sogar, er habe die baldige Ungnade deS Ministers schon geahnt und sei daher froh gewesen, durch diesen Ungehorsam leinen Feinden seine Ergebende.t zu bezeigen.

(Fortsetzung folgt.)

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