Allerlei.

Schnäbel und Zähne.

Die mütterliche Natur, die uns in so mancher Rück­sicht so gut behandelt hat, hat uns hinsichtlich unserer Kie­fer keinen großen beweis ihrer Liebe gegeben. Schon in der Wiege verursacht unS unser erster Zahn Schmerzen; im Alter der Scherze und Spiele bricht mit dem Zahn­wechsel unser Gaumen auf und wir bluten gleich dem See­fahrer, der am Scorbut leidet. Milch- und WeiShciiSzähne bringen unS zur Verzweiflung; aber wie mehren sich erst diese Leiden, wenn wir älter werden, und erst wenn wir den letzten Zahn verloren haben, können wir sicher be­haupten, von Schmerzen befreit zu sein.

Die Menschenfreunde haben lange über diese Unvoll­kommenheit unseres Zustandes nachgedacht; alle Acrzte ha­ben sich angestrengt, ohne etwas zu erfinden, nur das Pa- raguay-Rour erschien als Palliativ. ES zerstörte zwar das Nebel nicht von Grund auS, es verhütete es eben so wenig, aber es milderte eS doch; es war viel und doch so wenig. ES konnte die zukünftigen Geschlechter nicht be­ruhigen. Ta kam ein französischer Arzt, He.r Achille De- roiseau, wohnhaft in Paris, Rue Vivienne Nr. 36, auf einen glücklichen Gedanken. Seit zwanizg Jahren dachle er über das Thema nach, denn so lange war er Zahnarzt, und es ist gräßlich, den Mann in dem Vorwort zu seiner Broschüre das Bekcnntniß ablegen zu hören, daß er mehr Blut als Nero und Caligula vergossen habe. Bei diesem Blme schwur Herr Devoiseau, den Zahnschmerzen nun und für alle Zeit ein Ende zu machen. Es ist vielleicht Leu­ten, die in Paris bekannt sind, begegnet, Abends zwischen sechs und sieben aus dem Boulevard Montmartre einen noch ziemlich jungen Greis zu sehen, mit schwarzen Haareu und auffallend weißen Zähnen in einen, blauen Ueberrock mit breitem Kragen, der die Augen auf das Pflaster ge­richtet, den Zahnstocher im Munde, einher ging, von einem einzigen Gedanken erfüllt, in dem Gedränge isolirt wie in der Wüte, gleich einem dem Laboratorium entkommene» Alchymisten, der in dem Staube des Boulevards den Stein der Weisen finden will. So kam er denn nach und nach zu folgender Betrachtung: Die Zähne der Löwen und Tiger verderben nie, denn es gibt meines Wissens keine Zahn­ärzte unter ihnen; das kommt daher, daß die Zähne der Löwen und Tiger einen Email haben, der zu den Speisen dieser Thiere paßt; unser Email aber wird von der ersten Cotclette angegriffen, die wir nach unserer Entwöhnung ge­nießen; folglich müßten wir den Coielctts und anderen Le­ckerbissen entsagen und beständig Säuglinge bleiben, waS doch aber nicht Jedermanns Sache wäre, und besonders dem andern Geschlecht beschwerlich werden würde. Von diesen Betrachtungen gerietst Herr Devoiseau auf andere, z B. auf den Zustand und die Lebensweise der Vögel. Ec bemerkte sehr scharfsinnig, daß Adler und Geier auch niemals Zahnschmerzen hätien, insonders da sic nur Schnä­bel besitzen. DieS brachte ihn nun so in Harnisch, daß er die Natur lästerte, die den Menschen so unvollkommen erschaffen und ihm den Schnabel versagt hatte.

, So immer mehr von Folgerung zu Folgerung weiter schreitend, gerieth unser Freund in den Laden deS berühm­ten Drechslers Fleury und bestellte bei ihm einen Schnabel von Elfenbein, geiersörmig, mit Haken und Federn versehen. Fleury nahm das Maß und drehte einen Schnabel, der dem ehemaligen Reichsadler Lust gemacht haben würde. Devoiseau schnallte sich den Schnabel an und ging in daS Cafe AnglaiS, um ihn an einem Beefsteak mit Erdäpfeln zu versuchen. Wirth und Kellner prallten erstaunt zurück, die Gäste legten die Journale aus der Hand, aber Alles dieses hinderte unfern Freund nicht, sein Fleisch im eigent­lichen Sinne deS Worts aufzuschnabuliren, sich dann einen Schnabelstocher auSzubitten, und nachdem Alles bezahlt war, sortzugehen, um über das geheime Werk der Verdauung sorgfältig zu warten.

Die Verdauung war gut und Herr Devoiseau schrie in der Freude seines Herzens:Nieder mit den Kinn­laden !"

Hierauf ging er wieder zu seinem Drechsler und bestellte hundert junge Schnäbel von Horn, etwa für Geier von sechs Monaten. Der Drechslermeister hatte Haar auf den Zähnen und hielt sich für mystifizirt. Als er aber die fünf Louisd'or sah. welche der ehemalige Zahnarzt auf den Tisch als Drangeld hinzählte, so machte er sich dran und lieferte die Schnäbel.

In Begleitung dieser hundert Schnäbel begab sich nun Herr Devoiseau nach der Straße Thorigny in daS In­stitut des Herrn Sapolard, dem erst kürzlich ein Kind am Ausziehen eines Zahnes darauf gegangen war, und der deßhald mit Freuden seine Zöglinge zu dem Erperiment hergab, welches ihm sein Freund vorschlug.

Der Tag dieser gastronomischen Schnabelreremonie fand am Donnerstage in Paris statt. Die Eltern der Kinder waren alle eingeladen, und es war ein freudiger Anblick, diese liebe Jugend von zehn bis zwölf Jahren, an Tischen sitzend und kampsgerüstet, zu sehen. Unser Freund Devoiseau hatte ihnen nämlich äußerst geschickt die Schnä­bel angeschnallt und aus ein gegebenes Zeichen fingen die unschuldigen Gäste an, die Speisen aufzupicken, mit einer Geschicklichkeit, die jungen Adlern keine Schande gemacht haben wärre. Die Täuschung war so vollkommen, daß die Mütlec sich einen Augenblick für Eier legende Geschöpfe hielten, und die Väter, indem sie in die Hände klatschten, mit den Flügeln zu schlagen wähnten. Der große Erfinder ließ sich auf einem Federbett herumtragen und die liebe Schnabeljugcnd kletterte aus die Bäume und sang zu seinem Lobe.

Diese Neuigkeit verbreitete sich alsbald in Paris zur großen Freude aller Einwohner, bis aus die Zahnärzte. Die Drechsler können aller Nachfrage nach Schnäbeln nicht mehr genügen, und der Minister deS öffentlichen Un­terricht hatte entschieden, dckß die Schnäbel in den königlichen Kollegien eingcsührt werden sollen. Die Ordonnanz wird nächstens im Moniteur erwarte!, und das Corps der Zahn­ärzte machte sich bereit, dagegen zn streiten, ckentihu« et rostro. (A. Lewalds Europa.)