Zuerst äu'erte sich dieß mir noch in vermehrter Bit, tcrlcii und in stillem Ingrimm; allmälig aber wurde er im Gefühl seines Werlustes, und da immer und immer keine Nachricht kam, sehnsüchtiger, weicher. Er fing endlich an, zu ahnen, daß er w.hl selbst sein Schicksal herbeige- sührc habe, daß er durch eigene Schuld ein verlassener, einsam dastehender Mann sei, während er ein glücklicher Vater sein könnte.
Einmal kam er besonders ergriffen anS der Kirche zurück. Ter Pfarrer hatte vom verlorenen Sohne, seinem ehrlosen Dienen in der Fremde und sein m Darben eindringliche Morte gesprochen. Nun schwebten unaufhörlich dem nnglücknchcn Vater die Bilder seiner Söhne vor, wie sie draußen darbten, vor fremden Thüren bettelten und den harten Vater anklagten; sie Hanen sich ja nicht muthwillig, wie der verlorene Sohn, loögerissen, nein! vom Vater selbst waren sie so tgctrieben worden ans dem Valerhanse.
Still und nachdenklich ging der alte Mann nn Hause umher, zog dann plötzlich seinen S.mntagsrock an und wunderte hinüber nach Mnßbcrg dem Pfarrhause zu. Daselbst erzählte er: wie viel er im Stillen gelitten, wie sein Herz geblutet habe, während es hart schien, und rückte dann mit der Bitte heraus: „der Herr Pja rer möchte in öffentlichen A lästern seine Söhne, namentlich seinem jüngsten, gegen den er sich am meisten vorzuwerfen habe, zur Heimkehr in's Vaterhaus, zur Rückkehr an's verzeihende, bereuende Vaier- herz anff.rdern."
D-r Pfarrer führte ihm anfangs sein früheres unweises Betragen und sein großes Unrecht zu Gemüthe; als er aber die Dhränen im Vaierange, den Gram in dem tiefgefurchtcn, allen Mcnschcnantlitz sah, so tröstete er ihn, indem er ihn auf die wunderbaren Füg», gen der göttlichen Vorsehung aufmerksam machte, und versprach, seinen Wunsch zu erfüllen, obschon er selbst in diesem Falle wenig Hoffnung hatte.
Einige Wochen nach diesem Vorfall kam ein Brief an den Pfarrer, worin der jüngste Eteckkönig sich entschuldigte, daß er sich an den Herrn Pfarrer wende, indem er nicht wisse, ob seine Aeltern noch leben; daß er in Amsterdam sich befinde und dort sich vcrheirathct habe; daß er eine mächtige Sehnsucht nach Heimath und Aeltern fühle und vielleicht bald einen Besuch im Schwabeuland abstat- tcn werde. — Die Frc..de deS Alten will ich nicht schildern; ihre Wirkung war wunderbar. Er ward gläubiger, gottvertrauender; gegen Mutter, Tochter und 'Nachbarn warb er sauft, gefällig, voll Freundlichkeit; demüihig-stvlz ging er umher, eine hohe Freude leuchtete aus seinen Blicken, die starren, harten Züge bekamen etwas Liebliches. Das frohlockende Vater-, noch mehr aber das Mutterherz ging über, und bald wußten alle Dörfer der Nachbarschaft die frohe Kunde.
Es war im Sommer 1793, als ein eleganter Neise- wagrn zum Staunen der gaffenden Bauern in das Dörfchen Leinfelden einfnhr und vor dem Hause des Gassenwirth Steckkönig anhielt. Heraus stiegen drei Männer und eine schöne Frau. Die Alten glaubten, sieNrä.imen, als sie sich von allen drei Männern mit dein Vater- und Mutternaiiien
begrüßen hörten, als ihre drei verlorenen Kinder an ihre Brust sanken. Die Nachbarn eilten glückwünscheud herbei, das ganze Dorf strömte staunend zusammen, die drei verschollenen Brüder zn sehen, die nach mehreren'Jahren sich so wunderbar wieder zusamm m gefunden hatten. Die zwei älteren Söhne logirten sich sofort bei den Aeltern ein; der jüngste mit seiner schönen Frau nahm seine Wohnung im gastlichen Psarrhause zu Mnßbcrg. Zum Abendessen versammelte sich die ganze wieder vereinte Familie im Pfarrhause, und nach manchem ungeordneten Hin- unv Hcrreden, nach manchem Ausrufe der Verwunderung und des Dankes gegen Gott erzählte der jüngste Sohn seine Geschichte zusammenhängend kurz also:
„Als ich mein väterliches Haus, wahrlich nicht mit leichtem Herzen, verließ, ging ich zunächst nach Heilbronn und Mannheim, und reiste, da sich f.ir mich kein passendes Unterkommen fand, sofort weiter am schönen lRheine hinab, dis ich nach Amsterdam gelangte. Auch hier wollte sich Nichts für mich zeigen, meine Baarschafc war geschmolzen und traue g wandelte ich am Hafen auf und ab, betrachtete die gewaltigen Schiffe mit den vielfarbigen Flaggen, und fast wollte es mich gereuen, daß ich mein schönes Vaterland verlassen habe. — Man mochte mir mein inneres Herzeleid wohl ansehen, denn ein ältlicher Herr frag.e mich freundlich: was mir fehle? Seine Thcilnahme that mir wohl und ich klagte ihm meine trostlosen Aussichten. „Willst du mit nach Ostindien?" fragte der liebreiche Herr. Auf weitere Erkundigung erfuhr ich, daß derselbe Eigen- thümer eines Kauffahrteischiffes sei und im Begriffe stehe, nach Ostindien zu reist». Ich schlug ein und wurde sein Diener und Koch für diese Seereise. Ich suchte durch Treue und Fleiß nicines Herrn Zutrauen zn gewinnen, und es gelang mir in vollem Maße. Noch mehr konnte ich ihm meine dankbare Anhänglichkeit beweisen, als er bald darauf gefährlich erkrankte. Die gefühllosen Matrosen bewiesen wen ig Theilnahmc; desto wvhlt. nender war für den Kranken, der dem Tode nahe zn sein glaubte, meine Svrgfa.l und Pflege. Er machte sein Testament und bedachte mich darin mit einem Legat von 6000 Gulden rheinisch."
„Doch bald gnig es bei dem guren Herrn der Besserung zu, und in Kurzem war er vollkommen genestn. Wir kamen glücklich wieder nach Amsterdam rurück; vom Testa» ment war weiter inner uns nicht die Rede gewesen. Da rief mich mein gütiger Herr eines Tages in seine Eajüic, nahm mich bei der Hand und sagte: „Deiner zärtlichen Sorgfalt und Pflege verdanke il, wahrscheinlich mein Leben; auf den Fall meines Todes waren dir 6000 Gulden bestimmt; liefe sollen dir verbleiben. Willst kn bei mir bleiben und dich mit dieser Summe bei meinem Geschäfte bo- theiligcn, so wird cs mich freuen; willst tu aber > nderswv dein Glück versuchen, so soll dir daS Geld anöbezahlt werden."
„Ich war tief ginührtj; doch konnte ich ihm nicht bergen, daß es mich mächtig zur Heimath ziehe. Er gab mir also 6000 Gulden in Wechseln. — Unser beider Augen wa.en naß beim Abschiede." (Schluß folgt )