an dem wackern Schweizer. Sein Verstand war sogar scbon durch Lektüre genährt. Männer dieser Art sind keine Seltenheit in der Schweiz, und oft schon fand ich, seit ich in diesem glücklichen Lande wohne, Werke der Dich­ter und der Weisen in den Händen und in dem Geiste einfacher Landleure. Wie dieses meinem Vater, der für alles Ungewöhnliche enthusiastisch gestimmt war, hinriß und entzückte, können Sie sich denken. Er beschloß, den jungen Mann ganz auszubildeu und zum erwärmenden Lichte den Funken des Genie's anzufachen, der in ihm schlief.

In einer jener traulichen Abendstunden, wo die Her­zen so gerne sich aufschließen, entdeckte der biedere Jüng­ling meinem Vater: Er habe nur darum die Alpen ver­lassen , um im Auslande bei höherem Erwerb besser im Stande zu seyn, seine guten Eltern, die allmählich dem Greisenalier sich nähern, zu unterstützen. Mein Vater war gerührt, bor ihm zur Erfüllung dieser schönen Pflicht zehn Dukaten an, aber mit einer Festigkeit, die durch nichts erschüttert ward und beinahe an Eigensinn überzugehen schien, lehnte er dieses Geschenk ab. Glut im Angesichte sagte er: um das höchste Vergnügen, das ich kenne, würde ich mich betrügen, wenn ich meinen Eltern etwas senden würde, das nicht ich verdiente. AUmosen ist nur Wohl- lbat für jene, denen es an Kraft gebricht, zu erwerben. Noch dm ich, noch sind meine Eltern nicht in diesem Falle.

Mein Vater hatte vieles von ihm erwartet. Aber dieser Zug überraschte ihn doch, und vollendete den Ent­schluß, die Disharmonie zwischen den Talenten und dem Schicksale Wagners, so nannte sich der junge Schweizer, aufzulösen. Von diesem Augenblicke an war er nicht mehr der Bediente, sondern der Zögling, der Tischgenosse meines Vaters, Aufseher über seine Büchersammlung und endlich sein Gebeimschreider. In wenigen Monaten lernie er, was der Schneckengang des Unterrichts gewöhnlichen Menschen in Jahren kaum einprägt, und bald blieb ihm selbst im Aeußern von seinem früher» Stande nichts mehr übrig, als eine schüchterne, aber edle Bescheidenheit, die seinen Werth, wie ein leichter Flor die Reize eines schö­nen Gesichts, noch mehr erhöhte.

Wir saben einander nun täglich, theilten einander unsere Bemerkungen, unsere Ideen und Einfälle, unsere Empfindungen mir, und der Einklang unsers Geistes und unserer Herzen, der in jeder Rede wiederhallce, schuf mir ^ unnennbare Seligkeit, Nie noch hatte ich einen Mann ^ gesehen, in dessen Gesellschaft mir so wohl und leicht, des­sen Abwesenheit mir so unangenehm, so folternd war. ^ Ich Härte meinen Todfeind umarmen mögen, wenn Wag-! ner bei mir war, und ich hätte eine Schwester gehaßt, j die ihn mir zehn Minuten entzogen hätte. Meine Stunde mar gekommen. Ich liebte

Daß Wagner nicht minder warm für mich fühlte; daß auch ich mir der Allgewalt der Liebe in seinem Her­zen thronte, dies sagten mir seine Blicke, seine Bewegun­gen, wenn er sich mir nahcrre oder durch ein Ungefähr meine Hand berührte, der zitternde Laut seiner Stimme, die wechselnde Glut und Blasse seiner Wangen, wenn unsere Gespräche aus Freundschaft und Liebe fielen.' Ader nie verrieth die Lippe das Geheimniß. Ich war glücklich genug im Gefühl, zu lieben und geliebt zu werden. Aber ich war auch stark genug, meiner Leidenschaft zu gebieten, daß sie nicht in Schwachheit oder in Sturm yusglfirete, z

und, was mir nicht minder wichtig war, dem Scharf­blicke meines Vaters unerforschlich verborgen blieb. Eine Wollust, die ich nicht zu schildern vermag, lag für mich in dem Gedanken: da mit unerschütterlicher Festigkeit mein Herz beherrschen zu können, wo selbst Männerstärke den Sieg nicht errungen hätte, und, daß es größer sey: Vor- urtheile, die das Band der Gesellschaft Zusammenhalten, nicht zu verletzen, als über sie mit Knabenleichtsinn hin­weg zu hupfen.

So lebten wir zwei glückliche Jahre. Meine Liebe glich einem jungen Baume, der immer mehr erstarkt, je mehr des Gärtners kundige Hand die üppigen Auswüchse abschneidet. Aber noch immer hatten wir nicht durch ein Geständnis' die Kluft überschritten, die der Unterschied deS Standes zwischen uns gelegt hatte.

Jezt starb mein Vater, als wir eben auf das Land gezogen waren. Wagner weinte in meinen Schmerz Thrä- nen des tiefsten Kummers. Auch ihm war der Bieder­mann, der mit dem Adel der Geburt den höhern, durch keinen Umschwung der Dinge zerstörbaren Adel der Seele verband, Vater und Freund gewesen. Wir begruben den ^ Edlen nach seinem Befehle in eine duftende Gcisblattlaube ! des Gartens, die sein Lieblingsplätzchen, der verschwiegene I Zeuge mancher schönen Herzensihat gewesen war.

Jeden Abend saßen wir, Wagner und ich, mit ei- ! nander an dieser heiligen Stelle. Unsere Empfindungen,

> unsere Gespräche nahmen einen höhern, feierlicher» Schwung.

. Aber sogar in diesen Weihestunten des Gefühls, die so

allmächtig zu Ergießungen Hinreißen, geboten wir, nicht ohne Kampf, unfern Lippen. Jedes faßte, jedes kannte die Leidenschaft des Andern, und jedes bog einer Erläu­terung, wie dem Geständnisse eines Verbrechens gegen die Heiligkeit gesellschaftlicher Verträge, aus. Oft unterhiel­ten wir uns indessen über diese Gegenstände, die für uns» in unserer Lage, unserer Stimmung so hohes und tiefes ; Interesse hatten. Zuweilen entschlüpfte mir ei» Wort,

! das die Bemühungen unserer Zeitgenossen, das alternde

> Gebäude der Konventionen in seinen Grundpfeilern zu er­schüttern, und die Scheidewand zwischen den verschiedenen ^ Ständen zu zerreißen, entschuldigen wollte. Aber mit - Geist und Kraft widersprach mir Wagner immer, bis er ! mich überzeugt und, wie er sagte, in das Gleiße der bür­gerlichen Ordnung zurückgeführt hatte. Allein kaum halte er seinen Zweck erreicht, so stiegen kummerverkündeude, trübsinnige Wolken auf an seiner gedankenvollen Stirne. Er riß den Faden der Unterredung ab und gleitete auf einen andern Gegenstand hinüber. Leicht faßte ich die Ursache, warum der edle Jüngling gegen Meinungen kämpfte, die ein gewöhnlicher Mensch in dieser Lage sorgsam ge­pflegt haben würde. Es war ein Opfer, das sein großes Herz auf den Altar meines Glückes, meiner Ehre legte. Sprach ich mit ihm von seinem Vater, vom Genüsse der Seligkeiten der Naiur und deS einfachen Landleben-, ver­flocht ich in meine Schwärmereien den Wunsch: in einer Alpenhutie zu wohnen, meinen Kobl selbst zu pflanzen, meine kleine Heerte selbst zu weiten und zur Einfachheit der ersten Weltalrcr zurückzukehren, dann sprach er mit Feuer von den Vorzügen meines Standes, von meinen Verhältnissen, meinen Verdlndlichkeiten, und erröthend mußte ich schweigen und den Mann anstaunen, der durch diesen einzigen Zug schon sich geadelt und zu meinem Stande empor geschwungen harte.

(Die Fortsetzung folgt.)