Lieu, den man wegen eines Fehlers seiner Gestalt gemeinhin den Buckeligten nannte. Er war ein kleiner, thätt'ger und geschickter Mann, von einem fröhlichen Gemüthe und wegen seiner Trefflichkeit in der Musik und seinem Geschick beim F.schfang weiter als zehn Stunden in die Runde wohl bekannt. Auch einige Kenntnisse fehlten ihm nicht und seine Nachbaren sahen ihn wie einen guten Rathgeber an.
So lebte er denn in seiner bescheidenen Stellung glücklich, indem er daS Leben hinnahm, wie eö sich ihm bot und an nichts dachte, als sein kleines Habe zu mehren.
Tie Nacht senkte sich eben hernieder und der Mond glitzerte schon auf den gefirniSleu Dächern der Stadl. Reiche Gondolen kreuzten sich nach alten Richtungen auf den Kanälen; Jeder wünschte nach der drückenden Hitze des Tages einige kühle Lust zu schöpfen. Aus den Barken, die in vielen chinesischen Städten den Armen zur Wohnung dienen, sah man zahllose Menschen, wie sie sorglos ausgestreckt und vergnüglich ihre Pfeife rauchend, das herrliche Bild ihrer Stadt Su--Tscheu bewunderten. Nur Lieu war nicht müßig. Singend machte er eine kleine Barke zurecht für eine dort sehr gebräuchliche Weise des Fischfanges.
„Der Himmel ist klar, hell scheint der Mond," sagte er von Zeit zu Zeit. „Frisch auf! die Nacht wirb ergibig werden." Dann fuhr er in seinem Gesang fort-
Der näch.liche Fischfang, den er Vorhalle, ist seltsam genug; nur bei Hellem Mondschein ist er ausführbar. Zu beiden Seiten eines langen und schmalen Nachens befestigt man in der Länge des Sch ffleins ein Brett, ungefähr zwei Fuß breit, und weiß und sorgfältig gefirnist: so senkt es sich in einer kaum bemerkbaren Neigung auf die Oberfläche des Wassers nieder. Die Fische, die im Mondschein spielen, halten die Farbe des Breites für die des Wassers und springen so getäuscht in den Nachen.
Der kleine Buckel war eben mit seinen Zurichtungen f fertig und im Begriffe abzusahren, als er von einer reichen Gondel, die an ihm vorüoerfuhr, einen Ausruf vernahm:
„Der ist's! Ja der ist's!"
„Verdammtes Portrait!" fügte einer der Leute aus der Gondel hinzu, „daß ick eS auch vergessen habe. Wie j soll ich mich nun vergewisseren, daß er es ist. Wir müf- ^ sen bis Morgen warten." !
In demselben Augenblick näherte die Gondel sich dem ^ Laden des Fischers, und der Mensch, der zuerst gesprochen ! und dessen Kleider einen Mann von Rang vcrriethen, las mit lauier Stimme auf dem Schilde: „Lieu, verkauft Fische von allen Sorte»." Darunter stand die her- ^ kömmliche Versicherung ku llu, das heißt: Erwirb Nie- ^ urand betrügen. >
Lieu glaubte, die Herren seien Käufer, und fing dar- ! um an, seine Waaren ihnen anzuprcisen: „Kaufet! gnädige Herren! kaufet!" rief er. „Nirgends werdet ihr so schöne! und frische Fische finden. Nur bei Lieu könnt ihr jede Sorte haben, von der Wildente mir Kürbissen gefüttert, bis zum oiiu-Uu, diesem delikaten Goldfisch, der dcS Kaisers Tafel zürt."
Ter Unbekannte, nachdem er einige Worte in seine Brieftasche geschrieben, gab indessen seinen Gondoliercn Be
sch! zum Weiterfahrcn; vorher jedoch maß er den ehrlichen Fischer mit einigen forschenden Blicken. Anfänglich wurde dieser von einem so geheimnißvollen Benehmen betroffen, beruhigte sich jedoch bald wieder mit de n Gedanken, daß er keinen Handel mit der Polizei habe und daß er mit Niemanden in Feindschaft stehe und daß die Leute der Gondel auch nicht das Ämchen von Dieben hätten. Unter diesen Betrachtungen ergriff er seine Ruder und rasch ging's fort.
Es ist zehn Uhr Morgens. Lieu, der sich ein wenig ausgeruht hat, legt mit großer Sorgfalt die Fische, die er von seinem nächtlichen F inge hcimgebracht, auf nassen Blättern zurecht. Er singt seiner Gewohnheit nach ein lustiges Liebchen, während er im Kopfe den Gewinn berechnet, den ihm die Fische bringen werden. Da wird sein Kopf auf einmal rvth: sein Lied verstummt. Warum? — er gewahrt auf dem Kanal in der Entfernung von einigen Schritten die Gondel von gestern. Die beiden Unbckaintteu s. ssen ihn aufmerksam in'S Auge, während sic ein Papier betrachten, und der eine von ihnen ruft auf's Neue:
„Ja, er ist'S. — Gewiß er ist's."
„Freilich bin ich's," entgegnet Lieu, aber in einem unzufriedenen Ton," was wollt ihr von mir?"
Der, welcher am Abend das Schild deS Fischers sich aufgeschrieben, macht, ohne ein Wort zu reden, eine höf- li bc Verbeugung, und die Gondel entfernt sich rasch mit mächtigem Ruderschlag.
Hiermit war die Geduld deS Lieu erschöpft; er brach in Schmährrden und Drohungen ans und versicherte seine Nachbarn, er werde sich bei dem Mandarinen des Stadtviertels beklagen — als die verhängnißvolle Gondel am Ende des Kanals erschien. Ihr folgten zwei prächtig geschmückte Barken mit den kaiserlichen Farben. Mandarinen vom höchsten Range befanden sich in den Fahrzeugen, die vor dem Laden des Fischi'ändlerS zu seiner und siner Nachbarn Verwunderung anhi ltcn. Ihr Erstaunen aocr stieg auf's Höchste, als die Ma darinen au die Knie sich niedcrlassend und mit dem Kopf den Boden berührend vor dem kl inen Buckel ihre Reverenz — korv-to>v — inam- ten; dann nach ihren sehr demüthigrn (8vk>in-8o!,iu) Ehrenbezeugungen, denselben einiuden, ihnen zu folgen.
„Wohin denn?" fragte Lieu.
„Nach dem kaiserlichen Pallast."
Vergeblich begehrte der Fischer Aufklärungen, kehrte ein Mißverständlich vor, klagte, daß er der Spieldall ein S schlechten Scherzes sei. Auf ein Zeichen der Mandarinen entkleideten einige nntergcor.nete Beamte ihn seines leinenen K.eideS und legten ihm ein Prachtgewand au. Hierauf wurde ec in einer der großen kaiserlichen Barken auf das Ehrenvollste von dannen geführt. Das Gefolge entfernte sich, während die Znschauec den fabelhaftesten Verinnthungut preiögegcoen zurückbliebcn. (Fortsetzung folgt.)
Auflösung des L-g'gryphS in Nro. 4: Krei d.