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Das Zimmer des Pariser Polizei- Kommissars.

Wer eine treffende Skizze zu dem Sit­tengemälde eines Volks entwerfen will, der besuche dar Zimmer eines Polizeikommissars, an den sich Jedermann wendet, der nur ir­gend eine Beschwerde anzubringen hat. Kla­gen, daS ist daS wahre Evangelium der Men- scheu. Man beklagt sich über AUcS, selbst über sein Glück. Man ,st nie mit seinem Schicksal zufrieden, man wünscht und verlangt immer mehr, und hat nie genug, bis man end­lich im Ucberflusse erstickt. In solcher Hinsicht ist vorzüglich am Morgen das Zimmer eines PolizeiKommiffärS zu Paris sehr merkwür­dig. Es bietet eine wahrhafte Musierkartc von allen Charakter» und von allen Neigun­gen und Gefühlen, nur nicht von den guten, dar. Jedermann hat dort Recht, oder will doch wenigstens Recht haben. Ein altes Weib beklagt sich über die Köchin ihrer Nachbarin, weil sie ihr Seilerwasser in eine Röhre gießt, die ihr nicht gehört. Eine andere Megäre schreit über den Hund ihres Nachbars, der immer auf ihrer Strohdecke schlaft und ihr Flöhe in die Haushaltung bringt. Ein Kut­scher Nr. Z9 wird verklagt, weil er nicht hat fahren wollen, obgleich nur g Personen cin- gestiegen waren, und nur noch vier oder fünf Kinder auf die Knie der Erzeuger gesetzt werden sollten. Ein funges Mädchen hat einen Blumentopf vor ihr Fenster gestellt, und die alten Frauen schreien Ach und Weh darüber.ES ist verboten," sagt der Kom­missär, und macht der hübschen Dirne ein finsteres Gesicht.Ach." Herr Kommissär," sagt sie zitternd und mit bebender stimme, eS ist nur ein kleiner, ganz kleiner weißer Rosenstvck, den mir Jemand an meinem Namenstage geschenkt hat. Ein so winziges Rosenstöckchen wird gewiß keine Seele todt- schlagen."Nun, nun," sagt der Kom­missar, und lächelt ein wenig,er sollte doch wenigstens mit irgend etwas angebunden sepn." -Ich will ihn mit meinem Strumpf, band aubindcn," entgegnet sie, und eilt tan­zend davon.

Eine lange, hagere Frau, mit einem sehr Verdrüßlichen Gesichte, beklagt sich über die Kinder der Familie die über ihr wohnt, und auf ihrem Kopse einen Lärm mache», daß Einem Hören und Sehen vergeht " Sie find um acht Uhr noch nicht im Bette, und

springen wie die Heuducken.Mein Mann hat mich geschlagen!" sagt ein kleine« Weib» chen. indem sie sich mit dem Zipfel ihrer Schürze die Augen reibt.Vielleicht hat er seine Ursachen dazu gehabt."Da hört man's; als wenn ein Mann jemals Ursache dazu haben könnte...." "Nein, nein!" rufen alle Gevatterinnen des Quar­tiers, wie aus Einem Munde,ein Mann kann niemals Ursache dazu haben." Und mehrere von ihnen setzen die Lithographie in Aktion, und sagen mit pathetischem Ton: Ha! wenn mich nur Einer schlagen wollte!"

Es ist ein HaUunke, Herr Kommissär!" fahrt die Ermuthigte fort,ein Schuft, ein Schubiak, ein Nasselfell! Er besauft sich in jeder Woche sechsmal, und am Sonntag, am lieben Sonntag! wälzt er sich unterm Tisch. Und nachher will er mir noch , allerhand dummes Zeug Vorschwatzen, und mir seine Liebkosungen erweisen. Sie können sich leicht einbiiden, wie ich ihn abführe. Tapp! von hinten und von vorne, und wenn er nicht gehen will, noch einen Tritt zu guter Letzt. Herr Grandflandrin, der Stiefelputzer, der ein ganz andrerMensch ist, hilft mir manch, mal ihn nüchtern prügeln. Sie würden ei­nen Gotteslohn verdienen, Herr Kommissar! wenn Sie ihn hängen lassen wollten." Herr Kommissär man hat mir eine Scheibe zerschlagen. ein Schnupftuch gestohlen,

unreines Wasser auf den Kopf gegossen,

Spitzbube gescholten. Man hat mir

meinen Hund abgelockt, Koth an die Thür geworfen, einen EselSkopf an die Fenster- laden gemalt. Mein Portier hat mich auf der Gaffe schlafen lassen Meine Frau hat mir nicht aufmachen wollen-"

Don allen Seiten wird geredet, geschrien, geheult und geklagt. E» ist nichts Kleine«, alle diese Stimmen zum Schweigen, alle diese kleinen Leidenschaften zkr Ruhe zu bringen, und ein PolizeiKommiffär muß oft ein wahrer Philosoph, oder doch etwas Aehn- licheS sepn. Gäbe eS Beamte, die nur allein beauftragt wären, die Erklärungen der mit ihrem Schicksale zufriedenen Menschen anzu- hören, oder Anderer, die über ihren Nächsten etwa« Gute« zu hinterbringen hätten, so dürfte man versichert sepn, daß e« immer sehr ruhig und still in ihrem Lprachzimmer sepn würde.