Der Bettler.
Wenn an einem Wintertage die Sonne unters,nkt so matt und trübe, wenn sie hin- abgeleitet so farblos und düster; dann gleicht sie einer trauernden Freundin, welche mit zögernden Schritten von uns scheidet. Nach so einem Sonnenuntergang war es, daß in der Dämmerungszeit sich über ein kleines Städtchen iük'.ke silire dunkles Schnecgewölk wälzte, und ein scharfer Nachtwind aus den Gcbürgsklüften wehte. Jener tauscndtönige Sänger mit seinem traurigen Gewimmer, seinen höhnenden, gellenden Pfiffen, seinem wilden, trotzigen Gepolter zog als Herold einer grausigen Nacht voraus, und die schäumigen Wogen der See schlugen dumpf grollend an die schroffen Klippen des Gestades. Kein weißes Segel glitt über das Meer, keine pftil schnelle Möwe flog über die Wellen; der Wind strich durch Hag und Gesträuch, Sand und dürres Laub wirbelte empor, und die blätterlosen Neste bogen sich oder brachen, vergebens der Macht des Sturmes widerstehend. Die Hütten der Fischer, Schiffer und Schmuggler am Strande waren verschlossen, und weder Gesang noch tolles Gelächter scholl daraus, auch die Straße bergan wurde menschenleer, die wenigen Laden geschlossen, und nur dort und da flimmerte ein Lichtlcin. Drüben verschwand eines hinter dem Vorhänge des Erkerfensters; hcrüberschimmcrte eines auf der Hausflur; hier knarrte ein Hansthor; dort schlug der Wind einen Balken zu, allmälig wurde es ringsum öder, die Beleuchtung stets fahler, die Gegenstände undeutlicher. Daheim in der Stube schaukelt die Mutter leise singend ihr Kindlcin in der Wiege; Großmüttcr- chen schläft im Sorgenstuhl, das aufgeschlagene Gebetbuch noch im Schooße haltend. Ey! wie das alte Müttcrlcin so freundlich lächelt! es träumte sicherlich von seinem roth- wangigen Enkel, oder wohl gar von der eigenen rosigen Jugendzeit. Der Hausvater schnitzt zum Zeitvertreib zierliches Spielzeug für die Knaben, und denkt dabei wohlgemuth an seinen glücklichen Hausstand und die heitere Zukunft. Der Bräutigam sitzt kosend und flüsternd neben dem Bräutchen, überall, genießt man fromm und friedlich die trauliche Stunde der Dämmerung. Nur in dem einen Hause, jenem mit dem großen Giebeldachs und der niedrigen Thüre, welches von Außen so schwarz und räucherig aussieht, war
es anders. Da saß am Fenster ein alter hagerer Geselle, ein dürrer klapperbeiniger Geizhals, ein bleichwangiger, hohläugiger Wucherer, John Beigster genannt, und zählte ein Häuflein Geld. War's doch nicht mehr Tageshclle, sondern undeutliches Schncclicht, welches durch die kleinen blcygerändeten Fensterscheiben in das Zimmer fiel; darob grämte sich der Alte, und er betastete ängstlich das Geld, und es machte ihn unruhig, sein Ge- schäft nicht vollenden zu können. — Hey! wie der Wind heulet und stöhnt, wie er ungeduldig auf dem morschen Dache des Nachbars herumpoltert, und dann wieder an den lockeren Glasscheiben pocht und klimpert, als verlange er ungestümm Einlaß. — Stille! — war das nicht der Ton der alten verrosteten Hausglocke? — Der Alte stand schnell auf, und blieb lauschend stehen; man schellte nochmals und heftiger.
„Ey, das ist nicht das bescheidene dcmü- thige Läuten eines armen Teufels, welcher um Geld bittet, kein Borger, sondern ein Zahler. Des Nachbars Derby 20 Pfund sind erst künftige Woche zu entrichten, und in ganz kife 8llirs zahlt gewiß Niemand früher als nöthig. Der alte Dick hat feine Schuld so eben abgetragen, der krumme Staff kann noch kein Geschäft abgemacht haben, denn noch ist cs zu Licht. Hig oder Cock, keiner von Beiden hat noch gelandet; treibt es der Sturm so fort, und die Nacht ist finster, kann» einen guten Fang geben,— vorausgesetzt, daß die Burschen tüchtig arbeiten und die See cs zuläßt. Doch jetzt zu dieser Zeit, wer kann cs scyn?" — So grübelte im Stillen der Hausherr, da tönte nochmals die Glocke, aber jetzt unsicher und schwach, als zöge sie eine ermattete Hand. — „Ey, du ungeduldiger, frecher Geselle!" — murmelte Vagster, — „brauchst du Geld, so sollst du mir acht Pence vom Schillingzah- len." Hastig zog er einen alten Säckel aus der schlotternden Rocktasche und strich das Geld ein. Viel Glück, daß kein Münzlein zu Boden kollerte, sonst hätte der Läutende noch lange harren können. John Vagster, welcher das Haus ganz allein bewohnte, und keinen Diener hielt, schlürfte an den Kamin, suchte darin lange nach einer glühenden Kohle umher, zündete ein Lichtstückchen in einer kleinen Laterne an, schloß einen Schrank auf, legte das Geld hinein, schloß vorsichtig wieder