Dr. Külz
auf dem Deutschen Stödtetag.
TU Stettin, 20. Sept. Auf öem Deutschen Städtetaq betont« der Reichsinnenminister Dr. Külz, daß auch er sich als ein Treuhänder der Interessen der Gemeinden betrachten wolle. Di« ganze Finanzgesetzgebung sei ja völlig unorganisch gewesen, nun- imehr gelte es aber, ein« organische Entwicklung einzuleiten. Deshalb sei es auch verständlich, wenn man zum 1. April 1927 einen neuen Finanzausgleich noch nicht eintreten lassen kann. Reich und Gemeinden seien sich wohl einig in dem Gedanken, die jetzt kommende Regelung müsse eine endgültige sein. Ferner gelte es, eine endgültige Scheidung der Steuerquellen bezw. eine endgültige Sistierung des Anteils an den Steuerquellen durchzuführen. Weiler handle es sich darum, die Selbstverantwortung der Gemeinden bei finanziellen Entscheidungen wieder herzustellen. Jetzt arbeite man vielleicht unter einer Häufung von Instanzen. Gesetzgebung, Regierung und Verwaltung müßten wieder getrennt und von den zuständigen Stellen ausgeführt werden. Auch ihrem inneren Auf- und Ausbau nach müsse es sich um eine organische Gestaltung der Steuern handeln. So sei z. B. die Hauszinssteuer die roheste und brutalste Steuer, sie mutz daher sozial gerecht und wirtschaftlich erträglich gestaltet werden. Ein Staat ohne eine gesunde Wirtschaft sei nicht denkbar, andererseits sei eine gesunde Wirtschaft ohne einen geordneten Staat nicht möglich, beide müßten vielmehr einander dienen. Zum Schluß der Aussprache über den Finanzausgleich wurde eine Entschließung einstimmig angenommen, der zufolge die Städte erneut eine endgültige Regelung des Finanzausgleichs verlangen. Für Wiederherstellung der völligen Selbstverwaltung der Städte gehöre auch die Gewährung des selbständigen Anteilrechtes an der Einkommensteuer, die zur Gesundung der städtischen Finanzpolitik notwendig sei. Falls der neue Finanzausgleich zum festgesetzten Ternrin nicht zustande komme, müsse den Städten ein Ausgleich für die ihnen in der Zwischenzeit zugefallenen Mehrausgaben garantiert werden. Für die Neuregelung des Finanzausgleichs müßten die Verhältnisse des Rechnungsjahres 1926—27 berücksichtigt werden. Mit der Neuregelung des Finanzausgleichs sei ein einheitlicher und systematischer Lastenausgleich zu verbinden. Aenderungen von Reichs- und Landessteuergesetzen dürften während des laufenden Rechnungsjahres im Interesse einer geordneten Wirtschaftsführung nicht vorgenommen werden. Die gegenwärtige Regelung der Hauszinssteuer dürfe nicht beibehalten werden. Die Einschränkung der städtischen Ausgaben sei nur möglich, wenn die gesetzlich fest- gelegten Pflichten der Städte entsprechend vermindert werden.
Die Reform
des Reichsfinanzministermms.
TU Berlin, 20. Sept. Die „Vossische Zeitung" ist in der Lage, näheres über die Verwaltungsreform des Reichsfinanzministeriums mitzuteilen. Danach untersteht die gesamte Leitung des Reichssinanzministcriums künftig nur noch einem einzigen Staatssekretär. Diesen Posten bekleidet Staatssekretär Prof. Dr. Popitz. Der vorläufig« Geschäftsverteilungsplan des Reichsfinanzministeriums sieht ferner vor, daß aus den bisherigen 10 Abteilungen fünf neue Abteilungen geschaffen werden. Die Abteilung I bleibt die Haushaltsabteilung unter Leitung von Ministerialrat Dr. Lothholz, die Abteilung II erhält die Verwaltung der Zölle und Verbrauchsabgaben unter der Leitung von Ministerialdirektor Ernst. Abteilung III unter Ministerialdirektor Dr. Zarden übernimmt die Verwaltung der Besitz- und Verkehrssteuern. Die Abteilung IV erhält der neu- ernannte Ministerialdirektor Dr. Herbert Dorn. Hier werden sämtliche Rechts- und Prozeßangelegenheiten behandelt werden, ferner die Rechtsentschädigung und Rcichsausgleichsfragen, die Verwaltung der Liegenschaften und aller sonstiger dem Reiche gehörenden Grundstücke, vor allem aber gehört in diese Abtei
lung vir Regelung des Finanzausgleiches. Abteilung V unter Ministerialdirektor Dr. von Brandt übernimmt die Frage des Friedensvertrages und der Finanzen.
Ernste Spannung Rom-Paris.
TU Paris, 20. Sept. Di« Vossische Zeitung will von gut unterrichteter Seite in Paris erfahren haben, daß die französische Regierung in den letzten Tagen beträchtliche Truppenkonzentrationen an der französischen Grenze vorgenommen und eine scharfe Ueberwachung des Erenzverkehrs angeordnet hat. Es sollen in dem französischen Alpcngebiet nicht weniger als sechs Divisionen konzentriert sein. Auch die Armierung und die Artilleriebestände der Erenzfestungen sollen in den letzten Tagen wesentlich verstärkt worden sein. Frankreich verfolgt dabei keinerlei direkte Absichten. Der Zweck all dieser Maßnahmen sei lediglich Sicherung gegen Ueberraschungen von italienischer Seite.
Die Haltung der Pariser Presse.
Auffallenderweise bemüht man sich jetzt, auch in einzelnen Organen der Linken, vor allem auf der äußersten Rechten, die Erregung der italienischen Faschisten gewissermaßen als gerechtfertigt hinzustellen. Man weist darauf hin, daß die „action fran- caise" täglich erkläre, daß die Regierung oder zum mindesten die französische Polizei (!) die Ermordung Mussolinis anstrebe. Ferner betont man, daß die Organe der Linken, die nicht aufhörten, den Faschismus anzugreifen, und von der Tribüne der Kammer Mussolini als „Karneval-Cäsar" zu bezeichnen, gewisse Schuld trügen. Andererseits werde aber Mussolini geraten, nicht mit dem Feuer zu spielen, die italienischen Demonstrationen könnten leicht französische Gegendemonstrationen hcrausfordern und das alles könnte gar zu leicht zu einer kriegerischen Verwicklung führen.
Zwischenfall in Venedig.
TU Paris, 20. Sept. Nach einer Meldung aus Rom rissen Faschisten in Venedig an einem französischen Gebäude die Trikolore herunter, nachdem sie vorher in das Hans eingedrungen waren. Die italienis^e Regierung hat die 'sofortige Untersuchung eingeleitet.
K9Ü Haussuchungen und 335 Verhaftungen in Rom.
TU Rom, 20. Sept. Die römische Polizei hat eine Razzia nach politischen Verschwörern veranstaltet, wobei 600 Wohnungen durchsucht worden sind. 335 verdächtige Personen wurden von der Polizei aufgeschrieben und müssen sich zur Verfügung der Untersuchungsbehörden halten.
Italienisch-spanisches Abkommen in der Tangersrage.
TU Paris, 20. Sept. Großes Aufsehen erregt hier die Meldung aus englischer Quelle über die Verhandlungen zwischen Rom und Madrid, die sich vollkommen zü Gunsten der spanischen Stellung in der Tangersrage entwickeln sollen. Mussolini, der sich bisher damit begnügte, den italienischen Standpunkt iy> der Tangerfrage zu betonen, hätte sich nunmehr endgültig auf die Seite Spaniens gestellt. Die am letzten Mittwoch in San Sebastian zwischen Primo de Rivera und dem italienischen Botschafter stattgefundene Unterredung hätte auffallend lange gedauert. Sie wäre von ausschlaggebender Bedeutung gewesen. Einzelheiten über das neue Abkommen, das vollständig die Situation ändern könnte, wären besprochen worden. Der Wortlaut dieses Abkommens würde streng geheim gehalten.
Aus Stadt und Land.
Calw, den 20. September 1926. Dicnstuachricht.
Pfarrverweser Wilh. Binsch in Monakam wurde zum Pfarrer in Sternenfels bei Mühlacker ernannt.
Ausflug dev Ealwer Eemelnderäf».
Vor dem Kriege war es Gewohnheit des Eemeinderaks, ttz jedem Jahr einen Ausflug zu machen, um die Einrichtungen anderer Städte zu besichtigen und die gesammelten Erfahrungen für unsere Stadt nutzbar zu machen. Unter Führung von Stadtschultheiß Eonz wurden mehrere solche Orientierungsausflüg« gemacht. Es wurden dabei städtische Einrichtungen und Werke sowie Fabriken und große industrielle Anlagen besucht. Di« Ausflüge nach Ludwigsburg. Backnang. Heidenheim, Ehlingen, Kirchheim, Reutlingen und Baden-Baden stehen bei allen Teil! nehmern noch in bester Erinnerung. Während des Krieges wurden selbstverständlich di« Ausflüge eingestellt. In diesem Iah, wurde di« alte Gepflogenheit wieder angeregt und neu ausgenommen. Stadtschnltheiß Göhner übernahm die Vorbereitungen und setzte sich mit den Stadtverwaltungen Urach und Nürtingen in Verbindung. Es war der Wunsch des Gemeinderats, die Albgegend und die beiden Städte kennen zu lernen, die in ihr«, Entwicklung, Größe und Lage viel Aehnlichkeit mit unsere, Stadt haben. Am vsrg. Dienstag fand nun der Ausflug statt. Mit dem Auto fuhren dis Teilnehmer zunächst über Herrenberg, Tisi bingen nach Reutlingen. Hier wurde ein kurzer Aufenthalt genommen und Oberbürgermeister Hepp, der verwandtschaftlich« Beziehungen zu Calw und manche näheren Freunde hier hat, besucht. Im „Schwanen", der Ratsstube von Reutlingen, fand ein gemütliches Zusammensein bei Reutlinger Wein und KLmmi- chern, dem bekannten einheimischen Reutlinger Gebäck, das sich durch seine Größe und Güte auszeichnet, statt. Nur zu bald schlug aber die Abschiedsstunde, da von Urach mehrmals telefonisch angefragt wurde, zu welcher Zeit wir eintrefsen würden. Der Weg führte uns nun nach Eningen, Neuhausen und Dettingen, wo wir unterwegs die herrlichen Berge der Alb, besonders die Achalm und den Roßberg und die fruchtbare Gegend mit ihrem reichen Obstcrtrag vor Augen hatten, und um 11 Uhr kamen wir in Urach an. Wir wurden au> freundlichste von Stadtschultheiß Eerstenmaier empfangen, worauf wir sofort die neuen Siedlungshäuser an der Erms im Erabenstetter Tälchen, dis Turn- und Festhalle, den neuen Friedhof mit seinem imposanten, eindrucksvollen Kriegerdenkmal, das Rathaus, das in den letzten Jahren prächtig wiederhergestellt wurde, den Marktbrunnen, ein herrliches Gebilde, die Fraucnarbeitsschule und das Schwimmbad besichtigten. Stadtschultheiß Gcrstenmaier gab bei den einzelnen Schöpfungen die nötigen Erklärungen und bei einem Ileberblick über die Stadt auch Aufschlüsse über die Formationen des Albgebirges. Urach, die Perle der Schwäbischen Alb, bildet mit seiner landschaftlichen Schönheit, mit seiner reichen geschichtlichen Vergangenheit so recht eigentlich das Herz der Schwäbischen Alb. Die Stadt bietet jedem Besucher viel Interessantes. Das alte württembergische Oberamtsstädtchen wird überragt von der Burg Hohenurach. Diese Festung, die wir leider nicht besuchen konnten, fesselt mit ihrer reichen Geschichte den Forscher als Stammburg der Fürsten von Füistenberg als jahrhundertelanger Jagdaufenthaltsort der Grafen und Fürsten von Württemberg und als wichtiger Verteidigungsposten in den Kriegen des 15. und 18. Jahrhunderts. Die Stadt selbst, die in den Zeiten des Grafen Eberhard im Bart ,^des reichsten Fürsten", eine glanzvolle Rolle spielte, da sie ein halbes Jahrhundert die Residenz der Grafen von Württemberg war, hat heute noch Zeugen alter Pracht und Herrlichkeit aufzuweisen: das Schloß als Geburtshaus von Eberhard, die stattliche Amanduskirche mit ihren Sehenswürdigkeiten und von der Größe de« Stiftskirche in Stuttgart, das Rathaus, den Marktbrunnen mit dem idyllischen Marktplatz, die gut erhaltenen Wehrtürme urS das alte Stadttor. Einen prächtigen Anblick gewährten die herrlichen, weithin sich dehnenden Buchenwälder, von denen di« Stadt rings umgeben ist und di« zum größten Teil Besitztum dev Stadt sind. Der obere Teil der Wälder zeigte bereits ein« rötliche Farbenpracht, die einen nie verlöschenden Eindruck her» vorrief. Die Zeit war leider zu kurz, um all die Sehenswürdigkeiten der Stadt und der näheren Umgebung eingehend kennen zu lernen. Wir waren aber von dem Gesehenen sehr befriedig^
Sie saß in ihrer Ecke und hatte einen versonnenen Ausdruck auf ihrem Gesicht, während Wcndtland jetzt immer eifriger sprach, und sie dachte, wie sonderbar es doch sei, daß sie zu ihrer Trauung fuhr, und ihr Bräutigam ihr gerade jetzt nur von seiner ersten Frau erzählte, und daß dabei seine Augen in wehmütig dankbarer Erinnerung an sein verlorenes Glück erglänzten. Aber sie konnte ihm nicht einmal gram sein. Im Gegenteil, die treue Liebe zu der Verstorbenen brachte ihn ihr fast näher, und doch — sie mußte sich zu- ammennehmen, daß sie nicht aufweinte, und wunderte ich fast über sich selbst.
Sie überließ sich ganz dem Schicksal und u^ßte doch — eine Ehe war es eigentlich gar nicht, dem sie entgegenging — der Mann da hatte nur einmal geliebt, und er ahnte wohl gar nicht, welches Opfer er von ihr verlangte und annahm!
„Freiheit!"
„Hält' ich doch fast vergessen — Mädel, nun aber schnell! Herrgott, ist mir die Zeit rasch vergangen! Das kommt, wenn man sich so gut unterhält!"
Sie standen auf dem kleinen Bahnsteig und waren fast die einzigen Passagiere. Es hatte aufgehört zu regnen, aber es lag feucht in der Lust, der Bahnhof glänzte von dem darüber herniedergeslossenen Regen, und der Boden war alatt.
„Guten Tag, Herr Oberförster!"
Der Statiönsbeamte grüßte und sah mit neugierigem Blick aus Lene.
Wendtland schaute auf die Uhr.
„Halb elf! Eine volle Stunde Verspätung. Komm', Kind, es ist höchste Zeit, um elf ist der Termin."
„Aber ich muß mich doch ein wenig zurechtmachen."
„Ja, so — ist ja eigentlich gar nicht nötig. Ist ja doch nur auf dem Standesamt."
„Aber ich kann doch nicht so —"
„Wart' nur — wir nehmen schnell im Hotel Rathaus ein Zimmer, da warten ja sowieso unsere Zeugen."
Sie nahm seinen Arm und er ging mit schnellen, energischen Schritten mit ihr durch die Straßen. Sie mußte sich zusammennehmen, um mitzukommen und auf dem glitschigen Pflaster nicht auszugleiten.
Dann standen sie vor einem alten Bau und traten in ein wenig anheimelndes Vestibül. Das Hotel war fast unbewohnt, da zu dieser Zeit nicht einmal Geschäftsreisende in dem Städtchen verkehrten.
„Bitte, geben Sie meiner Braut schnell ein Zimmer. Also mach' dich zurecht, aber bitte, beeile dich, wir haben nur noch eine Viertelstunde Zeit, und ich möchte doch die Herren nicht warten lassen."
Sie waren die Treppe hinaufgestiegen, und das Mädchen hatte die Tür eines kalten Raumes, der lange nicht gelüftet schien, geöffnet. Lene war schwer um das Herz.
„Ich wollte ein schwarzes Seidenkleid —"
Sie hatte es sich in Görlitz neu gekauft, aber Wendtland wehrte ab.
„Unsinn, Leuchen, warum denn — du least doch den Mantel gar nicht ab, und bei dem Wetter m
Sie begnügte sich, Hr^Hagr ru ordnen und sich ein.
wenig zu waschen — am liebsten wäre sie wieder fortgelaufen, so kalt, so unschön erschien ihr das alles.
Wendtland hatte vor der Tür gewartet, nun führte er sie hinunter in das Gastzimmer, in dem zwei Herren in Regenmänteln und Zylindern warteten.
„Herr Apotheker Hölzl — Herr Amtsrichter' Karoly."
„Küss' die Hand, gnädiges Fräulein!"
Der Amtsrichter, ein älterer Herr, der den jungen Lebemann herausbeißen wollte und ein Einglas trug,, scharwenzelte an sie heran. Sie hatte überhaupt keine Vorliebe für die übertriebene österreichische Freundlichkeit, und der Mann war ihr von vornherein zuwider,
„Aber nun kommt!"
Sie schritt wie ein Opferlamm an ihres Bräutigams Seite die wenigen Schritte dem Standesamte zu — nach einer Viertelstunde schon waren sie wieder zurück.,-
Wie formlos, wie nüchtern und geschäftsmäßig das' doch gewesen war. Der kahle Raum, die Fragen desi Beamten — die Unterschriften, und nun sollte sie ver-j heiratet sein? Sie hatte ja keine Ahnung von demz Wesen eines Standesamtes gehabt, und ihr Herz stand'- noch unter dem Eindruck der feierlichen Trauung inh der Marienkirche in Krossen. Jetzt fühlte sie den Handkuß des Amtsrichters auf ihrer Hand, der ihr einen schwülstigen Glückwunsch gesagt. Sie hätte laut weinen mögen.
Sie gingen wieder in das Hotel. Ihr war so schwach — sie hatte ja in der ganzen Nacht und am Morgen noch nichts zu sich genommen — und sie fühlte sich unglücklich. Einen Augenblick waren sie allein die beiden anderen Herren waren im Nebenzimmer geblieben —, und Wendtland ergriff ihre Hand.
„Ich danke dir, Leuchen. Du sollst es nie bereuen!*