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Derbois fühlte sich während dieser Zeit immer glücklicher in dem Umgänge mit dem Doctor und dessen Frau! und obwohl er nicht ahnen, noch weniger wissen konnie wie nahe ihm die Personen angicngcn, in deren Kreise er setzt weilte, so fühlte er doch, daß es ein wahres väterliches und kindliches Vcr- hältniß scy, welches zwischen ihm und ihnen herrschte — und dieses Gefühl that seinem wunden Herzen unendlich wohl.
Der wichtige Tag war endlich erschienen und Fclicie flehte im brünstigen Gebet zum Regierer der Welten, daß er ihres Gatten Hand leiten und das Werk der Liebe gelingen lassen möge. — Und es gelang! — Der Strahl des Lichts drang wieder wonnebringend in Derbois Auge, die finstre Nacht der Blindheit war durchbrochen. Wer vermag der frommen Tochter seeligcs Entzücke», wer Aiuoins erhebendes Bewußlscyn, wer des Greises dankbare Empfindung zu beschreiben's Auch der redliche Diener des Alien war außer steh vor Freude, denn er war der Gegenstand gewesen, auf de» der erste Blick des geretteten Herrn fiel. Mit Mühe konnte Dcr- bois nur bewogen werden, die grüne Binde wieder um die schwachen Augen zu legen. Er wollte durchaus erst seinen Wohlthäter und die liebevolle Pflegerin sehen, deren Umgang ihn in vergangne glückliche Zeiten zurück versetzt hatte.
Aber beute konnte man ihm diesen Wunsch unmöglich gewähren, so sehr auch Feliciens und ihres Mannes Verlangen damit übereinstimmtcn. In eine zweite gemüthcrgreifende Scene durfte der Greis nicht hincingezogcn werden, dem Ruhe vor Allem nöthig war, wenn man sich nicht der Gefahr anssetzcn wollte, den errungenen großen Gewinn unwiederbringlich zu verlieren. Und die Scene einer solchen Erkennung, wie sie wohl selten aus diesem Erdenrunde vorgekommen war, mußte von noch weit erschütternder Wirkung seyn, als die derWie- dcrgencsung, welche noch so lebhaft empfunden wurde. — Antoine stellte dem bittenden Alten vor, daß er von jetzt an im Dunkeln bleiben und nur Gegenstände von grüner Farbe sehen müsse. Einem MenschenAntlitz dürfe sein Blick erst nach mehreren Tagen begegnen.
Derbois gehorchte des Arztes weiser Vorschrift, obgleich sie seinem Wunsche nicht gemäß war. — Eines Nachmittages — es war beinahe drei Wochen nach der Operation — als Antoine, Derbois und Felicte bei einander saßen, erzählte der Lrstere
geflissentlich'eine Geschichte von einer Scheintodten, die aus dem Grabe wieder erstanden wäre, und nachher noch viele Jahre in glücklicher Ehe mit dem Manne gelebt hätte, dessen Bemühungen fle auf's.Neue in's Leben gerufen. „Was ich hier erzähle," so schloß Latour: „klingt höchst wunderbar, aber es ist wahr. Ich selbst kenne die Auferstandene, und auch Sic, wcrlhcr Greis, würden sie kennen, wenn Sie dieselbe sehen konnten."
Auch ich? fragte Derbois erstaunt und seine Spannung stieg immer höher.
„Ja!" antwortete Antoine. „Es ist eine Ihnen sehr theure Person, um die Sie viel geweint und getrauert habe». Würden Sie ihr verzeihe», daß Sie Ihnen unschuldiger Weise so viel Kummer bereitete?"
Um Gottes Willen, Freund! ries Derbois : welche Ahnungen erwecken Sie in mir — welche Gedanken und Vermuthungen steigen in meiner Seele auf — nein, nein! solche Wunder geschehen nicht mehr!
„Sic find geschehen — Gott hat sic an uns ge- than!" -rwiederle Anton. „Fassen Sie sich und sammeln Sic alle Ihre Kraft! — Felicic lebt! Ich habe sie aus der Nacht des Grabes gerissen, ich, der Sohn Ihres Freundes Latour — sie ist mit mir vermählt, sie war Ihre Führerin — Sie haben ihre Stimme gehört und wieder erkannt, und jetzt sollen Sie auch die lang Verlorne und Beweinte wieder sehen, die schluchzend zu ihren Füßen liegt."
Das war zu viel der Wonne auf einmal für den alten Mann. Er jubelte hoch auf, und sank dann sogleich ohnmächtig in die Arme seiner Kinder.
„Es wär' ein schöner Tod!" rief Antoine leise seiner ihren Vater ängstlich umklammernden Gattin zu. „Aber scy nicht bange, geliebtes Weib! Die Freude hat ihn nur übermannt, er wird bald wieder zu sich kommen!" —
Einige schnell angewandte Stärkung brachte Derbois wieder zum Bewußtseyn. Nun war es ihm aber auch nicht möglich, sein glühendes Verlangen zurück zu drängen. Er riß Binde und Schirm von den Augen und schaute in das Antlitz seines geliebten wicdergefundenen Kindes. „Ja, du bist's — du bist meine Felicie!" rief er an ihrem Halse weinend. „Ach, nun will ich gern wieder blind werden, da ich dich noch einmal gesehen habe."
Nun schien gar nichts mehr zu dem vollkomenen Glücke der wiedervereinigken zu fehlen. Aber noch