von dort zur Kirche Bald darauf erschallten die Glocken feierlich durch die sonntägliche Stille, und riefen mit me tallenen Klängen alle guten Christen im Dörflem zum Gebet. Die frommen Landleute kamen mit Wnb und Kind im Festlagkklsive, die Räume der Kirche füllten sich mit Andächtigen, und nun kam auch rinser mackerer Dorf­schulmeister und feiste sich an die Orgel, und rmt mack tiger Hand griff er in die Tasten und begann ein schö­nes Präludium zum Lobe und Preise des allerhöchsten Herrn.

So meisterhaft und gewaltig, so ergreifend und rührend hatte der wackere Schulmeister lange nicht ge­spielt. Er variirte das Thema, Wer »ur den lieben Gott läßt walten, das ihm vom Morgen her noch in Herz und Gemulhe widerklang, und die Orgelklänge rauschten und brauste» bald mächtig wie Mcereöwogen durch die gewölbte Kwchenhalle, halb säuselten und flöteten sie, wie das Flüstern des Morgenwindes in den Zweigen, oder wie Vas Murmeln des WaldbacheS, bis zulezt der Schulmeister in die einfache, schöne Kir­chenmelodie selbst übergieng und init noch kräftiger und fester Stimme als Vorsänger das Lied anstimmte, in welches die ganze Gemeinde mit in den Chor einsiel.

Brav gespielt, wackerer Mann! flüsterte ein frem­der Herr, einfach in einen schwarzen Frack gekleidet, dem Schulmeister zu, als dieser von der Orgel aufstant, um vom Chore aus die Predigt deS Herrn Pfarrers mit an- zuhörcn.

Der Schulmeister erwiderte die freundlichen Worte nur mit einer sanften Neigung des Hauptes und trat auf die Seite. Der fremde Herr beobachtete ihn noch ein Weilchen mit klugem, durchdringendem Blicke und wen­dete dann ebenfalls seine Aufmerksamkeit der Predigt zu.

Der Gottesdienst war zu Ende, die Räume der Kirche wurden verlassen, und zulezt ging auch der Schul­meister. Es war halb elf Uhr. Um elf Uhr kamen ei­nige Knaben, die sich still auf die Schulbänke in der Stube sezten, und auf einmal auch der fremde Herr im schwarzen Frack.

Ich störe doch nicht? sagte er höflich oder wol­len Se in der Tvat heute, am Sonntage, Schule hal­ten, mein Freund?

Nur ein Stündchen, lieber Herr! erwiderte der Schulmeister. Manche von den Kindern können im Som­mer nicht zur Schule kommen, weil sie draußen auf dem Felde den Eltern helfen muffen, und da bleibt denn, wenn sie nicht Alles wieder vergeff-n sollen, was sie im Win­ter gelernt haben, nichts weiter übrig, als den Sonntag zu Hülfe zu nehmen.

Ist bas Vorschrift, mein lieber Schulmeister, fragte der fremde Herr.

Et nun, ja und nein, erwiderte er lächelnd. Amts­pflicht ists gerade nicht, aber Gewissenspflicht, lieber Herr! Ich bin ja dazu da, um für daS geistige Wobl der Kin­der zu sorgen, und ich meine, da könne man nie zu vül thun, wenn man rechtschaffen vor dem Herrn wandeln will.

Ach, Sie sind ein braver Mann! sagte der fremde

Herr mit einem Anfluge von Ueberraschang und Erstau­nen. Wenn Sie erlauben, will ich hier bleiben und dem Unterrichte beiwohnen, ohne Sie zu stören. Da im Win­kel sed ich schon ein Plätzchen für mich.

Er drückte sich im Hintergründe dcs ZimmerS m die Ecke, und ohne weiteren Aufenthalt begann cher Schul­meister nun seinen Unterricht in klarer, schlichter, einfa­cher Weise. Die Kinder waren aufmerksam, gaben rasche deutliche Antworten, und die Stunde näherte sich schon ihrem Ende, als ein altes Mütterchen m,t einem hübschen kleinen Burschen in die Stube trat, der sehr niederge­schlagen aussah und ganz rothe verweinte Augen hatte.

Ach, Herr Schulmeister! sagte sie der Tauge­nichts! Ach, der Taugenichts!

Was denn, Frau Bärbel? fragte der Schulmeister. Was hat denn Ihr Enkel verbrochen? Komm doch ein­mal her, kleiner Hans! Und Eie Frau Bärbel, setze Sie sich, Sie wird müde seyn! Und Du, Hans, gesteh ein­mal, was hast Du der Großmutter für Kummer gemacht? Geschwind heraus mit der Sprache!

Ach, der TaugenichtS, der Taugenichts! wiederholte die alte Großmutter ein Vogelnest hak er ausgenom­men! Hab es ihm immer verboten! Hat auch Schläge gekriegt! Soll aber noch mehr gestraft werten, der Tau- geuichlr! Ein Vogelnest ausrunehmeu! Die kleinen jun­gen Vögel unbarmherzig vom Mutter- und Vaterherzen rauben! Ach, pfui, Hans, waS für Sünde! Und noch dazu am Sonntage!

Ist das wahr, Hans? Isis wahr? fragte der Schul­meister mit strengem Gesicht.

Ach ja, ach ja doch! stammelte Hans schluchzend und mit Thränen. Ader aberdie Großmutter. . .

Genug, Hans! Wir wollen das nachher untersuchen, wenn die Schule vorbei ist, unterbrach ihn der Lehrer. Bald wirds io weit seyn. Stelle Dich indeß daher ans Pult! So! Und Sie, Fcau Bardel, warte Sie eS ab! Dcr Hans ist sonst so schlimm nicht wenn er aber gefehlt hat, soll er auch gestraft werden! Und nun weiter!

Hans schluchzte still die Großmutter saß ruhig auf der Holzbank und der Schulmeister sezte mit ruhi­ger Gründlichkeit seinen Unterricht fort, bis die zwölfte Stunde verkündigte, daß er zum Schluffe ecken muffe. Er klappte fein Buch zu, und wendete sich wieder zum kleinen Verbrecher, der unter Zittern und Zagen sein Urtheil zu erwarten schien.

Nun Hans, sagte er, nun erzähle einmal, wie es mit dem Vogelneste zugegangen ist. Aber die Wahrheil! Du weißt, daß ich nichts so sehr hasse, als die Lüge, denn die Lüge ist Sünde, und die Sunde ist der Leute Verderben, wie geschrieben steht in . . wo HanS?

In den Sprüchen Salomonis, 14. Kap., 34. Vers.

Gut geantwortet, Hans! Acer nun, wie wars mit dem Vogelneste?

(Fortsetzung folgt.)

Verachtung des Lebens.

Wünschest Du glücklich zu leben, so mußt Du dar Leben nicht achten!

Elend lebet der Mensch, liebt er da« Leben zu sehr,