man sie nicht leicht finden kann; dort bringt den Hernn hin, liebe Regina, und besorgt ihm ein wenig Frühstück, denn er hat noch nichts genossen." Hermann, der über Re- gina's Anblick fast seine eigene Gefahr vergessen hatte, fing nun selbst an, um Aufnahme zu bitten, und das in einem so milden weichen Tone, daß Regina verwirrt und befangen in sein Begehren willigte. Caspar entfernte sich, indem Hermann ihm nochmals einen herzlichen Dank nachrief. Dieser folgte Regina die Treppe hinauf, und befand sich bald in einem finstern Raume, in dessen einem Winkel Regina eine Thüre öffnete und ihn hercintreten hieß. Eine enge, durch ein kleines Fenster spärlich erhellte Kammer nahm ihn aus. Etwas hölzernes Hausgeräth stand an den rohen grauen Wänden. Regina ordnete es schnell ein wenig, rückte einen alten Tisch aus einer Ecke an das Fenster, zog dann unter dem Gerüst eine Bank hervor, und ging darauf hinaus um Frühstück zu holen. Bald kehrte sie zurück, deckte ein blendend weißes Tischtuch über den Tisch, besetzte ihn mit schlechtem, aber reinlichen Geschirr, brachte dann das Frühmahl, und ließ ihren Schützling allein. Einige Stunden mochte der arme Flüchtling in der engen dunkeln Kammer zugebracht haben, als an das untere Thor mit starken Schlagen geklopft wurde. Regina eilte hinunter und öffnete. Zwei Schaar- Wächter begrüßten sie, und verlangten zu ihrem Vater geführt zu werden. Mit klopfendem Herzen ging Regina ihnen voran. Der alte Claudius saß in einem Lehnstühle, und hielt eine lange tönerne Pfeife im Munde, aus welcher er dicke schwarze Rauchwolken emporblies. So wie er Männcrtritte hörte, stand er auf, hielt sich an dem vor ihm stehenden Tisch, und ging den Eintrctendcü entgegen. Die Wächter gaben sich als Verfolger eines Flüchtlings kund , der, wie man verbuche, zu einer Bande Schleichhändler gehöre, und einen Engländer gctödtet habe. Regina erblaßte, und kämpfte mit großer Anstrengung gegen die Bewegung ihres Gc- müthcs, wahrend einer der Wächter den blinden Mann fragte, ob er nichts von dem Aufenthalte des Entwichenen wisse. „Wie soll's ich wissen?" antwortete der Thürmer, „wie kommt Ihr darauf, meine Herren, ihn hier im Thurme zu suchen?" — „Weil man uns berichtet hat, der Mörder sey nach Hela geflohen, und einige der hiesigen Einwohner
wollen auch gestern Abends in der Dämmerung einen Mann hier gesehen haben, dessen Person, nach der Beschreibung, mit dem Flüchtling Aehnlichkeit hat." — „Das kann seyn," erwiederte der Thürmer mürrisch, „hier im Thurme steckt er aber nicht; wenn Ihr nicht glaubt, so sucht; meine Wohnung überseht Ihr mit einem Blick." Regina nahm schnell das Wort und sagte: „Dieses Stübchen und diese Kammer machen unsere Wohnung aus." Sie öffnete die Kammerthür, und man sah in ein kleines reinliches Gemach, in dem sich aber unmöglich Jemand konnte verborgen halten.
Claudius befahl Reginen, die Schaarwächter noch höher hinauf in den obersten Raum zu führen, wo sich die Lichter befanden. Der Weg hinauf führte an der Thür des kleinen Gemachs vorbei, in dem sich Herrmann aufhielt; Regina's Athem stockte, aber die Düsterheit des Ortes verbarg die Thür den Blicken der Suchenden. Nachdem sie überall umhergeschaut und nichts gefunden, entschuldigten sie ihren Besuch und entfernten sich. Kaum war das Thor hinter ihnen geschlossen, so eilte Regina zu ihrem Vater, faßte seine Hände, bedeckte sie mit Küssen und rief: „Vater, Vergebung! ich kann Such nicht hintcrgehen, der Flüchtling, den diese Männer suchen, ist wirklich in diesem Thurme." — „Regina!" rief der Thürmer, „der Verfolgte wäre hier? und das hättest du mir verschwiegen!" — „Ach, Vater, vergebt, und vcrrathct den Unglücklichen nicht! Erst vor einigen Stunden führte ihn Caspar, des Fischers Jost Sohn hichcr, um ihn bis zur Abenddämmerung zu verbergen; ich könnt' ihm einen Zufluchtsort nicht verweigern. Vergebt!" — „Ja," sagte nach einigem Sinnen der Thürmer, „du hast recht gehandelt, obgleich der Verfolgte ein Mörder ist. — Ach, meine Tochter, cs giebt Verbrechen, die schrecklicher sind als Mord, und wenn Gott sie verzeihen will, so müssen auch wir verzeihen. Ich werde den Unglücklichen nicht vcrrathen, aber heute Abend, wenn die Dunkelheit hcreinbricht, muß er fort, das sage ich dir, wenn sein Aufenthalt im Thurme verrathcn würde, könnten wir zur Verantwortung gezogen werden."
Regina begab sich nun zu ihrem Schützlinge, und erzählte ihm, was vorgefallen war. „Laßt mich hinaus," sagte Herrmann erschüttert, „ich will Euch nicht mit in mein Ver-