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Du nicht auch Kraft genug, für Deinen Glauben zu dulden und zu sterben? O mein Bruder, wozu hast Du Dich von der Furcht verleiten lasten."

Beschuldige mied nicht zu vorschnell der Feig­heit, lieber Franz. HSre mich erst und dann richte. Ehe ich noch mit dem Herzoge Jerusalem erreichte, rettete ich mit ihm vereint ein türkisches Mädchen in der Gegend von Sichem aus der Gewalt eines Räubers.

Ich habe davon gchbrt. Anselm, dem es ge­lungen ist, aus Aste» zu entweichen und in die Heimath zurückzukehren, hat uns alle Eure Aben­theuer, bis zu dem Auftritte Eurer Gcfangeneh- mung am Berge Tabor, getreulich berichtet."

Wie? so ist Anselm entkomme» ? rief Vollrath verwundert. T>, dann ist er der Glücklichste von alle» seinen Reisegefährten, den» ihm ward dieSe- Ijgkeik, das geliebte Vaterland bald wieder zu se­hen. Da Dir nun der größte Thcil unsrer da­maligen Schicksale bekannt ist so kann ich gleich u dem erwähnten Auftritte übergehen. Höre also as Weitere: ,,Der heuchlerische Marcellus vcr- rieth meinen edlen Herzog, mich und die Knappen auf die schändlichste Weise. Wir wurden in der Nacht überfallen. Ich vertheidigte den geliebten Herrn und mich einige Minuten lang mit günsti­gem Erfolge; aber endlich streckte mich ein kräfti­ger Hieb nieder. Ich sank, und fühlte mit Strö­men meines Blutes auch das Bewußlseyn schwin­den. Wie lange ich leblos dagelegcn. weiß ich nicht; doch muß man mich wirklich für lobt ge­halten haben, denn der Eremit hatte mich hinaus- geschleppt, und seitwärts der Hütte ein Grab ge­macht, um mich hineinzuwerfen. Da seufzte ich schwer auf, und fühlte mich von einem schneidenden Schmerze durchzuckt. Mit dem erwachenden Wch- gefühl kam mir auch die Besinnung wieder. Ich hörte deutlich eine rauhe Stimme rufen:Sieh da, Marzell, der Tobte wird wieder lebendig! Laßt uns ihm den Gnadenstoß geben!" sprach eine andere Zunge.Nicht doch!" erwicderte die erste Stimme.Unter alle den Giaurs, lue heute unsre Beute geworden sind, hat mir dieser am besten gefallen, denn er wehrte sich wie ein Rasen­der, und bas kann ich leiden. Ls wäre Schade um den wackern Kerl. Was haben wir denn auch von ihm, wenn ec todt ist nur das Lebendige kann uns Nutzen bringen. Bruder Marzell, Du verstehst fa Kranke zu heilen. Nimm Dich dieses Christen an, und machst Du ihn gesund, so will ich ihn als meinen Antheil behalten oder verkau­fen, und ich verlange von dem Gewinne, den uns die andern fortgetriebenen Gefangnen einbringen werden, keinen Piaster."

Man hob mich empor; ich schlug die Augen auf, aber sie konnten das Licht der Sonne nicht ertragen. Ich mußte sie wieder schließen und ver­mochte sie erst in der Klause, wohin man mich trug, aufs Neue zu öffnen. Drei Männer umgaben mich ; es waren Marzell und zwei Sarazenen, ge­gen die ich mich in der Nacht vmheidigt hatte.

Der Erstcre reichte mir eine» 'stärkenden Trank und untersuchte meine Wunde-

Seine gute und kräftige Natur," sagte er: muß das Beste tbun, sonst ist er dennoch verlo­ren. Doch will ich nicht an seinem Aufkommen zweifeln, da der starke Blutverlust ihn nicht getöd« tct bat."

Ich versank bald wieder in einen festen, lang anhaltenden Schlaf, und fühlte mich, als ich er- wachte, um Vieles gestärkter. Wider Erwarten ging meine Genesung schnell und gut von Statten; ach, ich konnte mich ihrer nicht freuen, denn ich wußte ja, daß be^ der Wiederkehr meiner Gesund­heit die härteste Sklaverei mein wartete. Meinen Arzt und Pfleger mußte ich verabscheuen, denn er war ein abtrünniger Heuchler, der fremden Pilgern sich als ein frommer, gläubiger Christ anfänglich darstellte, um sie auszuforschen und sorglos zu ma­chen, dann aber desto sichrer den sarazenischen Räu­bern, die in de» Gebirgsketten des Anti Libanon Haufen und mit denen er gute Freundschaft hielt, in die Klauen zu liefern. Er ließ sich meine Hei­lung angelegen scyn und behandelte mich freund­lich ; ich aber konnte ihn nie ohne bitter» Haß be­trachten. Mein Daseyn ward mir zuwider in sei­ner Nähe, und mehr als einmal ckam mir der Ge­danke in den Sinn: die Sorgfalt des schändlichen Klausners, die doch nur aus unreiner Quelle floß, unnütz zu machen, und die mir von ihm aufgeleg­ten Salben und die Verbände loszureißen, um an der tiefen Wunde mich zu verbluten."

Armer Bruder! unterbrach Franz den Erzäh­lenden: wie sehr muß Dein Geist nredergedeugt ge­wesen seyn, daß er mit dem schrecklichen Selbst­morde sich beschäftigte. Kam denn kein Gottver­trauen, keine Hoffnung in Deine Seele?

^Bisweilen dämmerte wohl," erwicderte Boll- rath:,,ein schwacher Strahl dieses milden Him- mclslicbtes in meinem Herzen auf, Und fachte den nie vertilgbarcn Trieb zum Leben in mir an, jo daß ich vielleicht den verzweifelten Entschluß nicht ausgeführc haben würde, wenn ich auch wirklich gekonnt hätte. Dazu aber ward mir nicht einmal Gelegenheit, denn ich war nie allein und unbeob­achtet. Es ist möglich, daß man mir, in Augen­blicken, wo ich mich nicht selbst bewachte, mein selbstmörderisches Vorhaben abgemerkt hat- Ge­nug, cs war immer Jemand ^ei mir, entweder Marzellus, oder einer von den Sarazenen.

An einem Abende kam der ganze Räubertrupp, der uns in jener Unglücksnacht überfallen hatte, in der Klause zusammen, um Beuie und Gewinn zu theilen. Da erfuhr ich mit Gewißheit, Wa­ich schon vrrmuthet hatte, daß der unglückliche Lud­wig und seine armen Knappen an Sclavenhändler um guten Preis verkauft worden scycn. Ach, wie bedauerte ich das Schicksal des geliebten Herrn un» seiner wackern Gefährten, welches auch mir ball» bevorstand, wie wünschte ich, jenen unheilsvoücn Augenblick nicht überlebt zu haben.

Nach vier Wochen war ich beinahe geheilt mch