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gelang mir auch nach manchen Schwierigkeiten, und ich hatte nun für meine Anstrengungen die Freude: in unfern kleinen Familienkreis Ruhe und Zufriedenheit wieder einkehren zu sehen. Um die Hünd meiner Schwester Valerie bewarb sich ein wackrer junger Kaujmann. Meine Mutter gab ihren Seegen zu dieser Verbindung. Wir würden jetzt alle glücklich gelebt haben, wenn uns nicht das unbekannte Schicksal Etienne's beunruhigt 'hätte. Besonders gedachte meine edle Mutter oft mit stil­lem Grame des verlohrnr» Sohnes Ach nur zu bald sollte ihr treues Herz auf das Tödlichste ver­wundet werden. Nach einiger Zeit wurde uns aus hem Munde eines höchst glaubwürdige» Berichter­statters die betrübende Nachricht: daß mein ent­arteter Bruder um zeitlichen Gewinnes willen sein Seelenheil verkauft habe und fvom Glauben seiner Väter treulos abgcfallen und zur Lehre des falschen Propheten librrgetrete» sey."

Dieser Schlag des Schicksals war her härteste, ivelchcr meine arme Mutter nur treffen konnte. Der Gedanke: daß der gefallene Sohn nun auf ewig für sie verloren sey, daß sie ihn auch tcnseirs des GsLbrS nicht wiederzufinden hoffen dürfe, er­füllte ihr Herz mit furchtbarer Hnal. Nach eini­gen Wochen lag sie auf dem Sterbebette und jam­merte trostlos um den Verirrten. Da erschien, wie vom Himmel gesandt/, ein französischer Geistlicher, der einst ihr Jugendgesoicl gewesen und jetzt aus seinem Vgterlantc nach Korea gekommen war, um als Missionair die Länder Senegambiens zu berei­sen. Diesem gelang es, meine arme von Angst »nd Zweifeln gefolterte Mutter einigermaßen zu beru­higen« Sie rief mich an ihr Lager,, zog mich sehr bepegt an. ihre Brust/ küßte mich unter heißen Lhräncn »nd sprach; Du bist stets ein frommer und guhkr Sohn gewesen, Henri; du hast mich nie betrübt, sondern mir stets mit kindlichem Sinne Gehorsam geleistet. Mein Segen ruhe auf dir. Dein Herz ist dcmüthig vor Gott und stark wider dir Anfechtung des Bösen; darum bist du fähig, meinen letzten glühendsten Wunsch zu erfüllen. Ja mein goliebter Henri, laß meinen Willen dir heilig sey.n! Wähle von nun an den .Berus, dem du früher dich widmen wolltest. Schiffe dich nach Europa ein, gehe in ein Kloster und büße für dei­nen tief gefallenen Bruder. Go« wird das Opfer, welches du ihm mlt reiner Seele bringst, gütig aufnrhmen du «inst dem Verirrten um dcinetwil-

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len ein gnädiger Richter seyn. Nicht wahr, mein theurer Sohn, du wirst mein Flehen erhören, da­mit jch in Frieden sterben kann

Ich konnte vor großer Rührung ein paar Mi« nuten lang nickt antworten; dpch meine Lhräncn sprachen für mich. Dann aber ergriff mich eine hohe Begeisterung. Nimmer werde ich das erha­bene Gefühl vergessen, welches in jenen heiligen Augenblicken wie ein göttliches Feuer mein Inneres durchströnue.

Ja, meine theure Mutter! ries ich: gern bin ich bereit, deinem Wunsche zu genügen. Ich will nicht müde werden, mich jn guten Werken zu üben und Gottes Gnade anzurufen, auf daß cs mir gelingen möge, die Schuld meines unglückliche» Bruders zu sühnen. Ader nicht in der dumpfen Stille des Klosters,hnicht in müssigcr Beschaulich­keit laß mich meine Bahn wallen. Dazu ist eS Zeit, wenn ich alt und schwach seyn werde. Jetzt da noch Jugcndkrast in meinem Körper wohnt, will ich handeln zum Wohl der Menschheit. Laß mich mit diesem ehrwürdigen Manne in dieses Welt« rhcils wüsten Steppen umherziehM und das Evan­gelium des Herrn den armen unwissenden Heiden verkündigen. Mögen mich Gefahren und Müh- sceligkcitc» aller Art umdräueu, ich fürchte sic nicht, ick will mich vielmehr ihrer freuen und sie als eine Buße dcrrachten, durch welche ich de» Ge­fallenen mit Gor, versöhnen kann. Vielleicht släßt es die Vorsehung geschehen, daß jch dem Verirrten auf meiner langen Pilgerreise begegne! O möchte es mir alsdann gelingen, ihn znm wahren Heile ziirückziiführen, gern wollte ich mein Herzblut da­rum opfern!"

Da erheiterte sich bas Antlitz der Sterbenden so sanft »nd mild, und eine himmlische Vcrklärung fprach aus ihren Zügen. O mein guter Sohn! sagte sie, indem sie meine Hand an ihre Brust drückte: den Gedanken hat dir Gott eingcgeben. Ja, nun fcheihe ich getrost von hinnen und gehe mit der seeligen Hoffnung zuy, ewigen Frieden ein: daß ich einst alle meine Kinder Wiedersehen werde. Drr Allbarmherzige, der mich jetzt zu sich ruft, segne dich, mein Henri, und gehe dir Kraft, de:» Werk zu vollbringen!"

Nach wenigen Minute» verfchted die Fromme in Valeriens Armen."

Nach einigen Wochen übergab ich meiner Schwester und ihrem Gatten den Rest des elterlichen