mit Haarzöpfen haben keine Ahnung von der Wichtigkeit ver Auswanberungssrage.
Mir seltsamer Krankenbesuch.
(Fortsetzung.)
Vier Jahre waren verstrichen. Brongtwcll war nicht mehr praktischer Arzt, er war Doktor i» der City: Die goldenen Traume der Zukunft, die ihm in jener Nacht ganz besondere- zugeläckelt hatten, waren, ein seltener Fall, in Erfüllung gegangen. Er maß nicht mehr das Stra- ßenpstaster, sondern ein leichter Phaeton trug ihn mit Blitzesschnelle zu seinen Patienten; er wohnre nickt mehr in-Hinrerhause der Farringlvnstraße, sondern in der Bolle- Etage von Ludgate-Hill; er saß nicht einsam mehr auf zerbrechlichem Sessel am Kamin, sondern Mißtreß Mary Brvnqtwell, seine liebe Gemahlin,, wiegte stch an seiner Seile ans elastischem Sopba. Aber so sehr ihn auch daS Glück begünstigt hatte, so erinnerte er sich dock oft lebhaft jenes sonderbaren Ereignisses in Walworkh, dessen Einzelnheiten ihm selbst noch ein Räthsel waren.
Sobald nämlich die Frau an ihm medergesunken war, traten zwei Männer in daS Zimmer und bedeuteten ihm, ihnen zw folgen. Er versuchte es ,, nach dem Schicksale der Unglücklichen zu forschen, man antwortete ihm nickt. Ohne ihm zu erlauben, der Ohnmächtigen Hülfe zu leisten, wurde er zur Thüre hinaus und die Treppe hmabg-ezogen. An der Hausthure drückte ihm derjenige, welcher sie ihm vor eine Stunde geöffnet hatte, zwei Schillinge in die Hand mit der Bemerkung, seines Weges zu gehen und niemals mehr hieher zurückzukehren.
Dessen ungeachtet begab sich der junge Mann schon des folgenden,Tages wieder nach Walworth. Das gram- gefurchre Antlitz der armen Krau war wahrend der ganzen Nackt vor seiner Seele gestanden; die zerrissenen Zuge, obgleich er sie zum ersten Male gesehen, sckienen ihm so bekannt, so anziehend, daß er um jeden Preis nähere Nachrichten über ihr unglückliches Schicksal einzuziehen beschloß. Und wieder hatte er sich durch alle Unannehmlichkeiten bis zu jenem Hause hintnrckgearbeitet und wenn auch nicht minder bewegt, doch weniger besorgt, klopfte er wieder an die verschlossene Pforte. Der Kopf eines schmutzigen alten Weibes lugte durch eine Spalte des Fensterladens und forschte nicht allzu freundlich, was er wünsche. Brougtwell suchte ihr, so gut als es ihm möglich war, zu erpliciren, daß er die schwarze Frau zu sprechen wünsche, die er gestern besucht habe. Aber weder ferne Höflichkeit, noch spätere Drohungen und Grobheiten konnten das Weib zu einer genügenden Antwort bewegen. Fhre stete Erwiederung, war, daß sie nickt wisse, was er wolle, daß nock niemals eine scbwarw Lame in ihr Haus gekommen sey- und ebenso, daß sie ihnwetcr gestern, noch jemals gesehen habe; Er mochte wollen oder nickt, er mußte damit zufrieden seyn und unverrichteter Sache zurückkehren. Bald ließ ihn seine sich mehr und mehr vergrößernde Thatigkeit die Sacke gleichgültiger betrachten, und obgleich er sie nicht- vergaß, so gab er sich doch auch keine Mühe mehr, ihr gewaltsam auf den Grund zu kommen.
Wie wir bereits erwähnt, Brougtwell war nach Ver-, lauf von vier Jahren ein geachteter Arzt der City, ein l glücklicher Gatte und Väter. Eines Tages kehrte er wie gewöhnlich gegen Abend von Krankenbesuchen heim» als ihm ^ Tom, sein treuer. Eehülfe von ehemals, an der Hausthure z
entgegentrat unk ibim berichtete, daß vor- einer-' Stunde ein Diener des Irrenhauses zu Deptsord den Herrn Doktor zu einem schleunigen Besuche eingeladcn habe; nicht sin einer Hülfeleistung, sondern weil eine Sterbende in ihren letzten Augenblicken ihn noch einmal zu sehen und ;u sprechen wünsche. Ein solcher Wunsch war dein guten Brougtwell heilig. Er ließ unverzüglich »mwcnden und kurze Zeit darauf hielten die schnaubenden Rosse an dem- bczeichneten Orte.
Man schien ihn erwartet zu baden, denn er wurde schnell nach dem Krankenzimmer geleitet. Es öffncre sich ihm ein enges Bchaltniß, ohne sonstige Mobilien, als ein dürftiges Lager, auf dem die Kranke lag, und einen Stuhl, der aber bereits von dem-Geistlicken des Oris besetzt war. An den Wänden hingen jedoch Kelten in eisernen Ringen und gaben den Beweis, daß der Zustand der Kranken oft nur durch solche Mittel hatte gebändigt werden können. Brougtwell warf einen Blick aus die leidende» Ge- sichiszüge und so gräßlich sie auch jetzt entstellt waren, so erkannte er doch eben so schnell die der Fremden von Walworkh wieder. Auch ihre Blicke begegneten jetzt den seinigcn; eine freudige Regung erbeiterte sie momentan, dann wandte sie sich mit leiser, besserer Stimme zu dem Prediger und bat ihn, sie. mit Herrn Brougtwell allein zu lassen.
Als dieß geschehen war, reichte sie dem erstaunten jungen Mann die abgezehrte Knochenhand. Sie sind mir Recht erstaunt, mein Herr, über den seltsamen Wunsch . einer Person, die Sie vielleicht niemals im Leben gesehen haben. Oder sollten Sie sich koch noch meiner erinnern^ können?
^ . Brougtwell hatte tbeilnehmend an ihrem Läger sich l niedergelassen und erwiederre: Wer sollte die Züge eines ^ Gesickis vergessen können, das sich unter seltsamen Um, stänken und Verkettungen, rasch und schnell vorübergehend, in das Leben eines Menschen drängle? Sie sind die Fremde von Walworth, nach der ich vier Jahre lang vergebens spähte und forschte, und die ick jetzt an einem Orte sinken muß, wo ich sie nimmermehr gesucht häkle.
Ich bi» es, Herr! sprach die Kranke, schwer ans seufzend. Sie sagen, ich- sey rasend gewesen,, ftigcc sie m». hohler Stimme hinzu.
Uebergehen Sie dieß, versetzte der Arzt cinlenkcnd. Sie- und sehr krank. aber keinewegs Ihrer Vernunft beraubt und ich bitte- Sie, nur zu sagen, was Ihr Herz belastet.
Ja, ja, das wars?' schluchzte die Arme. Nun so hören Sie. Ihr Vater ist das einzige Kind seiner Eltern gewesen, oder hatte er noch Geschwister?
Er hatte zwar nock eine altere Schwester, entgegnc-c' Brougttvell, allein sie ist bereits seit dreißig Jahren lodr. Dock wozu diese Frage?
Die Kranke antwortete nicht. Mit starren, geistloscw Augen blickte sie in einen Winkel des Zimmers. Endlich fuhr sie hastig auf: Sagten Sie nicht lodl?
Allerdings; sprach der Gefragte. Sie verehelichte sich» einem Offizier der Marine und folgte ihm nach Ostindien-. Drei Jahre nach ihrer Adresse erhielten meine Eltern die Nachricht, daß das Schiff, auf welchem sich, der Schwager meines Vaters befand, bei Neu-Holl and gescheitert uud seine Gattin bei dieser Nachricht an den Folgen einer zu- frühen Geburt gestorben sey.
(Die Fortsetzung folgt.)