Beilage zum Intelligenz-Blatt Nro. 23.

Dienstag, den 28. März 1837.

G a f a r e l 1 i.

Von Jules Janin.

Nur ungern erzähle ich eine Geschichte, die eben so furchtbar als seltsam klingt. Ihr Held ist einer jener unglücklichen Künstler, ckie in Italien sonst erbarmungslos aus Eitelkeit, um die Musik der pabstlichen Kapelle zu be­reichern, geopfert wurden. Abscheuliche, blu­tige Entheiligung, die meinem Gefühle nach die erhabenste Musik verderben mußte! Wer kann Gefallen finden an von geschlechtslosen Stimmen gesungenen Gebeten, von Stim­men, die nicht Leidenschaft, nicht Liebe em­pfinden können, und an Gebeten, ohne Herz und ohne Rührung nur so hergeplappert'. Grcuclhafter Gedanke, zu Deinen Sängern, großer Gott! Geschöpfe zu verwenden, wie Mahomeds Enkel sie zu Hütern seiner Lüste wählt!

Es lebte also im verflossenen Jahrhundert auf dem Lande in der Gegend von Florenz ein elender, schlechter Bauersmann, Majorans genannt, der Tag um Tag sich betrank und sich dabei weder um den vergangenen Abend bekümmerte, noch Sorgen für den kommenden Morgen in sich verspürte. Er war mit ei­nem Worte ein ächter und gerechter Bauer, grob, ungeschliffen, egoistisch, bösartig, herz- und gemuthlos, ein durch Elend und Noth zum Thier herabgewürdigtes Geschöpf, kurz rin Gesell, der mit mehr Muth einen tüchti­gen Banditen in den Abruzzen vorgcstcllt ha­ben würde. Zu allem Unglück besaß der schlechte Bursch einen Sohn, einen schönen blonden Knaben, schon herrlich aufgebläht im Hauche seines zehnten Frühlings. Noch auf der Mutter Arm war das Kind schon empfänglich gewesen für die unsichtbare Har­monie der Ländlichkeit. Das Rauschen des Flusses, das Murmeln des Baches, der Ge­sang der Vögel auf dem Baume verschaffte ihm unsägliche Wonne. Wie das Kind her­anwuchs, so wuchs auch seine Leidenschaft für Alles, was Musik hieß; eine schöne Mcn- schenstimme entlockte Thränen seinen Augen, die Töne der Sackpfeife des Gebirges versenk­ten ihn in träumerisches Nachdenken; er wit­

terte einen Zittcrspieler eine Stunde weit, ließ alsbald seinen Pflug dann mitten im Felde stehen und lief athemlos so lange fort, bis er die weit entfernte Musik erreicht hatte, der er dann nachzog, so weit er konnte, und wenn er Abends von Hunger und Müdigkeit erschöpft nach Hause kehrte, bekam er von dem Vater Prügel, die ihn jedoch nicht hin­derten, am andern Tage einen gleichen Weg zu machen.

Weit mehr als heutiges Tages war da­mals Italien mit Musikern angefüllt. Die kleinste Dorfkirche besaß ihren eigenen Orga­nisten und ihre Sänger. Musik ist Seele des Gebets. Wie manche Christenscele ist nur vermöge der schönen, Meisterwerke aufführcn- den Stimmen auf wahre christliche Gesinnung geleitet worden! Auch unser Knabe, wenig befriedigt von den vorüberzichenden Zittern und Dudclsäcken, fing folglich an, lieber Kir­chen und Kapellen zu besuchen, wußte bald besser als der Kalender die heiligen Feste der Umgegend, und verfehlte niemals allen die­sen musikalischen Feierlichkeiten beizuwohnen. Athemlos, entzückt, glücklich kam der Bube an, und hörte mit einer Andacht zu, als ob er im Himmel gewesen. An einem Haupt- feste befand er sich in der vornehmsten Kirche in Barri (man feierte ein Hochamt zu Ehren der Madonna) wo die christliche Gemeinde mit andächtigen Herzen und Ohren den from­men Gesängen lauschte und hier vermochte er nicht dem heftigen, ihn mächtig .drängenden Triebe zu wiederstehen, seine Stimme ncmlich mit den schönen Chorstimmen zu vereinigen. Eine unbezwingliche Macht trieb ihn an, er mischte sich folglich unter die Musiker der Kapelle, und führte erst mit schüchterner, dann mit fester und sicherer Stimme seine Parthie bei dieser heiligen Musik aus. Verwundert fragten die Musiker, als sie den kleinen, in Lumpen gekleideten Baucrnbengel eben so gut wie sie in einer heiligen Messe singen hörten, wo er wohl herkomme? Und wie die ehrsamen Frauen sahen, daß diese Lumpen einen sehr hübschen, zwölfjährigen Burschen mit sanften Augen, Hellen, reinen Blicken, und einen vol­len Lockenkopf bedeckten, der in begeisterter